Meine Schwiegermutter liebt diese Gruppe über alles, kennt sämtliche Lieder auswendig. Sie singt leise mit. »So lange man Träume noch leben kann«
»Wollen wir tanzen, Frau Kammerberger?« fragt mein Chef freundlich lächelnd.
»Gerne« lächelt meine Schwiegermutter zurück. Sie springt auf, nimmt Kallenberger an der Hand, zieht ihn zur Tanzfläche und schlingt ihre Hände um seinen Nacken. Sie drückt sich an ihn. Viel zu eng, wie ich meine.
»Mein Gott, wie peinlich« sage ich.
»Was ist daran peinlich, wenn meine Mama mit deinem Chef tanzt?«
»Daran, dass sie tanzt, ist nichts Peinliches, aber wie sie tanzt. Guck dir das doch mal an. Das ist nicht nur peinlich, das ist megapeinlich! Die Kollegen schauen schon zu uns rüber, Dania, merkst du das denn nicht?«
Suchende Blicke aus blau-grau-grünen Katzenaugen wandern über die festlich gedeckten Tische: »Na und, dann sollen sie halt gucken«
Mein Chef und meine Schwiegermutter tanzen fast den ganzen Abend miteinander. Bei »Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein« sieht sie ihm vielsagend in die Augen, legt für einen kurzen Moment ihren Kopf an seine Schultern. Dann sagt sie: »Zeit, nach Hause zu gehen«
Und lässt ihn mitten auf der Tanzfläche stehen.
»Mein Gott, wie peinlich ist das denn?«
»Die Mama wird schon wissen, was sie tut«
Ein paar Tage nach dem Betriebsfest kann ich kaum glauben, was ich lese. Ich halte meine Gehaltsabrechnung direkt unter das Neonlicht im Flur. »500 Euro mehr« flüstere ich. »Satte 500 Euro mehr« Ich schüttle meinen Kopf: »Das gibt‘s doch nicht«
Und just in diesem Moment geht die Tür zum Allerheiligsten auf.
»Stimmt etwas mit ihrer Gehaltsabrechnung nicht, Herr Kammerberger?«
»Ich habe 500 Euro mehr als sonst auf meiner Gehaltsabrechnung«
»Die Gehaltserhöhung war wohl schon längst überfällig, mein Lieber« Kallenberger tätschelt wohlwollend meinen Rücken.
»Mein Name ist Nägele. Oliver Sven Nägele. Ich arbeite seit zehn Jahren in ihrem Betrieb. Ich bin verheiratet. Meine Schwiegermutter heißt Kammerberger«
»Sie wollen doch eine Familie gründen, Herr Kammerberger«
»Nägele«
»Und kein Geld für die Kinderchen zu haben, das schafft Konflikte« Kallenberger zwinkert mir vertraulich zu. Viel zu vertraulich, wie ich meine. »Ab dem dritten Kind gibt‘s noch mal einen Aufschlag« sagt er. Dann steuert er die Toilettentür an, drückt die Klinke nach unten, dreht sich in der halb offenen Tür noch einmal zu mir um: »Und grüßen sie doch bitte ihre reizende Schwiegermama recht herzlich von mir«
10. Kapitel
»Ich weiß nicht, wie ich den Tag rumkriegen soll, Olli« jammert meine Schwiegermutter, die seit ein paar Wochen in Rente ist. Dania ist schon in der Arbeit. Ich bin gerade auf dem Sprung in die Firma.
Die heiß ersehnte Freiheit ist ihr zur Last geworden. Sie vermisst den täglichen Kontakt mit ihren Kolleginnen, der Kundschaft. Sie braucht das Gefühl, etwas geleistet zu haben, wenn der Tag zu Ende ist, meint sie. Was ich meinerseits sehr gut verstehen kann. Ich möchte auch nicht den lieben langen Tag sinnlos vor mich hindümpeln. Aber ich bin auch nicht für ihre Unterhaltung zuständig, wie ich meine.
»Dann koch doch, Gisela. Putze. Wasche. Nähe etwas. Wie andere Frauen auch« schlage ich vor.
»Wenn es Enkelkinderchen gäbe, dann wäre einiges anders« brummt sie missmutig.
Sie stürzt sie sich in die Hausarbeit, wischt jeden Tag das ganze Haus nass heraus, überzieht jeden zweiten Tag die Betten, backt, kocht Mengen, die für eine ganze Fußballmannschaft reichen würde.
»Seit sie in Rente ist, sieht es bei uns steriler aus als in einer Klinik. So richtig ungemütlich« beschwere ich mich bei meiner Ehefrau.
»Du hast es so gewollt, Olli«
»So nicht, Dani«
»Dir kann man es nicht Recht machen, Olli«
»Sprich bitte mit ihr. Mach ihr Vorschläge, Dani, die außer Haus stattfinden, sonst kriege ich den Vogel hier«
Am nächsten Tag spricht Dania mit ihrer Mutter. Aber wie so oft kommt es anders als man denkt.
»Die Einsamkeit und das Nichtgebrauchtwerden, das ist kaum auszuhalten, Dani«
»Und wie wäre es mit einem Kurs an der Volkshochschule, Mami?«
»Das sind doch nur alte Leute, Dani«
Dania schlägt ihrer Mutter vor, sich ehrenamtlich zu betätigen, was sie aber strikt ablehnt.
»Wenn es Enkelkinderchen gäbe, dann …
Nach langem Zögern meldet Gisela sich doch für diverse Kurse an. Sie lernt backen ohne Mehl, kochen ohne Fleisch, Reifen wechseln, Wasserhähne reparieren. Sie erlernt den orientalischen Tanz, näht PatchworkDecken, töpfert Blumenvasen, erlernt Power-Yoga und absolviert einen Einsteigerkurs in die PC-Welt. Aber keiner der Kurse ist so wirklich ihr Ding.
»Wenn es Enkelkinderchen gäbe, dann wäre so …
Ich will mich gerade zu meinem Sonntagnachmittagsnickerchen zurückziehen, da macht Dania den Vorschlag aller Vorschläge. »Nimm die Mama doch mal mit auf den Fußballplatz, Ollischatz«
Und das war es dann. Meiner Schwiegermutter gefällt es auf dem Sportplatz. Sehr sogar! Sie begleitet mich jetzt jeden Sonntag, während meine Oma mit meiner Ehefrau daheim auf dem Sofa sitzt und strickt. Meine Oma bringt meiner Süßen gerade bei, wie man Zopfmuster strickt. Und das kann dauern, wie meine Oma mir versicherte. Bei ihr hat es auch nicht auf Anhieb geklappt.
11. Kapitel
Europameisterqualifikation 2014/15. Heute spielt Deutschland gegen Polen und ich habe meine Fußballkumpels zu mir nach Hause eingeladen: Alex, Domi, Thomas, Adrian, Hebbe, Lutze, Martin, Mike, Bernd, Dennis und Dalibor, unseren Trainer. »Geschickt, dass das Spiel an einem Samstagabend stattfindet. Sehr geschickt sogar« meint meine Schwiegermutter. »Dann mache ich halt zwei, drei Schüsselchen Kartoffelsalat mehr«
Bei uns gibt es jeden Samstagabend Kartoffelsalat und Würstchen, dazu Besenbrot. Gisela liebt Traditionen. Und Samstagabende sind für sie schon immer besondere Abende gewesen. »Der Abschluss für eine Arbeitswoche. Das Sich-Los-Lösen der Wochenpflicht. Raus aus dem Stress und Erfüllung der Muße. Familie genießen« meint sie.
Ich hole unsere Festzeltgarnitur aus dem Keller, stelle sie im Wohnzimmer auf. Gisela poliert die Biergläser und Schnapsgläser, legt Deckchen auf den Tisch, verteilt Blümchen, brennt Lavendel-Duft-Teelichter an.
»Treib‘s mal halb lang, Gisela. Wir sind doch nicht beim Kaffeeklatsch im Altenheim«
Meine Schwiegermutter lacht laut auf: »Scherzkeks« Sie zündet ein Kerzchen nach dem anderen an.
»Ich meine das ernst, Gisela. Räume deine albernen Deckchen und Blümchen ab«
Ich werde laut. »Es ist mein Besuch. Männerbesuch«
Ich reiße die Fenster auf: »Hier riecht es wie in einer Leichenhalle«
»Lavendelduft beruhigt die Nerven, lässt die Seele aufatmen und das Herz frei werden! Aber wenn du lieber Orangenduftoder ApfelduftTeelichter haben willst, Olli? Ich habe auch noch Rosenduft-Teelichter und …
Mein Hals wird eng und enger. »Deckchen weg, Gisela!« sage ich heiser.
»Das wird ein Megasieg heute, Bub«
»Wenn du da nur mal Recht hast« sage ich entnervt.
»Du zweifelst doch nicht etwa an unserer Mannschaft, Olli?«
»Die Polen spielen super, wie du weißt«
»Deutschland hat noch nie gegen Polen verloren, das solltest du eigentlich wissen, Olli«
Sie hockt den ganzen Abend lang bei uns, trinkt ein Pils nach dem anderen, dazwischen immer wieder ein Schnäpschen. Sie fiebert mit, feuert die Spieler an, schreit während des Spiels lauter als meine Kumpels. Dann springt sie auf, reißt ihren Stuhl mit um, klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Mein Gott, was war das doch wieder für eine Chancenverschwendung. Das ist doch nicht zu fassen! Ich frage mich nur, für was die lahmen Burschen so viel Geld einstreichen«
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