David Mallet, der die AC/DC-Videos und -Konzerte seit 1986 produziert hat, meint: „Bei Pink Floyd dreht sich alles um den Pomp. Jeder Song, jede einzelne Nummer nimmt einen besonderen Platz im gesamten Spektakel ein. Bei AC/DC gibt es nur ein Spektakel, und das heißt Angus Young.“
Der mittlere Bruder ist in der Tat der „König“ von AC/DC, und er ist sicherlich kein gütiger Herrscher. Mark Evans, der Bassist der Band von 1975 bis 1977, beschrieb Malcolm in seiner Autobiografie Dirty Deeds – Meine wilde Zeit mit AC/DC wenig schmeichelhaft als „den Getriebenen … den Planer, den Strippenzieher, den ‚Typ hinter dem Vorhang‘, erbarmungslos und scharfsinnig.“
Es ist eine Beschreibung, die ähnlich klingt wie eine frühe, aber trotzdem wichtige Presseerklärung von Atlantic Records: „Nicht nur ist er ein großartiger Gitarrist und Songwriter, sondern auch ein Mann mit einer Vision – es ist der Planer von AC/DC, ein ruhiger, bedächtiger und höchst aufmerksamer Mensch. Diese Eigenschaften – und natürlich das gute Aussehen, machen ihn zu einem der beliebtesten Mitglieder von AC/DC.“
Merkwürdigerweise wurde das optische Erscheinungsbild keines der anderen Musiker positiv hervorgehoben.
Malcolm fällt alle wichtigen Entscheidungen, führt die Band und liefert einen treibenden Rhythmus. Obwohl er sich im September 2014 zum Ausstieg entschied, bleiben AC/DC seine Band.
„Malcolm und Angus wuchsen in einer familiären Situation auf, in der George ein überaus berühmter Pop- und Rockstar war“, erläutert Evans bei einem Kaffee in Annandale, einem Vorort von Sydney. Sein Haupthaar mag sich in seinem 58. Lebensjahr ein wenig gelichtet haben, aber er ist noch so fit und gut aussehend wie früher. Wenn jemand bei AC/DC wirklich attraktiv wirkte, dann war er es. „Es war kein großer Schritt für sie, eine Band zusammenzustellen und ihr Lager in Übersee aufzuschlagen, kein Traum, als wolle man für die Glasgow Rangers spielen oder Ähnliches. Der Traum befand sich schon in ihrem Haus – in nächster Nähe. Malcolm lernte viel von George. Die beiden gleichen sich in vielerlei Hinsicht, obwohl ich glaube, das Malcolm der umtriebigere von beiden ist.“
„In all den Jahren hat es mich immer wieder aufs Neue erstaunt, dass die beiden als nicht sonderlich klug dargestellt werden – vielleicht liegt es an ihrem öffentlichen Image. Aber, Mann oh Mann! Ich habe in meinem Leben nur wenige Typen kennengelernt, die so schlau sind wie Malcolm.“
Während sein jüngerer Bruder den Duckwalk bringt, dem Publikum den nackten Arsch zeigt, sich im Kreise dreht oder das macht, was zum Teufel er auch immer will, blieb Malcolm im Hintergrund der Bühne vor seinem Marshall-Turm stehen, steif und zuckend, festgewachsen wie ein Menhir. Man sieht, man konnte sich auf ihn verlassen.
„Live ziehen sie eine große Show ab, allerdings mit wenigen Effekten“, erzählt Mike Fraser, ihr langjähriger Mann am Mischpult. „Für mich ist sie immer wieder erstaunlich. Man sitzt auf seinem Platz und beobachtet Malcolm beim Spielen. Er steht neben den Drums, dirigiert aber tatsächlich die komplette Band. Jeder schaut bei den Breaks zu ihm. ‚Los, lasst uns noch eine Runde spielen.‘ Er gibt all die kleinen Zeichen, fast unmerkliche Handbewegungen. Die Augen der Musiker sind auf ihn gerichtet. Sogar Angus beobachtet ihn, während er durch die Gegend flitzt und sich im Kreise dreht. Er schaut bei allen Wechseln zu Mal hinüber. Das zu beobachten, ist schon verblüffend.“
Der auch aus Schottland stammende John Swan zählt zu den altehrwürdigen Protagonisten der Rockmusik und stimmt dieser Ansicht zu. Er hat in der Vergangenheit bei Bon Scotts alter Band Fraternity gesungen und ist ein enger Vertrauter der Familie Young: „Jeder blickt in Richtung Angus, als wäre er das Zentrum der Gruppe, doch für mich ist es Malcolm. Nimm zum Beispiel mal ‚Live Wire‘. Er spielt die Akkorde des Songs. Während der ganzen Zeit ist die Dynamik brillant. Dann verändert er ein winziges Pattern. Rhythmusgitarristen spielen den Song und übersehen diese winzige Passage. Er hingegen ändert den subtilen Part. Man muss schon ein Fan von Malcolms Spieltechnik sein, um überhaupt zu verstehen, was er da tatsächlich macht. Durch diesen kleinen abweichenden Abschnitt lässt er den Song ein wenig deutlicher rocken, wodurch die ihm zuhörenden Musiker die Nummer noch intensiver empfinden, noch mehr mögen. Er und Keith Richards sind die besten Rhythmusgitarristen der Welt.“
Terry Manning, der schon bei ZZ Top und Led Zeppelin hinter dem Mischpult saß und gemeinsam mit Chris Blackwell die Compass Point Studios auf den Bahamas besitzt, wo Back In Black aufgenommen wurde, geht sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn sind Ritchie Blackmore von Deep Purple und die Blues-Legende Steve Cropper zweifellos die einzigen vergleichbaren Rhythmusgitarristen, „aber wenn man die Essenz des Rhythmusgitarrenspiels destilliert, glaube ich, dass es Malcolm besser drauf hat als die anderen“.
Zusammen muss man sie jedoch mit niemanden mehr vergleichen. Durch die dünnen Saiten von Angus dünnhalsiger Gibson SG und die dicken Saiten von Malcolms Gretsch Firebird gelingt das scheinbare Paradox des Klangs einer einzigen massiven Kraftquelle, bei der sich die Gitarren trotzdem noch deutlich unterscheiden. Kein anderes Team erreicht das in so einer Perfektion. Lange Zeit waren die beiden quasi „unentwirrbar“. Stevie Youngs Aufgabe besteht darin, diese Synergie aufrechtzuerhalten.
Das Phänomen ist so prägnant, dass Joe Matera, ein australischer Rockgitarrist und international bei Magazinen wie Classic Rock und Guitar & Bass publizierter Gitarrenjournalist, behauptet, es sei bei einer Trennung der beiden Gitarren-Sounds ineffektiv.
„Es ist eine Art Chemie, bei der der eine auf den anderen angewiesen ist, um einen so explosiven klanglichen Effekt zu erzeugen. Die Kombination der beiden ist so stark, dass bei einem Fehlen des Partners das Resultat kaum mehr den Effekt hätte.“
Georg Dolivo ist Sänger der kalifornischen Rockband Rhino Bucket, einer Gruppe, der es unter zahlreichen Imitatoren gelungen ist, dem Sound von AC/DC zur Powerage-Ära am nächsten zu kommen. Sogar der Ex-AC/DC-Drummer Simon Wright spielte eine Weile mit ihnen. Er erzählt: „Das Zusammenspiel der Gitarren, des Basses und der Drums lässt sich mit nichts vergleichen. Jede einzelne Note zählt. Angus und Malcolm spielen so perfekt abgestimmt, dass es wie eine undurchdringliche Energiewand klingt.“
Joel O’Keeffe, Frontmann und Leadgitarrist von Airbourne, die so nahe wie nur möglich an die Präsenz der Australier 1978 live im Glasgow Apollo kamen, erklärt den AC/DC-Sound als einen Prozess der Reduktion und Einfachheit: „Hier geht es eher darum, was die Youngs nicht machen, als um das, was sie machen. Es sind die präzise abgestimmten Pausen zwischen den Riffs, wie der kleine Freiraum nach der ersten drei A-Dur-Akkorden bei ‚Highway To Hell‘ oder die Leer-Passage bei ‚Whole Lotta Rosie‘, während der die Leute ‚ANGUS!‘ brüllen, bei denen man eine regelrechte Gänsehaut bekommt. Und wenn sie beide klampfen, sind es nicht nur zwei Gitarren, es sind wahre Energieprügel.“
„Die Young-Brüder sind zwei der besten Gitarristen, mit denen ich das Vergnügen hatte zusammenzuarbeiten“, erinnert sich Fraser. „Sie sind nicht nur talentiert, sondern arbeiten auch hart. Im Studio wissen sie genau, wie man so dynamisch spielt, dass der Song rockt. In so einer Umgebung kann das recht schwierig sein, denn die Atmosphäre ist manchmal klinisch und uninspirierend. Es ist hart, im Studio mit der Intensität eines Auftritts zu spielen, aber um eine klasse Platte zu produzieren, muss man das. Malcolm und Angus haben diese Fähigkeit verinnerlicht. Das zu beobachten, ist beeindruckend.“
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Zahlreiche Bands haben versucht, den Sound und das „keine Spielchen – jetzt kracht es“-Ethos zu reproduzieren, allerdings in unterschiedlichen Qualitätsabstufungen: Guns N’ Roses, The Cult, Airbourne, The Answer, Mötley Crüe, Krokus, Kix, The Four Horsemen, The Poor, Dynamite, Hardbone, Heaven, ’77, Starfighters, Accept, Rhino Bucket, Jet, die hart rockenden und sich wie französische Aristokraten kleidenden The Upper Crust und viele mehr. Dabei verlieren sich die meisten in Imitationen. Auch gibt es Bands, die kaltschnäuzig abkupfern. Man sollte „Dr Feelgood“ von Mötley Crüe mit AC/DCs „Night Of The Long Knives“ von For Those About To Rock (We Salute You) vergleichen. Oder David Lee Roths „Just Like Paradise“ mit „Breaking The Rules“ vom gleichen Album. Oder „Wild Flower“ von The Cult mit „Rock ’N’ Roll Singer“ von TNT [der australischen Veröffentlichung, A.T.].
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