»Das hat Ihnen offenbar geschmeckt«, sagte er. Und nach dem bestätigenden Nicken: »Möchten Sie noch eine Cola?«
»Nein, danke, ich bin Ihnen schon genug zur Last gefallen.«
»Aber ganz und gar nicht, es war mir ein Vergnügen. Wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen gern noch einmal helfen. Ich gebe Ihnen hier eine Kreditkarte. Mit der gehen Sie jetzt in den Publix dort hinten und kaufen für sich Lebensmittel ein. Damit kommen Sie dann einige Tage über die Runden. Ich trinke hier noch ein Bier und warte darauf, dass Sie mir die Karte zurückbringen. Was meinen Sie?«
»Oh, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Warum tun Sie das alles?«
»Sagen wir mal, ich war auch mal Student und kann mich ziemlich gut in Ihre Situation hineinversetzen.«
Immer noch ungläubig nahm Daniel zögernd die ihm gereichte Kreditkarte entgegen und machte sich auf den Weg zum Supermarkt. Konrad Pair winkte die Kellnerin heran und beglich die Rechnung. Als Daniel im Publix verschwunden war, stand er auf und machte sich eiligen Schrittes auf den Weg zur Port Authority. Durch den Einkauf würde Daniel eine falsche Spur legen, falls die Kreditkarten-Aktivitäten eines John Norton nachverfolgt wurden. Und er war sich sicher, dass dies geschehen würde. Wenn ihn der Student nach seiner Rückkehr nicht mehr vorfand, würde er die Kreditkarte entweder wegwerfen oder weiter benutzen. Letztere Variante wäre perfekt, denn sie würde suggerieren, dass er sich immer noch in New York aufhielt. Er pfiff vor sich hin. Seine neuen Kollegen hatten da eine schöne Nuss zu knacken.
Bei den Port Authorities angekommen, war er doch ein wenig platt. Sein Alter prädestinierte ihn nicht gerade für diese Art von Gewaltmärschen. Obwohl er mit 50 noch ziemlich fit war, hatte ihn doch sein, insbesondere seit dem Union Square, hohes Tempo ganz schön aus der Puste gebracht. Er hatte keine Mühe, die Abfahrtsplattform für den Bus nach Montreal zu finden. Dankenswerterweise fuhr der erst in einer guten Stunde los, so dass ihm noch genügend Zeit blieb, sich für die lange Fahrt mit Getränken und Sandwiches einzudecken.
Zunächst jedoch ging er zum Fahrkartenschalter. Der übergewichtige Mann in dem Glaskasten sah ihn kurz an, wobei sein schwarzes Gesicht eigentlich nur Langeweile verriet. »Fahrkarte?«
»Ja, nach Montreal bitte.«
»Hin und zurück?«
»Nein, nur hin.«
Nun schaute der Schaffner doch etwas interessierter. »Aha«, wobei sich das bedeutungsschwere Aha auf alles Mögliche beziehen konnte, »das macht 86 Dollar.«
»Okay.« Konrad Pair fingerte einen 100 Dollar-Schein aus der Hosentasche.
»Pass.«
Da hatte er es, dieser schläfrig wirkende Typ hatte nicht nach dem in den USA üblichen Führerschein gefragt, sondern den Pass angemahnt. Sein Akzent hatte ihn wohl gleich als Ausländer entlarvt. Konrad Pair fingerte einen weiten Hunderter aus der Hose und legte ihn auf den Counter. Der Schaffner zeigte keinerlei Reaktion, stempelte das Ticket ab und ließ den Geldschein verschwinden. Dann reichte er ihm die Fahrkarte und sah ihn mit einem unlesbaren Gesichtsausdruck an.
»Ich habe Sie nie gesehen. Gute Fahrt.«
Beim Verstauen seiner Einkäufe wurde ihm die Stille in seinem Schwarzwälder Berghof unangenehm bewusst. Gabi war mit ihren Jungen wieder zu ihrem Mann zurückgegangen, nachdem Norbert sie diesbezüglich händeringend angefleht hatte. Er war offensichtlich seiner neuen Flamme doch relativ zügig überdrüssig geworden. Zwanzig Jahre Altersunterschied waren auf die Dauer einfach zu viel.
Nicht nur Gabi fehlte ihm, zusätzlich hatte er vor zehn Tagen auch noch seine Schäferhündin einschläfern lassen müssen. Ihre Hüftprobleme waren immer schlimmer geworden und in Absprache mit der Tierärztin hatte er sich zu diesem Schritt durchgerungen. Ihm war immer noch ganz schwer ums Herz und wo immer er sich im Haus bewegte, sah er seine Nicki. Aber es half nichts, seine einzige Unterhaltung waren jetzt zweimal in der Woche die etwas einsilbigen Dialoge mit Agathe, seiner Haushälterin.
Das Telefon riss ihn aus seiner etwas düsteren Stimmung.
»Werner.«
»Hallo, Niels, hier ist Peter, Peter Nehmer.«
»Hallo, Peter, wie geht es?«
»Danke der Nachfrage, mein Lieber. Den Jungen geht es prächtig und Claire, na – du kennst sie ja, sie wird mit jedem Tag schöner. Das Alter scheint ihr überhaupt nichts auszumachen. Ich hoffe, du bist auch gut drauf?«
»Alles okay. Was kann ich für dich tun?«
»Ich will dich nur kurz ins Bild setzen. Deine Idee des … ich nenne es mal Staatsfonds … ist hier bestens aufgenommen worden. Horst war sofort Feuer und Flamme, Boris ist sowieso immer positiv, was meine Vorschläge angeht, die Kohler habe ich mit sanftem Druck auf meine Seite gebracht, nur der Wohler war zögerlich. Natürlich wollte er mal wieder einen Unternehmensberater einschalten.«
Niels Werner stöhnte leicht. »Oh nein, nur das nicht. Da kannst du ja gleich in den Medien unser Vorhaben hinausposaunen. Hast du deinen Kollegen irgendwelche Details gesagt?«
»Wo denkst du hin! Die haben von mir nur vage die grobe Richtung mitgeteilt bekommen. Genauso wie unser Aufsichtsratsvorsitzender Fieber. Der schwätzt ja auch gerne rum. Was mich persönlich noch umtreibt, ist die Frage, woher du so schnell die Information bezüglich des Scheiterns unserer Bankenallianz bekommen hast. Ich meine, ich wusste das ja mal gerade einen Tag vorher. Darf ich fragen, welches Vöglein dir das gesungen hat?«
»Fragen darfst du.«
Nach einem längeren Moment der Stille kam wieder Peter Nehmers Stimme durch das Telefon.
»Schon gut, ich habe verstanden. Übrigens denkt die Kohler, wir sollten uns um das Management des Atomfonds bemühen. Was meinst du?«
»Kann man machen, aber gemessen an den 500 Milliarden, die du im Visier haben solltest, sind das eher Peanuts.«
»Da hast du wohl Recht, ich habe sie zur Tarnung in dem Glauben gelassen, dass das ein guter Vorschlag ist. Horst hat mich übrigens noch auf eine Dringlichkeit aufmerksam gemacht, falls wir deinen Plan umsetzen wollen.« Horst Kaiser, der Finanzchef, die graue Eminenz der Wertebank, war immer für gute Vorschläge gut. Niels Werner schätzte ihn sehr.
»Und was meint er?«
»Er hat mich schon vor Wochen darauf aufmerksam gemacht, dass wir einen guten Chef für das Asset Management brauchen. Die Frage, Niels, ist schlicht, ob du bereit bist, zu uns zurück zu kommen.«
»Du hattest mich doch entlassen, erinnerst du dich?«
»Ich weiß.« Nehmers Stimme klang leicht gequält. »Im Nachhinein betrachtet habe ich damals wohl überreagiert.«
»Ich weiß, ich wollte dich eben auch nur ein wenig piksen.«
»Niels, ich hatte mich bei meiner Entscheidung zu sehr auf deine angedachte Rolle als trojanisches Pferd für Gerd Brauners Meinebank fokussiert und weniger auf deine enormen Verdienste für unsere Bank und mich persönlich natürlich. Ohne dich wäre die Entführung unseres Sohnes wohl nicht so glimpflich ausgegangen.«
Das Angebot zur Wertebank zurückzukommen und seine alte Position wieder einzunehmen, hatte Niels Werner befürchtet. Er fühlte sich hier auf seinem Berghof im Schwarzwald pudelwohl, auch wenn es im Moment sehr still in seinen vier Wänden war. Aber natürlich würde es ihm auch Spaß machen, wieder in seine alte Rolle bei der Wertebank zu schlüpfen.
»Denk darüber nach, Niels. In drei Tagen halte ich in Straßburg eine Rede. Das Europaparlament zieht mal wieder für eine Woche dorthin. Claire will mit den Kindern anschließend nach Colmar zu ihren Eltern fahren. Ich könnte von dort schnell bei dir vorbeischauen, mit dem Auto ist es ja nur eine Stunde.«
»Du bist herzlich willkommen, Peter.«
»Gut, dann also bis Freitag.«
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