Kopfschüttelnd schmunzelte Freya über seine Unwissenheit und überlegte angestrengt, wie sie ihm diese Dinge erklären sollte. Bevor sie allerdings antworten konnte, mischte sich überraschenderweise Ray ein und erklärte: »Das Licht stammt von Glühbirnen. Diese erzeugen mittels Strom Licht. Was den Kaltraum betrifft, so nehme ich an, du meinst den Kühlschrank, der wird auch mit Strom betrieben. Der Strom wird zwar mithilfe der Magie erzeugt, ist aber nicht direkt damit verbunden. Es gibt auch einige Methoden, Strom ohne Magie zu generieren.«
Leicht irritiert wandte sich Zayn an Ray und stellte seine nächste Frage: »Was ist Strom?«
»Elektrischer Strom ist ein Fluss - oder Transport - von Ladungsträgern. Er fließt zwischen Quelle und Verbraucher in Kabeln, meist mit dem Metall Kupfer im Inneren -«, Ray unterbrach sich selbst, als er den überaus verwirrten Ausdruck in Zayns Gesicht sah.
»Okay, ganz einfach ausgedrückt … Du kennst doch Blitze. Ein Blitz ist nichts weiter als der Ladungsausgleich elektrischer Energie, die in großer Höhe in den Wolken durch Reibung entsteht. Die Menschen haben gelernt, diese Energie selbst zu erzeugen und zu nutzen.«
»Die Menschen beherrschen die Macht, Blitze zu kontrollieren?«
»Ja und nein. In diesem Zusammenhang nicht direkt, es ist so …«
Freya sah dem Gespräch grinsend zu. Zayn hatte geschafft, was ihr misslungen war. Schnell warf er ihr ein Lächeln zu. So konnten sie also ein Gespräch mit Ray führen. Schnell konzentrierte sich Zayn auf das Gesagte. Ray wusste wirklich eine Menge. Es dauerte mindestens eine Stunde, bis sein Schädel dröhnte und er es nicht wagte, weitere Fragen zu stellen. So langsam hatte er zumindest den Unterschied zwischen Technologie und Magie verstanden. Auch wenn sich die beiden für ihn nach demselben anhörten, bestand Ray darauf, dass es einige entscheidende Unterschiede gab.
»Danke. Wenn du es mir gestattest, frage ich dich später nach weiteren Einzelheiten. Aber jetzt ist es genug. Ich kann nicht mehr.« Geistig erschöpft erhob er sich. Nach ein paar Dehnübungen, um seine Muskeln zu lockern, schaute er in die Runde und sagte: »Ich gehe zum Haus zurück und mache ein paar Kampfübungen. Kommt ihr mit oder bleibt ihr noch hier?«
Freya hielt dies für eine gute Idee, Ray schwieg eisern. Also schnappte sich die Prinzessin ihren Schützling bei der Pfote. Gemeinsam wanderten die drei gemächlich in Richtung des Herrenhauses.
*
Während Freya es sich auf einer Liege am Pool bequem machte und Ray auf die neben ihr bugsierte, bereitete Zayn sich vor. Die meisten anderen Wesen hielten sich hier auf. Die Otterbrüder, einer dümmer als der andere, planschten im Wasser, wobei sie sich am Rand festhielten. Auf der anderen Seite von ihnen lag das graue Hundewesen Nico lesend im Gras. Gegenüberliegend seiner Herrin sonnte sich Silver, der schwarze Panther und döste vor sich hin.
Zayn hatte noch nicht einmal richtig angefangen sich aufzuwärmen, da blieb ihm vor Erstaunen das Maul offenstehen und er starrte zum Hintereingang des Hauses. Durch sein merkwürdiges Gebaren richtete sich die Aufmerksamkeit der anderen ebenfalls dorthin.
Vom Haus her kamen der Meister und Kiyoshi – Hand in Pfote. Sein Interesse galt jedoch dem Umstand, dass der Mensch die magische Robe abgelegt hatte und nun schutzlos war. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt, den Meister zu überwältigen. Aber seine Herrin hatte verboten, den Menschen anzugreifen. Zumal der Meister die Wesen gut behandelte, jedenfalls nach dem, was die anderen erzählt hatten. So ganz konnte er immer noch nicht glauben, dass er jetzt ein Sklave sein sollte.
Die anderen Wesen in der Runde sahen ebenfalls gebannt zu den beiden, wobei ihnen wohl ganz andere Dinge durch ihre Köpfe gingen. Nico fing sich als Erster und pfiff ihnen frech zu. Dann machte er mit seinem Maul Kussbewegungen und verstärkte das Bild mit seinen Armen, welche er um eine imaginäre Person vor sich schlang. Zayn erkannte seine Absicht, er wollte Kiyoshi verspotten und ins Lächerliche ziehen.
Dieser Schuss ging jedoch nach hinten los. Kaum dass sich Kiyoshis Verärgerung auf dessen Gesicht zeigte, drehte der Meister dessen Kopf zu sich und gab ihm vor aller Augen einen langen Kuss. Genießerisch hob der weiße Tiger eines seiner Beine und streckte sich dem Menschen entgegen, wobei er seine Arme um dessen Hals schlug. Diese Aussage war eindeutig: »Der Meister ist mein.«
Dieser setzte sogar noch einen oben drauf. Er griff nach der Taille seines Freundes und beugte sich weit nach vorne, sodass Kiyoshi nur noch dank dessen Unterstützung nicht auf den Boden fiel. Als die zwei ihre Show beendeten, schallte ihr fröhliches Lachen zu den Wesen am Pool herüber.
Mit einem Grinsen im Gesicht kam das ungleiche Gespann zu ihnen. »Daran müsst ihr euch wohl gewöhnen, Leute«, gluckste der Meister fröhlich. Nico biss sich auf die Unterlippe und dachte angestrengt nach, wie er Kiyoshi ärgern konnte.
Aus den Augenwinkeln nahm Zayn wahr, dass Nico dämonisch grinste und sich wieder dem Buch zuwandte. »Ach, wenn es weiter nichts ist. Ich meine, ein Mensch, der mit seinem Sklaven rummacht, das ist nun wirklich nichts Neues mehr.«
Kiyoshis rote Augen zuckten bei dieser Bemerkung. War es Wut? Nein, aber was war es dann? Mit Erstaunen erkannte Zayn Angst in dem Katzengesicht.
Plötzlich erklang die messerscharfe Stimme des Meisters: »Nico, willst du damit etwa andeuten, ich würde meinen Freund dazu zwingen, mich zu küssen?«
Entgeistert und mit vor Schreck geweiteten Augen sah Nico auf. Der Meister stellte sich schützend und bebend vor Zorn vor seinen Freund.
»Nein, das meinte ich nicht so … ich …« Nico wusste offenbar nicht, was er sagen sollte.
»Oder wolltest du Kiyoshi sagen, dass er ein wertloser Sklave sei?«
»Nein, Meister. So meinte ich das sicher nicht.«
Auch wenn der Mensch seine Wut nicht vollständig unterdrücken konnte, rang er sichtlich darum, seine normale Fassung zurückzuerlangen. Bemüht ruhig erklärte er, wobei seine Worte nicht nur Nico galten: »Ihr alle habt schreckliche Dinge durchgemacht. Kiyoshi zum Beispiel wurde über zehn Jahre von Ursay zu allem Möglichen gezwungen. Ich verbitte es mir, dass ihr mich auf dieselbe Stufe wie diesen Schlächter stellt! Ich lasse euch allen die Wahl. Ihr müsst nichts tun, was ihr nicht wollt. Und ich möchte nicht, dass ihr euch gegenseitig als Sklaven abstempelt.«
Hastig ging Nico auf alle viere und drückte den Kopf ins Gras: »Ich entschuldige mich für meine Worte. Ich habe nicht nachgedacht. Was ich sagte, war respektlos.« Dann wandte er sich direkt an Kiyoshi. Er hob leicht sein Haupt, sah ihm in die Augen und gestand: »Kiyoshi, ich wollte dich wirklich nicht als einen Sklaven abstempeln und andeuten, dass du keine Wahl hast. Bitte verzeih mir.«
»Ich verzeihe dir«, kam es etwas kleinlaut von Kiyoshi. Auch der Meister schien zufrieden und sein ganzes Gebaren änderte sich schlagartig. »Ich nehme deine Entschuldigung ebenfalls an. Ich weiß, dass es für euch nicht leicht ist. Ihr seid alle viele Jahre lang misshandelt worden. Ich weiß auch, dass ihr euch nicht über Nacht an eure neue Freiheit gewöhnen könnt, aber versucht es bitte. Lasst uns alle nach vorne sehen und die Vergangenheit hinter uns lassen.«
Eifrig nickten alle. Sogar die Otter taten es den anderen gleich, auch wenn die Übrigen sich nicht sicher waren, ob die Brüder verstanden hatten, worum es gerade ging. Einzig Zayn stand sprachlos da und beobachtete die Szene distanziert.
Der Meister hatte Kiyoshi in Schutz genommen. Zayn war nicht entgangen, dass dieser den Menschen mit glühenden Augen dankbar ansah. Auch die kleine Geste, mit der dieser seine Pfote auf den Rücken des Mannes vor ihm legte und ihn leicht streichelte, entging Zayn nicht. Ja, Kiyoshi hatte sich willentlich für diese, wenn auch höchst seltsame, Beziehung entschieden.
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