Wow, dachte Krämer, gut gebrüllt, Löwe. Sein Chef war jedenfalls schwer beeindruckt, so viel konnte er feststellen. Nicht umsonst hatte er sich eifrig Notizen gemacht. Auch der so schweigsame Ministerpräsident hatte auf einmal glänzende Augen, er malte sich wahrscheinlich schon all die neuen Perspektiven aus.
»Tja, das sind in der Tat faszinierende Aussichten«, der Minister war immer noch dabei, in die Realität zurückzufinden, »aber ich muss doch ein wenig Wasser in den Wein schütten. Wie bekommen wir das durch den Haushaltsausschuss? Dessen Vorsitzender zerschießt das doch sofort.«
»Nun, Herr Minister, ich denke, hier könnte ich durch ein persönliches Gespräch mit Herrn Müller helfen.«
Sein Chef sah ihn zwar erstaunt an, ließ das Ganze aber auf sich beruhen.
»Wie mir ein Blick auf meine Uhr verrät, meine Herren, rufen mich jetzt andere Pflichten. Bitte lassen Sie sich nicht stören und diskutieren Sie mit meinen Kollegen weiter. Ich möchte nur noch kurz mit meinem Staatssekretär einige Worte wechseln. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise. Bis bald.« Krämer folgte seinem Chef in dessen Büro. Ihm gefielen die Wertebank-Leute und ihr Vorschlag war, richtig umgesetzt, zukunftsweisend für Deutschland. Er war sich allerdings nicht sicher, ob der Minister seine Einschätzung teilte, der war bisher noch nie durch unternehmerisches Denken aufgefallen. Aber er war durchaus eitel und vielleicht war das der Hebel, ihn positiv zu stimmen.
»Was meinen Sie, Krämer?«
»Ich halte die Idee für ausgezeichnet und auch für durchführbar. Ob wir dadurch international an Einfluss gewinnen, wird sich zeigen. Auf alle Fälle würde das Finanzministerium innerhalb der Regierung noch wichtiger. Ich denke, die Zeiten, in denen der Außenminister stellvertretender Regierungschef wird, wären endgültig vorbei, ohne den Finanzminister geht dann künftig gar nichts.«
Das Nicken des Ministers wurde immer heftiger.
»Und bedenken Sie, wir könnten über den Fonds und dessen Beteiligungen an Unternehmen über die damit verbundenen Aufsichtsratsmandate dann aktive Industriepolitik machen, etwas, was Sie schon immer wollten. Und Ihre Popularität in der Bevölkerung würde deutlich steigen. Sie wären es, der zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes für den Bürger endlich Werte schafft. Sogar die Gewerkschaften dürften applaudieren.«
»Was würde ich nur ohne Sie machen, Krämer«, sein Chef klopfte ihm auf die Schulter. »Sie haben mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. Also gut, signalisieren Sie der Wertebank mein Wohlwollen, allerdings müssten wir über das Volumen des Fonds noch einmal diskutieren. 500 Milliarden halte ich als Anfangskapital für deutlich zu hoch, mir würden da in einem ersten Schritt 100 Milliarden vorschweben. Und dann sehen wir erst einmal, wie die Dinge laufen. Ich werde die Idee morgen mit dem Kanzler besprechen.«
»Vergessen Sie Ihren Kollegen Wirtschaftsminister nicht, für dieses Vorhaben brauchen wir alle politische Unterstützung, die wir bekommen können.«
Der Finanzminister nickte nachdenklich.
»Ja, danke, wir sollten auch den Kanzleramtsminister nicht übergehen. Er hat das Ohr des Kanzlers.«
Als Krämer sich zum Gehen wandte, holte ihn die Stimme seines Chefs wieder ein: »Wie kommen Sie darauf, den Miesepeter Müller positiv stimmen zu können?«
»Herr Minister, es ist besser, wenn Sie das nicht wissen.«
Die letzten zwei Stunden hatten ihn total geschafft. Es war ja immer schwierig, mit Fondsmanagern über ihr Portfolio zu diskutieren, aber heute war es besonders ermüdend gewesen. Die Geschichte war immer die gleiche. Da wurden über die Jahre verschiedene Aktienpositionen aufgebaut, von denen einige später überdurchschnittliche Kurssteigerungen aufwiesen und einige eben nicht.
Um letztere hatte sich die Diskussion der zurückliegenden zwei Stunden gedreht, mit einem besonderen Augenmerk auf Aktien, welche, verglichen mit dem Kaufzeitpunkt, sogar Kursverluste aufwiesen. Da Fondsmanager auch nur Menschen waren, starb auch bei ihnen die Hoffnung zuletzt. Darüber hinaus hatte jeder eine natürliche Scheu, Kursverluste zu realisieren und damit frühere Fehler einzugestehen. Dabei geht es bei derartigen Kursflops nur um die Frage, ob ich heute mit meinem Wissen die Aktien noch einmal kaufen würde. Wenn das nicht der Fall ist, bleibt nur der harte Schnitt, das bedeutet: Verkauf der Position. Die Kursverluste mussten dann halt mit Kursgewinnen anderer Aktien wieder ausgeglichen werden. Offenbar war das aber schwer zu verstehen.
Niels Werner hatte derartige Debatten in seinem Berufsleben schon unzählige Male führen müssen. Zum Schluss blieb meistens nur das »par ordre du mufti«, obwohl er das nicht gerne tat. Ihm war es lieber, wenn er überzeugen konnte, aber heute war ihm das nicht gelungen. Er machte sich darüber eine mentale Notiz, den Managern des Aktien-Europa-Fonds würde er künftig stärker auf die Finger sehen. Falls sie das Mandat der Bundesregierung bekommen würden, hieß es außerdem, neue Fondsmanager dafür zu finden, denn natürlich würde dieses von ihm im Stillen immer Bürgerfonds genannte Investmentvehikel sich mit seinem Geld schwerpunktmäßig in Europa tummeln.
Als er auf dem Weg zu seinem Büro den Handelsraum durchquerte, winkte ihn der Chefhändler der Wertebank zu sich heran.
»Hallo, Lars, was gibt es Neues auf dem Parkett?«
Lars Wolf wiegte seinen Kopf. »Darüber bin ich mir noch nicht im Klaren, Niels. Irgendetwas braut sich zusammen. Der Markt ist insgesamt freundlich, aber unsere Aktien sind durchgehend schwach.«
»Na ja, unsere Ad-hoc-Meldung hat ja nicht gerade für Begeisterung gesorgt. Zumal wir auch nichts Konkretes zu sagen hatten, lediglich dass nach unseren verbalen Informationen wir von einem Scheitern der internationalen Bankenallianz ausgehen müssen.«
»Schon klar, aber da stimmt trotzdem etwas nicht. Ich sehe ständig Verkäufe unserer Aktien aus Handelsplätzen, denen in der Vergangenheit keine oder kaum Käufe gegenübergestanden haben. Wenn ich wetten müsste, würde ich sagen, dass das Leerverkäufe sind.«
»Von welchen Handelsplätzen sprichst du?«
»Hauptsächlich New York und London, ein wenig auch aus Paris.«
Das konnte ja wohl nicht sein, Déjà-vu lässt grüßen. Waren etwa die alten Freunde von Gerd Brauner, Steve, Luke und Francois am Werk? Niels Werner blies die Backen auf und ließ die Luft zischend entweichen.
»Das könnte in der Tat etwas sein, Lars. Hast du Peter Nehmer schon informiert?«
»Weiß der Geier, wo der steckt. Ich habe noch nicht einmal die Pauli ans Telefon bekommen. Nur ihre hilflose Vertreterin, die Schwarzer.«
»Okay, halte mich auf dem Laufenden.«
»Moment mal, Niels, lass mich nicht dumm sterben, du vermutest doch etwas.«
»In der Tat, achte mal auf den New Yorker Pensionsfonds Relax, den Londoner Hedgefonds True Investor, bekannt unter dem Kürzel TRIN, und die Pariser Privatbank Claron. Das sind alte Freunde, die traditionell gemeinsame Sache machen.«
»Alte Freunde von wem?«
»Ich glaube, das wissen die selbst nicht so genau. Wie gesagt, behalte die im Auge und lass mich sofort wissen, wenn es etwas Neues gibt.«
Lars Wolf hob den Daumen und Niels Werner nahm den Weg zu seinem Büro wieder auf. Dort erwartete ihn seine Assistentin Karin Stigel.
»Ich habe Ihnen Ihren grünen Tee auf den Schreibtisch gestellt. Und Herr Bernhardt hat angerufen, Herr Kolinski ist etwas früher als vorgesehen gekommen, er bittet Sie, alsbald zu dem Gespräch dazuzukommen.«
»Also, wenn der Kolinski sich nicht an die Zeiten hält, muss er eben warten. Ich trinke jetzt erst einmal meinen Tee. Gibt es sonst noch irgendetwas?«
»Nur Herr Kloos war kurz hier. Ich hatte den Eindruck, dass er mir nur sagen wollte, wie froh er ist, Sie wieder bei uns zu haben. Er schien mir in der Vergangenheit reichlich überfordert.«
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