Tom schien es ähnlich zu gehen. Er sah ihn irritiert an und zögerte, als hätte er vergessen, was er sagen wollte.
Jake war machtlos dagegen, dass die Gedanken über Tom mehr Raum einnahmen, als er ihnen zugestehen wollte, doch Kisha kam ihm unerwartet zu Hilfe. Sie klapperte im Hintergrund geräuschintensiv mit ihrem Equipment, konnte es sich offenbar nicht verkneifen, sich bemerkbar zu machen. Außenstehenden mochte es nicht auffallen, aber Kisha schien es erkannt zu haben. Er verriet tatsächlich seine Prinzipien für diesen Mann!
Ohne auf die Bemerkung über die persönliche Anrede einzugehen, die eigentlich eine unsichtbare Tür hatte öffnen sollen, wandte Tom sich ab, schien seine Gedanken zu ordnen und sich zu orientieren. Er hatte das Angebot ungenutzt verstreichen lassen, was eindeutig den Beigeschmack einer Abfuhr hatte. Etwas unschlüssig beäugte er die Sachen, die er mitgebracht hatte.
In Jake gärte der Ärger über seinen unbedachten Vorstoß. Er hatte sich umgänglich zeigen und nicht verschreckend wirken wollen. Das freundschaftliche Auftreten überraschte und überforderte Tom offenbar.
Natürlich konnte Jake mit Rückschlägen umgehen. Das war wichtig und eine gesunde Methode, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben, die Anbindung an die Realität nicht zu verlieren. Auch in seinem Leben lief nicht immer alles glatt. Hier allerdings machte es ihm doch mehr aus, als er für möglich gehalten hatte. Er wollte eine Verbindung schaffen – wie auch immer diese dann aussah oder wie lange sie Bestand hatte.
Jake beschloss, dass es besser war, erst einmal Ruhe einkehren zu lassen und eine neutrale Basis zu finden, auf der sie beide sich begegnen konnten. In Anbetracht des knappen Zeitrahmens ein anspruchsvolles Unterfangen.
»Bitte.« Er ließ Tom den Vortritt – nicht nur aus Höflichkeit, sondern auch um die Gelegenheit zu nutzten, ungestört nochmals ein Auge auf ihn zu werfen. Unwillkürlich blieb sein Blick an Toms Hintern hängen, als er sich etwas vornüberbeugte und seine Kamera vom Tisch nahm. Etwas zu tun zu haben, schien ihm ein wenig Sicherheit zu verleihen. Er nahm ein, zwei Einstellungen vor, streifte Jake mit einem Blick und sah sich in der Suite um.
Tom verlor wirklich keine Zeit. »Okay, dann schlage ich vor, dass wir gleich …«
Ehe er den Satz beenden konnte, stürmte Kisha heran, den Pinsel unheilvoll erhoben.
»Nein, nein, nein! Noch nicht!« Sie rauschte divengleich an Jake vorbei und machte erst kurz vor Tom Halt. Erstaunlicherweise wich er angesichts ihres herrischen Auftretens nicht einmal zurück, obwohl sie etwas von einer Löwin hatte, die ihre Jungen verteidigte. Jake zollte ihm insgeheim Respekt. Am Gesichtsausdruck konnte er jedoch zweifelsfrei erkennen, dass Kisha ihr Opfer dennoch überrumpelt hatte. Jake konnte nicht verhindern, dass er sich amüsierte, während er die beiden beobachtete. In Ehrfurcht erstarrt ließ Tom die Visagistin nicht aus den Augen und harrte der Dinge, die ihn vielleicht noch ereilen würden.
Jake wusste, dass sie gehörig Eindruck machen konnte, wenn sie es drauf anlegte. In Momenten, in denen sie für etwas entbrannt war und es auch durchsetzen wollte, sprachen ihre Augen Bände. Je größer sie dann wurden, umso klüger war es, seinen Standpunkt nochmals zu überdenken, wenn man nicht unter die Räder kommen wollte.
»Keine Fotos ohne mein professionelles Make-up. Ich habe einen sehr guten Ruf zu verlieren, Honey!« Jake atmete erleichtert auf. Tom Finley war durch dieses ›Honey‹ in einen erlesenen Kreis aufgenommen worden – innerhalb kürzester Zeit und sicher, ohne dass er sich dessen bewusst war. Nach welchen Kriterien seine langjährige Mitarbeiterin diese Adelung vornahm, blieb Jake ein Rätsel, aber es war tatsächlich so, dass ihre Einschätzungen sich mit den seinen deckten und er diese Personen ebenfalls sympathisch fand. Kisha vergab diese Auszeichnung äußerst sparsam und meist unbewusst, vermutete Jake, während er neben sie trat.
Toms Blick streifte ihn. Wieder nahm das Blau ihm den Atem. Unglaublich! Ein kurzer Moment wie dieser genügte dafür völlig.
Trotzdem nahm Jake die Unsicherheit wahr, die in seinen Augen aufblitzte. Der Arme! Wahrscheinlich wusste er jetzt überhaupt nicht mehr, was er noch tun durfte oder was er unter Kishas Regiment gefälligst zu lassen hatte.
Er schien regelrecht um Hilfe zu flehen und Jake gab sich einen Ruck. Es war an der Zeit, Tom Finley zu retten und die Situation zu entschärfen, ehe der sich wieder fing, vielleicht auf stur schaltete und in eine Diskussion schlitterte, ohne zu wissen, dass er bei Kisha hundertprozentig auf Granit biss. Eine Gratwanderung. Einerseits wollte Jake beweisen, dass er sein Team im Griff hatte. Andererseits wollte er Kisha nicht bevormunden und ihre Kompetenz schmälern.
»Keine Sorge, Kisha. Du hast noch genügend Zeit für das Make-up.« Jake drückte sie an sich, strich mit dem Daumen beruhigend über ihren Arm und beobachtete aufmerksam ihre Reaktion, um noch rechtzeitig gegensteuern zu können, falls er sich verschätzt haben sollte. »Wir fangen einfach mit den Fragen an. Das ist ohne Probleme nebenher machbar. Die Fotos kommen später dran.« Mit diesem Vorschlag schien sie glücklicherweise einverstanden zu sein. Erleichtert bemerkte er, dass die Spannung schneller als erwartet aus ihrem Körper wich, ehe sie sich von ihm löste und zum Flügel zurückkehrte. Nun konnte Jake nicht widerstehen, diesen kleinen Triumph, den er errungen hatte, auszukosten. Er ignorierte den Hauch des schlechten Gewissens und wechselte ins gegnerische Team. Auch wenn es auf Kishas Kosten ging, schnitt er hinter ihrem Rücken eine Grimasse und spekulierte darauf, Tom damit aus der Reserve zu locken, wenn der Jake auf seiner Seite wähnte.
Jake spürte, wie sich Wärme in seinem Bauch ausbreitete. Es war ihm egal, ob so etwas Albernes zu einem Interview passte oder nicht, denn es fühlte sich richtig an – zumindest mit Tom. Und bei ihm schienen Jakes Signale tatsächlich anzukommen. Der überraschte Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand. Er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein und seine Mundwinkel zuckten verdächtig, als er den Blick senkte und sich auffallend intensiv mit seiner Kamera beschäftigte.
Ein Glücksgefühl durchströmte Jake. Er hatte das Eis gebrochen! Jake schlenderte zu Kisha hinüber und versuchte konzentriert, seine Mimik unter Kontrolle zu halten. Unentwegt wollte sich ein Lächeln auf seine Lippen stehlen. Er wusste, dass er sich in Toms Gegenwart anders verhielt, als er das normalerweise einem Journalisten gegenüber tat. Und genau das vermittelte ihm Kishas durchdringender Blick. Sie hatte ihn entlarvt und hob anzüglich ihre Augenbrauen. Ein, zwei gezielte Fragen würde er sich später sicher noch anhören müssen. Und wenn schon? Warum sollte er sich rechtfertigen? Tom hatte nun mal sein Interesse geweckt.
Er nahm Platz und ließ die gewohnte Routine über sich ergehen. Geschickt hantierte Kisha mit Puder und Pinsel, was Jake mit einem Mal gar nicht so recht war. Das hatte nichts mehr von einem Platzhirsch. Plötzlich zwickten ihn Schamgefühle und es störte ihn, vor Tom geschminkt zu werden. Hielt der ihn jetzt für weibisch? All das nur, weil sie zuvor zu viel Zeit vertrödelt und diese Aufhübschung nicht schon vorab zu Ende gebracht hatten! Seine Bauchmuskeln verhärteten sich und am liebsten hätte Jake Kishas Hand weggestoßen, um diese unmännliche Prozedur zu beenden.
Sie schien nichts von dem Aufruhr in seinem Innern zu merken und puderte hochkonzentriert sein Gesicht, während seine Gedanken um Tom kreisten und ein Herzflattern verursachten.
Jake löste den Blick von Kishas ausladendem Busen, schielte zu ihm hinüber und musterte ihn unauffällig – immer darauf bedacht, seine Position möglichst nicht zu verändern. Er wusste, dass er sich eine Rüge einhandeln konnte, wenn er den Kopf zu weit drehte.
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