»So, da bin ich.« Alexander ließ sich auf dem Sofa nieder und griff zu einem Brötchen, das er sich dick mit Wurst belegte. Er genoss sichtlich den Geschmack der Heimat.
»Zum Frühstück brauche ich meine Marmelade«, zwinkerte ihm Franziska zu. Sie wusste ja, dass er nach wie vor Marmelade ablehnte. Den Käse hatte sie lieber im Kühlschrank stehen lassen, denn den mochte er noch weniger. Da hatte sich nichts seit ihrer Kindheit geändert.
Zumindest liebten sie beide einen kräftigen Kaffee. Der ersten Tasse folgte eine zweite und noch eine dritte, ehe sich Franziska erhob.
»Ich bin dann mal im Bad und bringe meine Haare in Form.« Sie war nie übermäßig eitel gewesen, das brachte ihr Beruf einst mit sich, aber ein bisschen wollte sie sich zu solchen offiziellen Terminen schon stylen. Zur klassischen Jeans zog sie eine luftige bunte Sommerbluse an und hoffte, damit angemessen gekleidet zu sein. Als sie fertig war, hatte Alexander bereits den Frühstückstisch abgeräumt und verlangte nun seinerseits noch ein paar Minuten im Bad, um die Zähne zu putzen und das TShirt gegen ein Hemd zu tauschen. Dann verließen sie gemeinsam die Wohnung.
Alexander drückte auf die Fernbedienung und hielt seiner Schwester galant die Autotür auf. Franziska ließ sich in den weichen Ledersitz sinken und nickte anerkennend. Der metallicblaue Ford Mustang machte schon was her. Eine kleine Staubwolke aufwirbelnd schoss das Fahrzeug vom Parkplatz. Schon kurz nach dem Ortsschild hatte Alexander die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten.
»An dir ist auch ein Rennfahrer verloren gegangen«, lachte Franziska. Sie hatte einmal eine frühere Schulkameradin getroffen und Carola erzählte ihr, dass ihr Bruder im Rennsport aktiv sei. Da musste Franzi gleich an Alex denken.
»Aber so wirklich praktisch ist dein Flitzer nicht«, wandte sie ein und dachte an ihren Skoda Fabia und Michaels Audi.
»Muss er auch nicht sein«, erwiderte Alexander. »Wir haben ja noch einen großen Kombi. Aber die Gelegenheit war so günstig, da konnte ich nicht nein sagen. Er macht einfach Spaß.«
Der Kreisverkehr stoppte den Geschwindigkeitsrausch und wenige Minuten später erreichten sie schon die Stadt im Tal der Wipper.
Während sie sich dem Zentrum näherten, entdeckte Franziska am gegenüberliegenden Flussufer noch freie Parkplätze.
»Dort kannst du das Auto abstellen«, lotste sie ihren Bruder durch die engen Gassen. »Dann sind es nur noch ein paar Schritte bis zur Notarin.«
Als sie um die Ecke bogen, kamen ihnen von der anderen Seite drei Personen entgegen. »Na, was sagt man denn
dazu, perfektes Timing!«, flüsterte Franziska ihrem Bruder zu.
Alexander begriff sofort. Während Franzi die junge Familie, die nun ihr Elternhaus kaufen würde, schon mehrfach während der Besichtigungstermine mit dem Makler gesprochen hatte, war es für ihn das erste Aufeinandertreffen.
»Hallo, Familie Borkhof !« Franziska streckte den Dreien ihre Hand entgegen. »Das ist mein Bruder, Alexander Zandler«, wies sie auf Alex. »Und wer bist du denn?«, beugte sie sich zu den kleinen Jungen zwischen Annika und Heiko Borkhof hinunter.
»Das ist unser Sohn Lukas«, übernahm Annika Borkhof die Antwort. »Wir mussten ihn mitnehmen«, fügte sie sofort entschuldigend hinzu. »Er kommt nächste Woche zur Schule. Aus dem Kindergarten ist er dadurch schon raus. Wir haben ja Urlaub. Aber heute fand sich keiner, der ihn am Vormittag betreuen konnte.«
»Ach, das ist sicher kein Problem«, erwiderte Franziska. Sie ärgerte sich, dass sie nichts für den Jungen in ihrer Tasche hatte. Normalerweise fand sich immer etwas zum Spielen und zum Naschen in ihrer großen »Wohntasche«, wie sie das geräumige Teil nannte. Ihr Fränzchen wusste das schon ganz genau. Doch heute brauchte sie nichts außer ihren Papieren und etwas Geld, da hatte sie sich für die kleinere Umhängetasche entschieden.
Sie betraten die Räume der Geschäftsstelle, wo sie sogleich von der Notarin begrüßt wurden: »Guten Tag, Frau Gronnert, Herr Zandler, guten Tag, Familie Bork-
hof! Ich darf Sie direkt in das Beratungszimmer bitten. Und du, junger Mann«, sie beugte sich zu Lukas herunter, »bleibst doch bestimmt eine Weile hier bei Frau Schmidt.«
Die Sekretärin lächelte dem Kleinen zu. »Ich habe für dich Papier und Stifte, da kannst du etwas Schönes malen.« Lukas nickte.
»Nehmen Sie Platz«, wies die Notarin auf die an der Längsseite des Tisches angeordneten Stühle, während sie sich an der Stirnseite niederließ. »Bitte halten Sie zur Feststellung Ihrer Identität die Personalausweise bereit.« Nachdem das erledigt war, rückte sie ihre Brille zurecht.
»Ich werde Ihnen nun den Inhalt des Kaufvertrages vollständig verlesen.« Sie begann: » Heute erschienen vor mir in den Räumen der Geschäftsstelle in Hettstedt: Frau Franziska Gronnert und Herr Alexander Zandler, nachstehend Verkäufer genannt, sowie Herr Heiko Borkhof und dessen Ehefrau, Frau Annika Borkhof, nachstehend Käufer genannt .«
Franziska lehnte sich an den gepolsterten Stuhl und ließ den Text an sich vorüberrauschen. Sie wusste, dass er insgesamt elf eng beschriebene Seiten umfasste, die sie mehrfach selbst gelesen hatte. Mit diesem Vertrag schloss sich ein großes Kapitel ihres Lebens. Alexander griff nach Franziskas Hand und drückte sie sanft.
Das letzte Blatt lag nun vor der Notarin. Sie zitierte: »Die Niederschrift wurde den Erschienenen von der Notarin vorgelesen, von ihnen genehmigt und unterschrieben.«
Sie blickte auf. »Alles in Ordnung?« Von allen kam ein deutliches »Ja«.
»Dann bitte ich Sie, auf der letzten Seite nacheinander mit Vorund Zunamen zu unterschreiben.« Sie schob Franziska die Akte hin.
Franziska spürte, wie ihr Herz schneller pochte, wie ihr ein wenig die Finger zitterten. Dann setzte sie ihren Namenszug auf das Blatt. Alexander tat es ihr gleich und reichte den Vertrag über den Tisch zu Heiko Borkhof. Nachdem auch Annika unterschrieben hatte, setzte die Notarin als Letzte ihr Unterschrift darunter.
»Damit ist der Vertrag geschlossen«, fasste sie zusammen. »Die Kopien werden Ihnen per Post zugeschickt. Für Sie«, ihr Blick ging zu Alexander und Franziska, »ist mit dem Geldeingang auf Ihren Konten die Sache erledigt. Das sollte in etwa vier bis sechs Wochen der Fall sein. Die Finanzierung war ja abgeschlossen.«
Annika und Heiko nickten.
»Und Sie, Familie Borkhof, bekommen dann Post vom Grundbuchamt und vom Finanzamt. Ich gratuliere Ihnen zum Kauf Ihres Hauses und wünsche Ihnen alles Gute.« Sie erhob sich und reichte allen Beteiligten noch einmal die Hand, ehe sie die Tür öffnete.
»Guckt mal, Mama, Papa, ich habe unser Haus gemalt!«, kam ihnen Lukas sofort entgegengesprungen.
War Franzi eben noch etwas betrübt gewesen, jetzt huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie wünschte nichts mehr, als dass dieser kleine Junge dort ebenso froh und glücklich aufwachsen würde, wie sie und Alex es erlebt hatten. Sie verließen das Gebäude und blieben vor der Tür noch einmal auf dem Bürgersteig stehen.
»Alles Gute für euch!« Franziska drückte Annika fest die Hand.
»Ich danke dir, ich bin ja so glücklich!«, gab Annika zurück.
»Zieht ihr bald ein?« Sie hatte sich mit den beiden schon während der ersten Besichtigung auf das einfachere Du geeinigt. Und jetzt, außerhalb der Amtsräume, wollten sie das auch beibehalten.
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