Ich stehe auf, erledige Dinge, die ich schon lange erledigen wollte, ziehe Schrauben fest, öle die quietschende Gartentüre, räume den Keller auf, bis es Zeit ist, zur Arbeit zu fahren. In der Mittagspause gehe ich in den Baumarkt, kaufe die Kartoffeln und Äpfel aus dem Sonderangebot, Blümchen für Dania. Und damit meine Schwiegermutter nicht mehr im Dunkeln herumtappt wie ein blindes Huhn, kaufe ich Nachtlichter für Kleinkinder. Ich bringe sie gleich nach Feierabend vom Kinderzimmer aus über den gesamten Flur bis in unser Badezimmer an.
Meine Süße zeigt sich hocherfreut über die Sternenhimmelschlummerlichter, freut sich darüber noch mehr wie über die Blümchen. Sie sieht mich verheißungsvoll an, knabbert an meinem linken Ohr und flüstert:
»Vielleicht brauchen wir die Nachtlichter bald für uns selbst, Schatz«
Sie streichelt meine Wangen, wuschelt durch meine Haare, murmelt.
»Es ist besser, nachts nicht so viel Licht zu machen, sonst kommen die Babys ganz aus der Reihe, Schlummerlichter reichen da völlig aus«
Sie strahlt wie die Sonnengöttin: »Ich werde ganz entspannt bei gedämpftem Licht stillen können …
Wir gehen früh zu Bett. Ich krieg aber, verdammt noch mal, keinen hoch, wenn ich weiß, dass die Schwiegermutter im Zimmer nebenan schläft. Da kann Dania noch solange an meinen Ohren knabbern. Da wird nix draus. Es funktioniert einfach nicht.
8. Kapitel
Meine Schwiegermutter überrascht mich immer wieder mit neuen Ideen. Dieses Mal geht es um einen Mutter-Tochter-Urlaub. Gisela will doch tatsächlich mit Dania in Urlaub fliegen, stell sich das einmal einer vor. Nach Dubai! Auf die Palmeninsel. Ins Luxushotel »Atlantis The Palm Hotel & Resort.« Ohne mich! Hat sich dafür ihre Lebensversicherung auszahlen lassen. Stell sich das mal einer vor!
»Wer weiß, wie lange die Mama noch reisen kann, Schatz« sagte meine Ehefrau. Und wenn mir jetzt einer sagt, das wäre noch normal, dann hat er schlichtweg einen an der Klatsche. Schließlich sind Dania und ich frisch verheiratet. Fast noch frisch, jedenfalls. Und wir waren noch keinen einzigen Tag unserer Ehe zu zweit allein in unserem Haus.
»Warum sollte meine Mama allein in der Erdgeschosswohnung herumhocken, Ollischatz? Wer weiß, wie lange wir sie noch haben werden«
Nach ihrem Reisevorschlag fängt meine Schwiegermutter an zu kochen. Gisela kocht nicht irgendein Essen. Nein! Sie kocht mein Lieblingsessen: Rostbraten mit knusprig gebratenen Zwiebeln und megadunkler Soße. Genauso, wie ich die Soße besonders gerne mag. Dazu schabt sie schüsselweise goldgelbe Spätzle, macht schwäbischen Kartoffelsalat. Eine Hochzeitssuppe mit Marklößchen, Eierstich und Flädle vorneweg.
Die Brühe ordentlich angesetzt mit Suppenfleisch und viel Gemüse aus unserem Vorgarten. An die Suppe meiner Schwiegermutter kommt niemand ran. Die schmeckt einfach himmlisch. Da könnte ich glatt darin baden. Der Rostbraten, butterzart, die Soße mit einem Schuss Samtrot geküsst. Göttlich! Kochen kann sie, meine Schwiegermutter. Das muss man ihr lassen. Aber mich mit Rostbraten, Spätzle und Kartoffelsalat zu erpressen, das ist schon eine Sauerei!
Dania stellt drei Flaschen Stuttgarter Hofbräu Pilsner auf den Tisch:
»Wie geht es uns doch gut! Es ist doch ein Segen, dass wir die Mama bei uns im Haus haben dürfen, gell Schatz«
Manchmal ist es besser zu schweigen.
Meine Ehefrau und meine Schwiegermutter setzen ihre Pilsgläser ab, wischen sich den Bierschaum mit den Handrücken von den Mündern und lächeln mich an. Ihre Bewegungen sind so was von identisch, das gibt es gar nicht. Mutter und Tochter haben so ziemlich die gleiche Stimme, in etwa die gleiche Figur, denselben Kleidergeschmack, die gleiche Frisur. Meine Schwiegermutter trägt den gleichen Goldton im blond gefärbten Haar wie meine Dania im echten. Kein Wunder, dass ich neulich versehentlich »Schatz« zu ihr gesagt habe.
9. Kapitel
»Nicht jeder hat das Glück, seine persönliche Friseurin im Haus zu haben« lacht meine Oma, während Gisela an meinen Haaren herumschnippelt. Mehr Kürze bringe mehr Fülle, meint sie. Als ich mich dann im Spiegel betrachte, erschrecke ich. »Ich sehe aus wie ein Hamster unter Stromschlag«
»Boris-Becker-Frisur« lacht Oma.
»Das trägt man heute so, Ollischatz« sagt Dania.
»Und mit diesem Stoppelfeldschnitt soll ich bei unserem Betriebsfest erscheinen?«
»Halt still, Olli! Da muss noch Gel eingearbeitet werden. Die Frisur ist top aktuell, ich habe sie schon bei mehreren prominenten Männern gesehen. In Hollywood ist sie gerade der letzte Schrei«
»Ich bin doch nicht ihre Frisurenpuppe, verdammt noch mal. Was bildet sie sich überhaupt ein. Aber wenn ich jetzt noch mehr aufbegehre, habe ich noch mehr Stress. So sage ich nur: »Wir sind aber in Stuttgart«
Es ist eine Selbstverständlichkeit für meine Schwiegermutter, dass sie Dania und mich auf das Betriebsfest begleitet. Für meine Ehefrau und meine Oma übrigens auch.
Gisela brezelt sich für den Abend auf wie zu einem Staatsbankett. Enges, schwarzes, viel zu kurzes Kleid für ihr Alter, wie ich meine. Mit viel zu tief geschnittenem Ausschnitt und viel zu hohen Schuhen. Sie trägt tomatenroten Lippenstift. Apfelduftparfüm. Goldenen Lidschatten. Hat sich ihre Krallen rot lackiert …
Demonstrativ setze ich meine Army Cap auf.
»Aber Olli, deine Frisur. Du machst ja meine ganze Arbeit kaputt. So kannst du doch nicht mit mir beim Betriebsfest erscheinen«
»Du kannst ja daheim bleiben« brumme ich.
Sie schnappt nach Luft wie ein Krokodil, reißt ihr Maul auf bis zum Anschlag und japst: »Undank ist der Welt Lohn«
Auf dem Betriebsfest. Schwiegermutter steuert geradewegs den Tisch in der ersten Reihe an. Sie streckt meinem Chef ihre rechte Hand hin.
»Und sie sind Herr Kallenberger. Ich habe ja schon so viel von Ihnen gehört«
Sie lacht aufreizend, schüttelt seine Hand wie ihren Schüttelmixer von Tupper.
»Natürlich nur Gutes, Herr Kallenberger«
Der fragende Blick meines Chefs trifft mich. Am liebsten würde ich im Fußboden versinken.
»Darf ich Ihnen meine Schwiegermutter vorstellen« sage ich leise.
»Frau Gisela Kammerberger«
»Aha«
»Wir sind ja fast namensverwandt, Herr Kallenberger« flötet Gisela. Als hätte sie das eben erst festgestellt. Ich suche den Blick meiner Ehefrau. Dania sieht sich im Saal um.
Meine Schwiegermutter plappert munter weiter. Der Blick meines Chefs bleibt in ihrem Ausschnitt hängen.
»Äh« murmelt er, dann nochmals »Äh«
Er räuspert sich. »Dann nehmen sie doch mal Platz, Frau Kammerberger«
Gisela lässt sich das nicht zweimal sagen. Sie platziert sich ungeniert auf den Stuhl rechts neben meinem Chef, steckt die Karte, auf der »Reserviert« steht, kurzerhand in ihre neu erstandene goldene Handtasche:
»Das hat sich ja jetzt erledigt«
»Setzen sie sich doch, Herr Nägele, Frau Nägele«
Dania und ich setzen uns. Schweigend. Mein Chef fragt uns, was wir gerne trinken möchten. »Champagner« antwortet Gisela wie aus der Pistole geschossen.
»Champagner?« fragt Kallenberger erstaunt. »Champagner gibt es bei uns nicht, gnädige Frau«
Und jetzt ist meine Schwiegermutter erstaunt: »Ach?«
»Wir trinken Rilling Sekt«
»Ach? Auch an so besondern Tagen wie heute?«
»Gerade an so besonderen Tagen wie heute« kontert Kallenberger.
»Gewöhnlich trinken wir hier Bier«
Ich schaue meiner Schwiegermutter stumm in die Augen, hoffe, dass sie endlich ruhig ist. Sie kapiert meinen Blick, sagt nur: »Aha«
Und ist still, bis die Kapelle anfängt zu spielen.
Sie wippt immer heftiger mit ihren Füßen, hält es kaum mehr aus auf ihrem Platz. Mein Chef hat zur Betriebsfeier die Band »Münchner Freiheit« engagiert.
Читать дальше