Der dritte Schritt war angesichts der in der Vergangenheit erworbenen hervorragenden Beziehungen in die Politik vermutlich der einfachste. Vor allem die Bayernpartei dürfte ihn stark unterstützen, sie war ihm noch so einiges schuldig für die infolge der gewonnenen Übernahmeschlacht gegen die Meinebank mögliche Rettung von tausenden Bankarbeitsplätzen in München. Den zweiten Schritt musste er mit einem zündenden Marketingschlagwort garnieren, wie Bürgerfonds, Schaffen von Werten für die Bevölkerung, Schaffen eines dritten Standbeins für die marode Rentenversicherung oder ähnliches. Der erste Schritt dürfte der schwierigste sein. Wer macht schon gern ohne Not Schulden? Da müssten in Berlin so einige über ihren Schatten springen, insbesondere der Finanzminister, der immer noch seinen Traum von einer schwarzen Null im Budget hochhielt.
Es war aber völlig klar, dass er einen detaillierten Plan zur Ausgestaltung und Umsetzung nicht allein bewerkstelligen konnte, er brauchte dafür eine Arbeitsgruppe. Dazu sollten auf alle Fälle sein Finanzchef Horst Kaiser und Niels Werner, den er hoffte zurückholen zu können, gehören. Vielleicht wäre es ja nicht schlecht, auch Barbara Kohler hinzuzuziehen. Zuckerbrot und Peitsche, das altbewährte Mittel. Und er hätte sie dann schon mal auf seiner Seite. Er selbst könnte nur sporadisch mitarbeiten, schließlich hatte er so nebenbei noch eine Bank zu führen, deren internationale Allianz gerade in Trümmern lag. Woher Niels Werner das wusste, war ihm völlig schleierhaft, er selbst hatte erst gestern diesbezügliche Hinweise erhalten. Er ließ derzeit von seinen Experten eine Ad-hoc-Mitteilung für die Kapitalmärkte vorbereiten, schließlich war es seine Pflicht, Eigenkapital- und Kreditgeber sofort über geschäftsrelevante Veränderungen zu informieren. Ach ja, und dann musste er noch seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Benjamin Fieber die bittere Nachricht der auseinanderdriftenden Partner der Bankenallianz überbringen.
Nehmer notierte sich die einzelnen Schritte und malte jede Menge Diagramme in sein Notizbuch. Er registrierte weder, wie schnell die Zeit verging, noch dass Barbara Kohler plötzlich vor seinem Schreibtisch stand. Erst als sie sich räusperte, schaute er auf. »Ah, Frau Kohler, setzen Sie sich doch bitte.« Er zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
»Ich fürchte, dazu haben wir keine Zeit, Ihr Vorstandstreffen soll doch in zehn Minuten beginnen.«
»Ach, entspannen Sie sich, ohne uns können die nicht anfangen.« Er drückte den Knopf der Sprechanlage. »Frau Pauli, informieren Sie doch bitte meine Kollegen, dass das Treffen fünfzehn Minuten später beginnt, wir haben hier erst noch etwas zu klären. Danke.«
Daraufhin setzte sich Frau Kohler an den kleinen Besprechungstisch und schaute ihn erwartungsvoll an. Nehmer konnte sich nun nicht mehr hinter seinem Schreibtisch verschanzen, sondern musste ihr Gesellschaft leisten. Seinem Gesicht war dabei nicht anzusehen, ob er sich ausgebremst fühlte oder nicht.
»Frau Kohler, ich habe Sie natürlich nicht wegen des Risikoberichtes hergebeten. Mir war es ein Bedürfnis, Sie, bevor wir in das Treffen mit unseren Kollegen gehen, über unsere bröckelnden Bankallianzen zu informieren.«
Barbara Kohler zog hörbar die Luft ein. »Oh nein, bloß nicht das. Wer bröckelt?«
»Nun, unser amerikanischer Partner, die Allamo Trust, hat einen neuen Chef, und der hat mir gestern seine neuen Prioritäten mitgeteilt. Wir kamen in dieser Aufzählung nicht mehr vor. Er will sich vor allem auf den US-Markt konzentrieren. Damit nicht genug, wollen auch unsere chinesischen Freunde nicht mehr mitmachen.«
»Ausgerechnet. Die beiden waren doch die Eckpfeiler unserer künftigen Strategie. Jetzt stehen wir schön blöd da, wir haben schließlich ganze Geschäftsbereiche zu deren Gunsten geschlossen. Wieso kriegen die auf einmal kalte Füße?«
Er zuckte mit den Schultern. »Da bin ich auf Vermutungen angewiesen. Die Chinesen könnten sauer sein, weil wir unseren Anteil an der Meinebank an die Bundesrepublik Deutschland verkauft haben. Dadurch konnten sie ihre Absicht nicht realisieren, im deutschen Bankenmarkt nachhaltig Fuß zu fassen. Bei den Amerikanern tappe ich im Dunkeln, allerdings hat die dortige Regierung sich über die Silbersteins wohl mit der Meinebank verbündet. Zumindest habe ich die Andeutung von Brauner über seine unbegrenzten Finanzmittel, um uns aufzukaufen, so verstanden. Vielleicht liegt hier, wie bei den Chinesen, der Hund begraben.«
»Du lieber Himmel, was wurde und wird denn hier gespielt?« Die Denkfalten in Barbara Kohlers Gesicht vertieften sich um einiges.
»Ja, Frau Kohler, mir dämmert auch erst so langsam die ganze Dimension unseres Kampfes mit Gerd Brauner und seiner Meinebank. Wir sind da offenbar zwischen die Mühlen der zwei mächtigsten Nationen geraten. Aber was jetzt viel wichtiger ist, ist die Frage, wie geht es weiter.« Er machte eine vielsagende Pause, bevor er tief in Barbara Kohlers Augen sah. »Frau Kollegin, ich habe einen sehr ambitionierten Plan, um diese Bank zukunftsfähig neu auszurichten. Ich werde dazu für einen längeren Zeitraum ein hochrangiges Team zusammenstellen müssen, das verschwiegen und absolut loyal mir zuarbeitet.« Er machte wieder eine kurze Pause. »Werden Sie mir dafür zur Verfügung stehen?«
»Aber was für eine Frage, selbstverständlich werde ich das. Wieso fragen Sie das überhaupt?«
»Weil«, und wieder eine kleine Pause, »weil ich nicht weiß, wie lange Sie noch bei uns sind.«
Barbara Kohler durchströmte es heiß und kalt, ihre Lippen zuckten kurz.
»Ihr Vertrag läuft noch ein Jahr, glaube ich.« Der Mistkerl, dachte sie, das weiß er doch ganz genau. »Hat Herr Fieber schon einmal mit Ihnen über eine Verlängerung gesprochen?«
»Nein, noch nicht. Ich dachte, das sei nur eine Formalität.«
Angesichts ihrer leicht zittrigen Stimme war jetzt die Zeit für das Zuckerbrot gekommen. Seine Stimme hatte ein betont gütiges Timbre. »Ist es sicherlich auch.« Er widerstand dem Impuls, ihre Hand zu nehmen. »Da muss ich unserem Herrn Aufsichtsratsvorsitzenden wohl mal einen Hinweis geben. Üblicherweise werden Verträge zwölf Monate vor Ablauf erneuert. Dafür sind dann aber noch umfangreiche Gespräche nötig, die sind auch nicht in wenigen Tagen abgeschlossen. Ich sehe Herrn Fieber vermutlich heute Nachmittag und werde ihn in Marsch setzen. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn Sie bei uns bleiben.«
»Danke, Herr Nehmer, ich fühle mich auch sehr wohl in dieser Bank, und in München sowieso. Und ich werde loyal an Ihrer Seite stehen, darauf können Sie sich verlassen. Darf ich fragen, wie Ihr ambitionierter Plan für diese Bank in seinen Grundzügen aussieht? Völlig vertraulich, versteht sich.«
Nehmer beugte sich mit verschwörerischer Miene vor. »Es fällt mir nicht leicht, aber ich muss wohl meinen Traum von einer internationalen Bankenallianz begraben. Ich plane, unser Haus noch stärker auf das Asset Management auszurichten.«
»Das würde unserem Risikoexposure sicherlich guttun. Sie wissen ja, ich war aus Sicht des Risikomanagements immer skeptisch gegenüber dem internationalen Geschäftsmodell. Immer, wenn zusätzliche Geschäftspartner ins Spiel kommen, steigen auch die Risiken. Man ist schließlich auf Gedeih und Verderb an die Ertragsentwicklung des Partners gebunden, hat aber auf dessen Geschäftspolitik kaum Einfluss, schon gar nicht, wenn er im Ausland residiert. Wird er insolvent, haben auch wir ein Problem. Im Asset Management dagegen handelt es sich ja um Zug-um-Zug-Geschäfte, du gibst mir und gleichzeitig gebe ich dir. Von daher sind hier Kontrahentenrisiken so gut wie nicht vorhanden.«
Er nickte zustimmend. »Ja, in der Tat. Bleibt nur die Frage, wie wir zusätzliches Asset-Management-Geschäft kreieren.«
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