Ich wechselte E-Mails mit Fifa Riccobono und Sam Horsburgh, den Torwächtern der drei Youngs. Riccobono ertränkte meine Hoffnungen schon am Anfang mit einem sprichwörtlichen Eimer kalten Wassers, aber erlaubte mir zumindest, einige schriftliche Fragen an George Young und Harry Vanda zu stellen. Doch das brachte mich genauso wenig weiter wie der Versuch, über Vandas neues Studio Flashpoint Music zu einem Kontakt zu kommen. Ich begegnete Vanda sogar eines Tages am Anlegeplatz Finger Wharf in Sydney. Er saß dort mit seiner Familie beim Lunch. Es war an einem gesetzlichen Feiertag, und so hielt ich es für sinnvoll, ihn in Ruhe zu lassen und vorbeizugehen.
„Ich habe es einige Male weitergeleitet, doch niemand kümmerte sich darum“, schrieb mir Riccobono nach längerer Zeit. „Es tut mir leid, Ihnen nicht helfen zu können … aber ich habe Ihnen gleich gesagt, dass die Chancen minimal sind.“
Horsburgh, der Mittelsmann von Angus und Malcolm Young bei der Produktionsfirma Alberts, erwiderte: „Ich werde ihre Anfrage weiterleiten und dabei erklären, dass sie [in ihrem Buch] eine andere Perspektive wählen, aber sie – Angus, Malcolm und George – lehnen Buchanfragen für gewöhnlich ab.“
Nichts geschah. Ich stellte eine erneute Anfrage, erhielt jedoch keine Antwort. Wie lässt sich diese Abschottung erklären?
„Nachdem AC/DC zu einer Gelddruckmaschine geworden waren, haben sie um ihre Familie quasi einen Zaun errichtet“, erklärt ein Insider das fast schon paranoide Schutzverhalten von Alberts.
In New York kontaktierte ich das Büro ihres Managers Alvin Handwerker und erläuterte mein Vorhaben. Erneut stand ich vor einer Mauer des Schweigens.
Das muss allerdings nicht schlecht sein. Musiker, sogar die besten, können sich nicht immer akkurat über die Details ihrer Arbeit auslassen. Die Youngs, unschlagbar scharfsinnige Strippenzieher und schlaue Männer – obwohl Angus und Malcolm einst von ihrem ehemaligen britischen Konzertveranstalter Richard Griffiths (nun Manager von One Direction) als „begriffsstutzig“ beschrieben wurden – sind nicht gerade für eine qualifizierte Schulausbildung berühmt. Sie mögen ein paar frivole Ausdrücke und lassen es sprachlich krachen, wenn es sich um Alk, Sex mit Groupies, Schlägereien in Kneipen und viel zu lange Züge an einer Kippe dreht. Melbournes Zeitung The Age äußerte in einer Besprechung der Engleheart-Biografie, dass die beiden, wenn sie sich nicht im „berühmten Gewölbe des Schweigens“ verbergen, sich in „schmutzigen, grammatisch verwaschenen Zitaten“ äußern und „kaum die eloquentesten Kommentatoren für so eine Legende“ sind.
„AC/DC werden sorgsam geschützt und verhalten sich nach wie vor unkooperativ. Leidende Biografen müssen alte Magazin-Interviews durchforsten und die Zeitzeugen befragen, die sich eine Aussage zutrauen.“
Als ein kontrovers diskutierter Punkt steht das Argument im Raum, dass Musik nicht erklärt werden muss. Es ist ein berechtigter Einwand, dem ich mich aber widersetze. Allerdings wurde das Schreiben dieses Buches durch die Tatsache zusätzlich erschwert, dass viele Personen innerhalb des AC/DC-Universums (oder ehemalige nahe Zeitzeugen) entweder tot sind, Interviews ablehnten, nicht antworteten oder jeglichen Kontakt vermieden, das Gefühl hatten, nichts Lohnenswertes beizutragen, oder sich überhaupt mit niemanden mehr unterhalten. Ich stellte über Handwerker formelle Anfragen an die drei anderen Mitglieder von AC/DC, jedoch ohne Erfolg. Ich versuchte sogar durch die Hintertür zu gelangen und ließ Brian Johnson einen persönlichen Brief durch einen Freund in Barcelona überreichen. Er musste unbedingt ausgedruckt sein, denn sonst hätte er ihn nicht gelesen. Erneut keine Reaktion. Mein enttäuschter Freund hatte mich schon zuvor gewarnt: „Wenn er nichts machen will, liegt das am Thema Young.“
Das Thema Young! Ich erkannte unmissverständlich, dass nicht jeder, der mit den Youngs zusammengearbeitet hat (sogar die Mitglieder der Band), auch über sie reden will – und das hat verschiedenste Gründe.
Das trifft auch auf den in der Schweiz lebenden Robert John „Mutt“ Lange zu, den wie besessen arbeitenden Mann hinter dem Multi-Platin-Erfolg von Foreigner, AC/DC, Def Leppard, Shania Twain, The Cars und Maroon 5. Mit ihm in Kontakt zu treten wäre zwecklos, wie mir seine beiden Freunde Terry Manning und Tony Platt verrieten. Wie auch Guus Hiddink, der niederländische Fußball-Manager, pflegt er einen besonderen Stil im Umgang mit den Medien: Nichts sagen, den eigenen Mythos vergrößern und damit den Marktwert steigern. Das zahlt sich offensichtlich aus, denn der Mann ist Millionen Dollar schwer. Der Produzent von Highway To Hell, Back In Black und For Those About To Rock ist das Schwergewicht in der Young-Story. Möglicherweise würden sie es vorziehen, wenn ihn niemand kennt, denn er übte einen grundlegenden Einfluss auf die Entwicklung ihres Sounds und der Karriere aus. Eins steht fest: AC/DC entwickelten einen Sound. Sie waren nicht von Beginn an eine statische Band!
„Das läuft nicht, und da bin ich mir ganz sicher“, lachte Manning, als ich ihm von dem Wunsch berichtete, Lange zu interviewen. Doch ich ließ mich nicht beirren und schickte Manning Mails, die er weiterleitete.
Wenige Wochen darauf meldete sich Manning.
„Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass er die ersten drei Fragen nicht beantworten wird, aber möglicherweise kommentiert er die vorletzte und eventuell auch die letzte. Ich werde es dich wissen lassen, wann und falls überhaupt.“
Die ersten drei Fragen drehten sich um die Arbeit mit AC/DC im Studio. Die Monate verstrichen. Keine Antwort.
Schließlich informierte mich Manning: „Wie ich vermutet hatte, zieht er es vor, die Fragen nicht auf einem öffentlichen Weg zu beantworten.“
***
Glücklicherweise unterhielt ich mich mit fünf Personen, die bei den besten AC/DC-Aufnahmen hinter dem Mischpult saßen, mit ihnen in nächster Nähe arbeiteten und ihren Sound besser kennen als alle anderen lebenden Zeitzeugen, mal abgesehen von Mutt Lange und George Young. Mark Opitz (Let There Be Rock, Powerage), Tony Platt (Highway To Hell, Back In Black, Flick Of The Switch, Let There Be Rock: The Movie – Live In Paris), Jimmy Douglass (Live From The Atlantic Studios), David Thoener (For Those About To Rock) und Mike Fraser (The Razors Edge, Ballbreaker, Stiff Upper Lip, Black Ice, Backtracks, Family Jewels, Iron Man 2, Rock Or Bust). Ihr Humor, das technische Fachwissen, die Kenntnis der Musik und die Freimütigkeit während des Projekts, das manchmal wie ein Kapitel aus Don Quijote erschien, werde ich niemals vergessen.
Aber auch andere in das Projekt involvierte Personen haben sich als wichtige Quellen und Hinweisgeber erwiesen: Die Easybeats-Ikonen Stevie Wright und Gordon „Snowy“ Fleet; die Rockproduzenten Terry Manning, Shel Talmy, Kim Fowley und Ray Singer; Barry Diament – Mastering-Tontechniker; AC/DCs erster Sänger Dave Evans; John Proud, Session-Drummer von AC/DC, Marcus Hook Roll Band und Stevie Wright; Tony Currenti, ebenfalls Session-Drummer von AC/DC und Stevie Wright; AC/DC-Bassist Mark Evans; die AC/DC-Manager David Krebs, Steve Leber, Ian Jeffery, Michael Browning, Cedric Kushner und Stewart Young; die australischen Rockmusiker Rob Riley, Bernard Fanning, Joel O’Keeffe, Tim Gaze, Chris Masuak, Phil Jamieson, Allan Fryer, John Swan, Mark Gable, Joe Matera, Deniz Tek und der verstorbene Mandawuy Yunupingu; die Rockjournalisten Billy Altman, Robert Hilburn und Anthony O’Grady; die Rockfotografen Lisa Tanner, Dick Barnatt und Philip Morris; Rockpromoter Sidney Drashin, Jack Orbin und Mark Pope; Matt Sorum, der Schlagzeuger von Guns N’ Roses, The Cult und Velvet Revolver; Terry Slesser, Sänger von Back Street Crawler; John Wheeler von Hayseed Dixie; der Dropkick Murphys-Frontmann und -Bassist Ken Casey; Georg Dolivo, Sänger und Gitarrist von Rhino Bucket; die hochrangigen Mitarbeiter von Plattenfirmen Phil Carson, Chris Gilbey, John O’Rourke und Derek Shulman; und insbesondere der unermüdlichen Jerry Greenberg, welcher an einem Punkt in den Siebzigern sicherlich durch seine Rolle als Präsident von Atlantic Records zu den mächtigsten Männern im Musikgeschäft zählte.
Читать дальше