Ohne Zweifel wird eine Zeit kommen, in der sie Hip-Hop-Musikern nachgeben und Samples ihrer Musik lizenzieren. Dadurch wird ihr Werk wieder in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, womit sich eine neue Generation und der dazu gehörige Markt eröffnet. Public Enemy, die Beastie Boys und andere Acts haben offiziell versucht, AC/DCs Musik zu nutzen, wurden aber schroff abgewiesen. Jimmy Douglass zeigt sich über ihre beharrliche Haltung gegen das Unvermeidliche verwundert.
„Ohne Zweifel ist das Sampling – vorausgesetzt, es handelt sich um gute Umsetzung – die ultimative Schmeichelei. Es ist eine neue Kunstform. Nicht mehr und nicht weniger.“
AC/DC spielen auf riesigen Bühnen mit Glocken, Kanonen, Angus-Statuen und aufblasbaren „dicken Muttis“. Sie verpacken Greatest-Hits-Alben getarnt als Box-Sets und Soundtracks. Paramount Pictures nutzte 15 ihrer Songs auf einer Compilation für Iron Man 2.
O’Grady vertritt dennoch die Auffassung, sie betrieben keinen Ausverkauf: „Sie achten stets auf den Kontext. Also lizenzierten sie ihre Titel für Iron Man, da es zwischen dem Publikum des Films und ihrem Publikum Überschneidungen gab. Sie würden sie zum Beispiel für keinen Film freigeben, der die Tracks in einem ironischen Kontext einsetzt. Hätte sich ein Woody Allen mit einer Anfrage an sie gewandt, hätten sie vermutlich noch nicht mal die Briefe beantwortet.“
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Besucht man eBay und tippt AC/DC ein, wird man mit einer Vielzahl von Markenartikeln konfrontiert, die von aufleuchtenden Teufelshörnern bis hin zu Baby-Lätzchen reichen. AC/DC haben ein eigenes Weinsortiment, sowohl Weißweine, als auch Rotweine. Es gibt deutsches AC/DC-Bier, bei dem jede Dose einen „persönlichen Code enthält, mit dem man attraktive Devotionalien erwerben oder an einem Preisausschreiben teilnehmen kann“. (Die das Bier vertreibende Firma bietet sogar einen „High Voltage“-Energy-Drink an.) AC/DC haben eine eigene Produktlinie von Coverse Chuck Taylors, ihr eigenes Monopoly-Spiel und die eigenen High-End-Kopfhörer. Die jüngste Tournee brachte Bruttoeinnahmen in Höhe von 450 Millionen Dollar, womit sie den zweiten Platz bei den umsatzstärksten Konzertserien besetzen, gleich nach den Rolling Stones. 2011 waren sie die ersten Musiker, die in Australiens BRW-Magazin in die Liste der reichsten 200 Menschen des Kontinents gelangten. Im Jahr 2013 belegten sie im gleichen Magazin den 48. Platz der reichsten australischen Familien, mit einem zusammengezählten Vermögen von 225 Millionen Dollar. Es waren die einzigen Personen aus dem Entertainment-Geschäft.
Für Brüder, die sich mit Stolz der „No bullshit“-Philosophie verschrieben haben, muten die angehäuften Geldberge zumindest verstörend an. Im Gegensatz zu ZZ Top und Aerosmith, die sich von einem lockeren, rauen und behelfsmäßigen Beginn in den Siebzigern zu kommerziellen Ungetümen in den darauffolgenden Jahrzehnten entwickelt haben, interpretiert Tony Platt AC/DCs Transformation zu einer Stadionband als Zeichen ihres Charakters.
„Darin liegt die Stärke der Jungs. Sie haben auf einen sich entwickelnden Musikmarkt reagiert. Als das Publikum nach Größe, Bombast und so weiter förmlich schrie, haben sie sich als gute und vorausschauende Künstler weiterentwickelt, um dem Anspruch gerecht zu werden und ihn voll zu bedienen.“
Phil Carson, der während seiner Arbeit für AC/DC mehrere Male den Hals für sie in die Schlinge steckte, missgönnt ihnen den Erfolg nicht, auch wenn er zu Lasten einiger Beziehungen ging: „AC/DC haben einen starken und ehrlichen Kontakt zu den Fans aufgebaut. Für die Young-Brüder standen die Fans immer an erster Stelle. Darum hielten sie die Ticketpreise in einer Zeit niedrig, in der Künstler ihrer Liga mehr und mehr verlangten. Musikalisch fanden sie eine funktionierende Formel, und sie konzentrierten ihre kreative Energie darauf, innerhalb dieser Parameter zu bleiben. Sie machten weiter, überstanden die schwierige Phase von Flick Of The Switch und Fly On The Wall und kamen am Ende stärker und besser heraus.“
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Aber sie hinterließen dabei eine Blutspur.
Man muss sich nur vor Augen führen, wie sie sich einiger Bandmitglieder entledigten, Produzenten, Tontechniker, Manager und aller anderen Personen, mit denen es, aus was für einem Grund auch immer, unangenehme Reibereien gab: Dave Evans, Mark Evans, Mutt Lange, Phil Rudd (wurde für eine Dekade rausgekickt, nachdem er sich mit Malcolm während der Flick Of The Switch-Sessions wegen einer persönlichen Angelegenheit heftig zerstritt), Chris Slade, Michael Browning, Ian Jeffery, Peter Mensch, Steve Leber, David Krebs und ein Haufen anderer, darunter eine kleine Armee vergessener Drummer und Bassisten aus ihrer frühen Zeit in Australien. Die Namen Colin Burgess, Peter Clack, Larry Van Kriedt, Ron Carpenter, Paul Matters, Russell Coleman, Rob Bailey, Noel Taylor und der verstorbene Neil Smith nehmen in der AC/DC-Geschichte höchstens eine Platz im Register ein oder werden in trivialen Zusammenhängen genannt. Als Smith im April 2013 verstarb, würdigte man ihn nicht mal auf der offiziellen Webseite von AC/DC (zum Zeitpunkt der Niederschrift 29 Millionen „Likes“ auf Facebook mit steigender Tendenz).
Die „Opferliste“ hat den Brüdern nicht immer Glück gebracht. Der Verlust von Mensch, AC/DCs Manager zum Höhepunkt ihrer Popularität, und Lange, der beste Produzent, mit dem die Gruppe je zusammenarbeitete, wirkte sich mehrere Jahre sowohl kommerziell als auch künstlerisch negativ aus.
Es stößt mir sauer auf, dass AC/DC damit prahlen, wie viel sie für ihre Fans machen. Im Gegensatz zu anderen Bandmitgliedern, Managern und Journalisten riskieren Fans nämlich keine dicke Lippe. Sie sagen niemals Nein. Sie stellen keine unangenehmen Fragen. Sie schlucken den Hype. Kaufen den Merchandise. Stellen nicht die Autorität der Youngs in Frage. Laut einer Anekdote heißen AC/DC Außenseiter so willkommen wie ein Mongole Fremdlinge in seiner Jurte, seiner Hütte. Wie Mick Wall in seiner Biografie beschreibt, liegt „die Basis jeder AC/DC-Story“ in der Tatsache begründet, dass sie eher „ein Klan als eine Band“ sind. Der amerikanische Filmemacher und AC/DC-Superfan Kurt Squiers entschloss sich zur Produktion eines warmherzig gedachten Streifens mit dem Titel „Beyond The Thunder“, der die enge Beziehung zu den Fans durch die Musik dokumentierten sollte. AC/DC weigerten sich jedoch, daran teilzunehmen. Hier besteht ein inhärenter Widerspruch. Zum Zeitpunkt der Niederschrift war die Doku, an der jetzt schon einige Jahre gearbeitet wird, noch nicht veröffentlicht. Squiers und sein Partner Gregg Ferguson erhoffen sich eine Partnerschaft mit AC/DCs Management und den Segen der Gruppe für einen weltweiten Vertriebs-Deal.
Dave Evans malt ein Bild des „Insulaner-Verhaltens“: „Die Youngs traten als eine kompakte Einheit auf. Ich erinnere mich an George, der mir von der Zeit bei den Easybeats berichtete. Auf dem Papier waren sie Millionäre, doch das Ganze endete in einem finanziellen Desaster, da das Management sie über den Tisch gezogen hatte. Die Brüder rückten nah zusammen und keinem von uns wurde erlaubt, an den häufig stattfindenden Meetings teilzunehmen, was natürlich nicht gut ankam.“
Anthony O’Grady, der Familienfeste im Haus der Youngs in Burwood besuchte, die er als echte „Besäufnisse“ bezeichnete, teilt die Ansicht: „Für mich repräsentierte die Gruppe gleichzeitig den Young-Klan. Ich glaube nicht, dass noch jemand daran zweifelt, dass AC/DC die Fronttruppen des Klans symbolisieren. Malcolm ist der General der Band und Angus das nach vorne gerichtete Schwert – und alle anderen fügen sich in die Konstellation ein.“
O’Grady erlebte das aus nächster Nähe, denn man bat ihn eines Abends, das Haus zu verlassen, woraufhin er sich neben den total besoffenen und schlafenden Bon Scott in den Wagen setzte und „dem Prasseln des Regens auf dem Dach“ lauschte. Zwischenzeitlich wurden im Haus Bandangelegenheiten mit dem AC/DC-Manager Michael Browning besprochen. O’Grady musste den volltrunkenen und auf dem Sitz zusammengesunkenen Scott wieder aufrichten und mehre Male auf den Rücken klopfen, da dieser klang, als bekäme er keine Luft. (Hätte er nur 1980 neben ihm gesessen – in einem Renault 5 in Südlondon.)
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