Niels Werner hatte völlig vergessen, sein Bier weiter zu trinken, so fasziniert hatte er zugehört. Konrad Pair tätschelte ihm leicht die Wange. »Mach den Mund zu und denk darüber nach, mein Freund. Ich muss mich jetzt sputen, der Flieger wartet nicht. Pass auf dich auf und vergiss nicht, du hast mich nie gesehen.«
Mit diesen Worten umarmte er ihn und eilte zu seinem Gate. Niels Werner blieb noch einen Moment wie betäubt sitzen. Was für eine geile Idee! Aber wie er wusste, lag bei diesen Dingen der Teufel im Detail. Und ihm war klar, dass er so schnell wie möglich Kontakt mit Peter Nehmer aufnehmen musste. Er war sich zwar nicht sicher, wie der ihn begrüßen würde, aber es war allemal einen Versuch wert. Fürs Erste konnte ihm der Flieger nach Barcelona den Buckel runterrutschen. Gut, dass er nur Bordgepäck dabeihatte.
Nachdem er das Telefonat beendet hatte, pfiff Peter Nehmer in seinem Büro leise vor sich hin. Das war in der Tat eine, wie Niels Werner es gerade formuliert hatte, geile Idee. Die Frage war nur, wie sie im Detail aussah und wie er den zuständigen Politikern das Ganze schmackhaft machen konnte. Oh, er hörte im Geiste schon die Einwände, all die Worthülsen, die Politiker so gerne formulieren, wie sozial ungerecht, verteilungspolitisch problematisch und ähnliches. Darüber hinaus verstand die Mehrzahl der in der Verantwortung stehenden Politiker nichts von ökonomischen Zusammenhängen. Wie denn auch, dachte er resigniert, die sind ja vor allem Berufspolitiker. Als solche agieren sie nicht kreativ im Sinne der Bürger, sondern im Sinn von Macht und Einfluss. Wer handelt, macht sich angreifbar und könnte Wählerstimmen verlieren. Da ist es doch besser, mit der Meute zu heulen.
Er rief sich innerlich zur Ordnung. Das vordringlichste Problem war jetzt erst einmal, seine Vorstandskollegen mit ins Boot zu holen. Das würde schwierig genug werden, er konnte sich noch gut an die Diskussionen im Rahmen des Übernahmegefechtes mit der Meinebank erinnern. Insbesondere sein Risikovorstand Barbara Kohler hatte ihm das Leben mit bohrenden Fragen schwer gemacht. Na, mal sehen, ob es da nicht Möglichkeiten gab, sie etwas zu zähmen. Auch beim ständig nach Beratern rufenden Vorstandskollegen Wohler konnten ein paar Daumenschrauben nicht schaden. Von wegen Berater, von dieser Idee durfte nichts nach draußen sickern. Aus diesem Grund würde er auch seinen Kollegen noch nicht komplett reinen Wein einschenken, sondern nur die grobe Richtung seines Strategiewechsels andeuten. Bankvorstände generell waren häufig Selbstdarsteller und auch der eine oder andere Vorstandskollege von ihm neigte zum Plaudern in der Öffentlichkeit.
Nehmer griff erneut zum Telefon und rief seinen Personalchef Jan Bernhardt an.
»Bernhardt.«
»Hallo, Herr Bernhardt«, obwohl sie schon jahrelang zusammenarbeiteten, waren sie immer noch per Sie. »Ich sehe Sie nachher bei unserem Vorstandstreffen?«
»Selbstverständlich, wenn Sie das wünschen.«
»Sehr schön, dann bringen Sie doch bitte eine detaillierte Aufstellung der Mitarbeiterzahlen mit. Vielleicht brauche ich sie zwecks Erläuterung der durch die Umstrukturierung zur Bankenallianz ausgelösten Bewegungen bei unseren Arbeitnehmern. Eventuell müssen wir erneut eine andere Weichenstellung in unserem Geschäftsmodell diskutieren, und da möchte ich ein Gefühl für mögliche Auswirkungen im Personalbereich haben.«
»Gehen wir denn zu unserem alten Modell zurück?«
»Ganz sicher nicht, aber ehrlich gesagt, weiß ich selbst noch nicht, wo die Reise hinführt. Es ist aber klar, die ursprünglich angedachte globale Bankenallianz wird sich so nicht verwirklichen lassen. Wir werden unseren Plan zumindest adjustieren müssen.«
»Ich werde die Zahlen parat haben, Herr Nehmer.«
»Ach, Herr Bernhardt, wenn ich Sie schon mal am Telefon habe«, die Sprechpause hatte genau die richtige Länge, um unschuldig zu wirken, »sagen Sie, wie sieht es eigentlich mit den Vorstandsverträgen aus? Stehen da einige zur Verlängerung an?«
Soso, dachte Jan Bernhardt, kommen wir jetzt zum eigentlichen Zweck des Anrufs? »Nun, Ihr Vertrag ist ja gerade verlängert worden«, sein Tonfall war absolut neutral, »Herr Kern hat noch vier Jahre und Herr Wohler zwei Jahre Laufzeit. Lediglich bei Frau Kohler müsste der Aufsichtsrat so langsam aktiv werden, ihr Vertrag endet in zwölf Monaten.«
»Danke, Herr Bernhardt, wir sehen uns später.«
Dachte ich es mir doch, Nehmer war hochzufrieden. Dann wollen wir mal sehen, wie die Gute reagiert. Aber erst muss ich den Kaiser briefen. Auch bei seinem Finanzchef rief er direkt an, die Sekretärinnen mussten ja nicht alles mitbekommen. Bereits nach dem ersten Klingeln war Horst Kaiser am Telefon. »Peter?«
»Hallo, Horst, wir sehen uns ja nachher beim Vorstandstreffen. Ich möchte bewusst nur ein Treffen und keine offizielle Vorstandssitzung. Du und der Bernhardt sind dabei. Du kennst ja schon das Thema, und wie du dir denken kannst, wird es an der einen oder anderen Stelle hoch hergehen. Deine Aufgabe wird es sein, auf einen Wink von mir darauf hinzuweisen, dass es vielleicht gut wäre, bei einer Neuausrichtung unserer Aktivitäten uns an den erzielbaren Renditen zu orientieren. Mit anderen Worten, wir sollten das Asset Management und die Vermögensverwaltung weiter forcieren.«
Horst Kaiser erfasste sofort den tieferen Sinn des Anliegens seines Chefs. »Heißt das, du hast einen Plan, wie das gehen soll? Und du weißt, dass wir endlich wieder einen absoluten Spitzenmanager für diese Sparte brauchen.«
»Niels Werner hat mich angerufen und mir dafür eine Superidee geliefert. In Kurzform: Staat leiht sich zu den derzeitigen Nullzinsen Geld und investiert in den hoch rentierlichen Aktienmarkt. Und diesen, ich nenne ihn mal Bürgerfonds, verwalten wir und verdienen so nebenbei eine hübsche Summe Geld.«
Es dauerte einige Momente, bis die Antwort kam. »Wow, umso dringlicher ist die Managementfrage. Meinst du, du kannst Niels zurückholen?«
»Da bin ich mir ziemlich sicher.«
»Super, dann lass uns diese Sache angehen. Vermutlich wird aber die Kohler wieder Zicken machen.«
»Du alter Chauvi, ich glaube, ich kann sie etwas einbremsen. Ihr Vertrag steht zur Verlängerung an.«
»Endlich mal eine gute Nachricht, sie piesackt mich ganz schön. Und das Schlimme ist, du kannst ihr auch kein X für ein U vormachen. Clever ist sie.«
»Lass mich mal machen.«
Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und rief seine Assistentin Hannah Pauli herein.
»Hannah, bitte doch Frau Kohler, mir vor der Vorstandssitzung ein kurzes Briefing über unsere Risikosituation zu geben.«
Bereits nach fünf Minuten war seine Assistentin zurück. »Frau Kohler hat gerade einen Besucher von der Finanzaufsicht empfangen und kann noch nicht so ganz abschätzen, wann das Gespräch beendet sein wird. Sie kommt so bald als möglich.«
Nehmer nickte. »Danke, bis Frau Kohler kommt, bitte keine Gespräche«, und als sich ein Hoffnungsschimmer im Gesicht von Frau Pauli breitmachte: »Nein, auch keine Postbesprechung. Ich muss nachdenken.«
Wieder allein nahm er ein Blatt Papier aus dem Schreibtisch und fing an, seine ersten Überlegungen zu skizzieren. Der Gedanke von Niels Werner war brillant. Deutschland konnte in der Tat zu Nullzinsen Geld am Kapitalmarkt aufnehmen, weil seine Reputation als Schuldner erstklassig war. Der Haushalt würde daher durch diese Aktion nicht belastet werden. Die Frage war nur, was mit diesem Geld geschehen sollte. Das könnten zum einen Investitionen in Infrastrukturoder Umweltprojekte sein. Aber es könnten auch Finanzinvestitionen sein, also Aktienkäufe. Dazu war die Expertise von Asset Managern nötig, sowohl für die Begebung der Anleihen als auch für die Käufe von Wertpapieren und natürlich vor allem für das Managen der getätigten Investments. Da kam dann seine Bank ins Spiel. Es mussten also drei Schritte gelingen, erstens Politiker von der Kreditaufnahme zu überzeugen, zweitens ihnen die Anlage der Gelder im Aktienmarkt schmackhaft zu machen und drittens die Wertebank als das Kompetenzzentrum für diese Transaktionen zu etablieren.
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