Rob Riley, der Falstaff der australischen Rockmusik und ein Mann, der von Mark Evans als der bedeutendste lebende Gitarrist des Kontinents hochgejubelt wird (kein geringes Lob, bedenkt man, dass Evans sowohl live als auch im Studio mit Angus und Malcolm spielte) ist ein bekennender Fan der Youngs: „Die meisten verstehen AC/DC nicht. Das ist verdammt noch mal keine schwierige Musik. Sie ist hörerfreundlich. Man muss kein verdammt guter Musiker sein, um sich das in den Schädel zu hämmern. Es rockt einfach. Sie waren und sind immer noch die Verfechter der Rockmusik. Ich muss den Fuß zu ihrer Musik klopfen und headbangen.“
Stevie Young, der Neffe der Youngs, der Malcolm nach seinem krankheitsbedingten Ausstieg permanent ersetzen wird, meint dazu: „Bei dem, was sie machen, sind sie ehrlich. Und darum sind sie eine so großartige Band.“
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Doch einigen reicht das immer noch nicht.
Die Kritiker, speziell in den USA, hätten sich früher nichts sehnlicher gewünscht, als dass die abgerissen wirkenden, mit der Gitarre aus der Hüfte schießenden Homunculi so schnell wie möglich in den Trümmern der Gorbals [Elendsviertel in Glasgow, A.T.] verschwinden, unter denen sie auch hervorgekrochen sind.
Dazu gehört auch Robert Hilburn. Der Johnny-Cash-Biograf und Rockkritiker der Los Angeles Times von 1970 bis 2005 hat ihnen einmal einen kräftigen Fußtritt verpasst: „Irgendjemand sollte bei AC/DC den Strom abstellen.“ Bei der Kontaktaufnahme für das Buch zeigte er zumindest ein wenig Bedauern.
„Das Review bezog sich auf ein Konzert, das mich wahrscheinlich sehr enttäuschte“, entschuldigt er sich. „Ich hatte das Gefühl, dass die Gruppe ins Schlingern geriet, denn ich war sicherlich kein Anti-AC/DC-Kritiker. Schon zuvor schrieb ich anerkennend über sie, und in meiner gedanklichen Bandliste stehen sie auf der positiven Seite. Allerdings nehmen sie dort keine Spitzenstellung ein, denn die ist Bands mit textlichem Einfühlungsvermögen und positiven Botschaften vorbehalten: The Band, Creedence Clearwater Revival, The Beatles, The Rolling Stones, The Who, The Kinks, U2, Nirvana, The Replacements, Rage Against The Machine, Nine Inch Nails, R.E.M., The White Stripes und Arcade Fire. Jeder Künstler oder jede Band, die ich als wirklich phänomenal in der Rockgeschichte einordne, hat Grenzen überschritten, denn ein Künstler und/oder eine Band sollte(n) die Erfahrungen des Lebens widerspiegeln, die Veränderungen im Laufe der Zeit. Die Musik sollte diese Entwicklungen reflektieren. Zum Beispiel muss ihre Neugier als Musiker sie dazu führen, neue Türen zu öffnen – schau doch mal, was die Beatles und U2 in der Hinsicht leisteten: Die Beatles entwickelten sich von ‚I Want To Hold Your Hand‘ zu Sgt. Pepper’s und U2 von The Joshua Tree zu Achtung Baby. Gleichzeitig müssten die Texte und Themen die neue Ideen und Gefühle reflektieren. AC/DC haben sich ein Lob verdient, besonders dafür, dass sie ihre Musik nicht recycelten. Sie spielen weder die gleiche Platte noch den gleichen Song wieder und wieder, wie es viele der kommerziell großen Acts machen. Jedoch denke ich, dass es ihrer Bandgeschichte dienlicher gewesen wäre, hätten sie sich von ihrer ursprünglichen Energie und dem Spaß zu etwas Substanziellerem entwickelt … So wie sich die Lage darstellt, sind sie eine Band, an die man mit Wertschätzung denkt, aber die man nicht verehrt – sozusagen eine Band ihrer Zeit, und nicht eine zeitlose Band.“
Hier stimmt Dave Evans mit Hilburn überein. Er behauptet, dass er sich seit dem Verlassen der Gruppe niemals eine neue Platte von ihnen zugelegt hat. Möglicherweise hat er einen guten Grund, sich völlig von AC/DC gelöst zu haben, bedenkt man, wie sie ihn bei seinem Rausschmiss 1974 behandelten, und die verächtlichen Kommentare, die er sich von den Youngs seitdem anhören musste. Allerdings muss man auch in Erwägung ziehen, dass seine glückliche Karriere der Verbindung mit AC/DC zu schulden ist, womit er quasi entschädigt wurde.
„Sie haben sich an den originalen und unverkennbaren Sound gehalten, und es ist schon verblüffend, dass sie dafür so lange berühmt sind. Ich schätze Musik mit unterschiedlichen Emotionen und Botschaften, wobei eine Gruppe immer noch ihrem Stil treu bleiben kann. Es ist wie beim Rap, der sich auf die gleichen alten Elemente bezieht, aber sehr populär ist, und Hip Hop, der sich für mich ständig gleich anhört, jedoch sehr angesagt ist – ich verstehe das nicht. Ich bin ein begeisterter Beatles-Fan und liebe besonders die ständige Weiterentwicklung, die Erforschung der Musik und der Emotionen. Sie haben die gesamte Welt auf eine fantastische musikalische Entdeckungstour mitgenommen und so viele Bands mit neuen und aufregenden Klängen beeinflusst wie auch ihr Publikum. Dabei verloren sie nie den Beatles-Sound. Woran es auch liegen mag – AC/DC sind heute die populärste Rockband der Welt.“
1976 tauchte die neu zusammengestellte Compilation High Voltage mit dem „Killer-Stampfer“ „It’s A Long Way To The Top“ in den amerikanischen Plattenläden auf. Billy Altman verriss AC/DC als „australische Champions der Hässlichkeit“, die „musikalisch nichts auszusagen haben (zwei Gitarren, Bass und Drums, die alle in einer ideenlosen Drei-Akkord-Formation watscheln)“ und den Sänger Scott, der „seinen Gesang mit einer wirklich ärgerlichen Aggressivität herausrotzt. Ich vermute, dass man es nicht besser kann, wenn man nur darauf aus ist, ein Star zu sein, um jeden Abend was zum Vögeln zu haben. Und das, meine Freunde, ist die Summe der Themen, die auf der Platte angeschnitten werden. Dummheit nervt mich. Kalkulierte Dummheit ist eine absolute Beleidigung.“
Altman, immer noch Musikjournalist, aber zugleich auch Hochschullehrer im Fachbereich Geisteswissenschaften der School of Visual Art in New York, wich nicht zurück, als ich ihn fragte, ob er mit der australischen Band nicht zu hart umgesprungen sei.
„Ich glaube nicht, dass ich hart war. Ich machte nur meinen Job. Und im Kontext des Jahres 1976 fiel mir exakt das äußerst negativ auf. Ja, sicherlich stehe ich zu dem, was ich schrieb – als Meinung der damaligen Zeit.“ Dann wies er auf eine Besprechung von Stiff Upper Lip hin, die er 2000 für die Webseite von MTV/VH1 verfasste. Dadurch wurde offensichtlich, dass auch er jetzt versucht, bei der Party mitzumischen. „Es ist alles eine Frage der Perspektive, nicht wahr?“
Einst gehässig gegen AC/DC, muss die amerikanische Musikpresse mittlerweile zähneknirschend akzeptieren, dass die Band nicht von der Bildfläche verschwindet, und somit die Existenz der Australier tolerieren. Sie bejubeln sogar Alben, die eigentlich nur einen Hauch von dem wiedergeben, was die Gruppe in den Siebzigern und frühen Achtzigern gnadenlos rausgehauen hat. Verdamme die guten Scheiben. Bejubele den Mist: Stiff Upper Lip ist ein Beispiel. Black Ice ein anderes.
Altmans neues Review war kaum die Krönung der Karriere eines Musikjournalisten, obwohl ihm zumindest die Entdeckung gelang, dass Angus Gitarre spielen kann. Eine gewisse Geringschätzung taucht aber immer noch auf, doch die wird in Höhlenmenschen-Metaphern („spitze kleine Köpfe von Menschen, die sich mit Verzögerung entwickeln“) und gedanklichen Blödsinn („störrische Tölpel“) gekleidet.
Was einst „kalkulierte Dummheit“ war, versucht Altman nun als „organischen Rock“ zu bezeichnen, „mit dem Schema zwei Gitarren – Bass – Drums, Strophe–Refrain–Strophe–Refrain–Solo–Strophe–Refrain–Refrain, kreischender Todesfeen-Gesang, ein dummer Text und Musik, bei denen die Riffs aus Stonehenge kommen.“ AC/DC, so bemerkt er, „können nun wahrscheinlich den Preis für die am längsten sich durch einen Sprung wiederholende Platte der gesamten Rockgeschichte beanspruchen. Alle ihre Songs klingen gleich – ja! – und was war es damals für ein verdammt guter Song.“
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