In Port Lincoln, Südaustralien, arbeitet ein Reiseveranstalter, der herausgefunden hat, dass AC/DC wie keine andere Musik Haie anlockt. Matt Waller erklärte dem Herald Sun aus Melbourne: „Wir haben bei Experimenten festgestellt, dass die Musik von AC/DC die größte Wirkung erzielt … Ich habe Haie beobachtet, die ihre Köpfe am Käfig rieben, aus dem der Sound kam, als würden sie ihn erfühlen wollen.“
Die Antworten auf die Fragen, egal welche es sind, sind an der Quelle zu finden, der Quelle, die die Musik der Youngs so außergewöhnlich werden lässt.
[Da der Autor zahlreiche Interviews mit oftmals weniger bekannten Personen aus dem Umfeld von AC/DC geführt hat, findet sich am Ende des Buches zur leichteren Zuordnung eine Liste mit der Überschrift „Dramatis Personae“, A.T.]
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Und alles begann mit dem Bruder, dessen Gesicht nur selten in der Öffentlichkeit erscheint.
George Young, der 2014 68 Jahre alt wurde, spielte bei Flash and the Pan, einem Projekt mit seinem langjährigen Co-Autoren und Produktionspartner Harry Vanda, seit 1992 nicht mehr auf seinen eigenen Platten. Dennoch hatte er die Finger bei der Einspielung von AC/DCs Stiff Upper Lip 2000 im Spiel. Zusammen mit Harry Vanda zeichnete er für die Platten zwischen 1974 und 1978 verantwortlich und danach wieder in den späten Achtzigern. Berühmt für seine Rolle als Rhythmusgitarrist der Easybeats produzierte er mit Vanda Rose Tattoo und The Angels (auch als Angel City bekannt). Die beiden komponierten Stücke wie „Friday On My Mind“ und „Good Times“ der Easybeats, Stevie Wrights „Evie“, John Paul Youngs „Love Is In The Air“ und Flash and the Pans „Hey St Peter“, „Down Among The Dead Men“, „Walking In The Rain“ (von Grace Jones gecovert) sowie „Ayla“, das später im erotischen Kontext für eine Tanzszene in dem Monica-Bellucci-Streifen Wie sehr liebst du mich? eingesetzt wurde. Der Anblick von Bellucci gehört zu den Erinnerungen, die man nicht allzu leicht vergessen kann.
„Ich bewahre viele Schallplatten bei mir zu Hause auf und experimentierte bei der Arbeit an meinen Filmen mit verschiedenen Songs, woraus sich manchmal eine Überraschung ergibt“, erzählt Bertrand Blier, der Regisseur des Films. „Ich mag besonders ‚Ayla‘.“
George ist das „sechste Mitglied“ von AC/DC, der Leiter, der Trainer, der gelegentliche Bassist, Drummer, Background-Sänger, Mime, Percussionist, Komponist, Business-Manager und Strippenzieher im Hintergrund. AC/DC sind genauso seine Band wie die von Angus und Malcolm.
Anthony O’Grady, Bon Scotts Freund und in den Siebzigern Gründungsmitglied der australischen Musikzeitschrift RAM, verbrachte während der Jahre 1975 und 1976 mehrere Tage mit der Band auf Tour. Als wir uns in Sydneys Stadtteil Darlinghurst trafen, trug er ein frisch gebügeltes (aus dem Jahr 1974 nachgedrucktes) AC/DC-T-Shirt, auf dem der Bandname so auftauchte, als hätte man ihn mit weißer Wandfarbe darauf gepinselt.
„George nutzte alles bei den Easybeats Gelernte und zog Konsequenzen aus den Fehlern“, sagte er. „Es war einer dieser alten Geschichten: ‚Man kann in einer Band sein, einen internationalen Hit haben und mit einem erdrückenden Schuldenberg enden.‘ Dieses Mal sollte es anders laufen. Und es lief auch anders! Er hätte es am liebsten selbst durchgezogen, da bin ich mir sicher. Doch, mein Gott, er programmierte Malcolm und Angus darauf, niemals Plattenfirmen, dem Management oder Agenturen die Kontrolle zu überlassen.“
„Weiche niemals von deinem Weg ab! Das trichterte er Malcolm ein. Angus symbolisierte die Elektrizität und George sowie Malcolm waren das Kraftwerk. Die beiden haben den Fluss in die richtige Bahn gelenkt. Und sie ließen sich nie vom Zurschaustellen musikalischen Könnens behindern. Mehrere Male berichtete mir Malcolm: ‚Angus kann verdammt cleveren Jazz spielen, aber wir wollen nicht, dass er verdammt cleveren Jazz spielt‘.“
Hinsichtlich der beiden jüngeren Brüder von George – Angus, Leadgitarrist, der 2014 59 Jahre alt wurde, und Malcolm, Rhythmusgitarrist, 61 –, muss man nicht viel sagen. Die beiden haben einige der besten Songs und prägnantesten Gitarren-Riffs der Rockgeschichte kreiert. Sie werden auf der ganzen Welt erkannt und verehrt, sodass sich eine Einführung erübrigt. Sie einzeln zu charakterisieren ist beinahe unmöglich. Die Brüder führen persönlich – wie auch musikalisch – eine beinahe symbiotische Beziehung, obwohl sie sich unterschiedlichen Rollen verschrieben haben. Das war nicht immer so. Zu Beginn versuchten sie sich gegenseitig zu übertrumpfen, sich auszustechen, wie AC/DCs ursprünglicher Sänger Dave Evans angibt.
„Auf der Bühne bestand zwischen ihnen eine gesunde Rivalität. Am Anfang spielten Angus und auch Malcolm Leadgitarre. Sie duellierten sich auf der Bühne, was großartig wirkte, denn die beiden rammten sich fast die Köpfe dabei ein, besser als der jeweils andere zu sein. Schließlich billigte man Angus die Rolle des Leadgitarristen zu, in der er voll und ganz aufging. Schon die frühen Songs hatten viel Power, und das ließ niemals nach.“
Angus ist der Star, und das würde niemand bestreiten: die „atomare Mikrobe“, wie Albert Production oder Alberts, AC/DCs australische Plattenfirma, ihn einmal in einer Anzeige in der amerikanischen Musikpresse bezeichnete. Er hat ein scharf umrissenes, abgedrehtes Talent und sein „angenehm verzerrter und von Humbuckern verstärkter Sound“ ist so unverkennbar, dass ihn das Magazin Australian Guitar zum besten Gitarristen erkor, den der Kontinent jemals hervorbrachte.
Als Showman gibt es keine ebenbürtigen Konkurrenten und man kann ihn zweifellos als die beständigste Live-Attraktion des Rock ’n’ Roll bezeichnen. David Lewis, Musikjournalist für das nicht mehr existente britische Musikmagazin Sounds, beschreibt Angus transparent und stimmungsvoll: „[Angus wirkt durch] den Wahnsinn eines wilden und ungestümen Schuljungen, während er über die Bühne fegt, schwitzt und Chuck Berrys Duckwalk imitiert, dass es so aussieht, als würde ein Behinderter humpeln. Wie bei einem grotesken menschlichen Schwamm dringen Schweiß, Rotz und Schleim aus seinen Poren, brutal ausgepresst durch die Intensität des Gitarrenspiels.“
Bernard McGovern schrieb 1976 in der Londoner Zeitung The Daily Express: „Angus ist kein Schuljunge, sondern ein verrückter schottischer Rocker. Sein Bühnengebaren … beinhaltet unberechenbare Tobsuchtsanfälle, das Zerstören von Schulnotizbüchern, Rauchen und das Zerreißen seiner Schuluniform, deren Fetzen er ins Publikum wirft. Er sticht Nadeln durch Voodoo-Puppen von Lehrern und spielt einen höchst effektiven Rock ’n’ Roll, wobei er schreiend und mit den Beinen strampelnd auf dem Boden liegt.“
Lisa Tanner, eine ehemalige Hausfotografin von Atlantic Records, die einige außergewöhnliche AC/DC-Bilder aus den Siebzigern und Achtzigern zu diesem Buch beisteuerte, erinnert sich an Angus, der sich so sehr in seine Performance hineinsteigerte, dass er sich übergeben musste.
„Nach oder während des ersten Songs des Sets kam er von der Bühne, hängte den Kopf in eine Mülltonne und kotzte, wobei er immer noch Gitarre spielte. Ich sah ihn erstmalig mit Perry Cooper [Leiter der Promotion-Abteilung von Atlantic] und fragte verdutzt: ‚Ist mit ihm alles okay?‘ Perry antwortete mir, dass er das bei jeder Show macht.“
Sogar noch heute – obwohl er durch das Alter und die knackenden Gelenke etwas ruhiger geworden ist – zeigt sich bei Angus eine fast kindliche Ader. O’Grady nach hat sein unbeugsamer Wille, Gitarre zu spielen und zu üben, die Dimension einer lebenslangen Besessenheit angenommen: „Er war ein frühreifes Kind, dass sich auf der Gitarre wesentlich besser ausdrücken konnte als durch die Schulaufgaben oder die Sprache, wobei man ihn auch unterstützte. Für gewöhnlich sagte man: ‚Kümmere dich nicht um Angus – lass ihn Gitarre spielen‘.“
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