»Vergiss diesen ganzen Verteilungskram, vergiss, wer wann ein Anrecht auf seinen Anteil hat. Das Ganze muss als Staatsfonds konzipiert werden. Schau nach Norwegen, die haben so einen Staatsfonds. Der ist 1000 Milliarden Euro schwer, wird aus den Öl- und Erdgaseinnahmen des Landes gespeist und investiert in die globalen Anleihe- und Aktienmärkte. Norwegen hat auch schon bei konjunkturellen Schwierigkeiten bis zu 50 Milliarden aus dem Fonds abgezogen, um der Wirtschaft wieder Leben einzuhauchen. Zuletzt geschehen 2020 während der Corona-Pandemie.«
»Das ist es, Konrad«, Niels war sofort Feuer und Flamme, »und unser Fonds speist sich eben aus der Aufnahme von Schulden zu Nullzinsen. Bei 500 Milliarden und einer durchschnittlichen Verzinsung unserer Aktieninvestments von 6 Prozent, etwas, was die Börse in den letzten 100 Jahren im Durchschnitt eines jeden Jahres erzielt hat, haben wir Pi mal Daumen in zehn Jahren auch 1000 Milliarden Fondsvolumen. Der Staat kann dann sogar bei wichtigen Unternehmen als Ankerinvestor auftreten und so unerwünschte Übernahmen aus dem Ausland verhindern.«
»Na, ihr zwei seid ja wohl der perfekte Braintrust. Einfach super! Kann ich denn davon ausgehen, dass ihr mir künftig zur Verfügung steht?«
Niels Werner war der Erste, der das folgende Schweigen brach: »Wenn Konrad mit an Bord ist und du mir einen Wagen mit Fahrer stellst, der mich Montag morgens abholt und Freitag abends hier wieder abliefert, dann bin ich dabei, Peter. Eine derart spannende Geschichte möchte ich um nichts in der Welt verpassen.«
»Okay, letzteres lässt sich leicht arrangieren und was Konrad angeht, kannst du dich denn überhaupt in Deutschland frei bewegen?«
»Ich denke schon. In meinen Papieren steht Entlassung wegen extrem guter Führung. Wer daran gedreht hat, wird dankenswerterweise nicht erwähnt. Meine persönliche Sicherheit ist durch das Deponieren meiner Niederschrift über das Geschehene wohl gewährleistet. Nicht umsonst habe ich das meine früheren Kollegen wissen lassen. Natürlich kann es aber einen gewissen Sturm der Entrüstung in den Medien geben, aber noch nicht einmal das ist sicher.«
»Na, und selbst wenn, damit können wir umgehen.« Nun hatte Peter Nehmer einen Geistesblitz. »Wenn wir diesen Plan in Berlin durchboxen wollen, brauchen wir einen fähigen Mann vor Ort. Wie wäre es, Konrad, wenn du unsere Berliner Dependance leitest und vor Ort den Kontakt zu den entscheidenden Personen auf dem politischen Parkett intensivierst? Wir brauchen eine erstklassige Lobbyarbeit, und du hast das richtige Temperament und den Grips dafür.«
Niels Werner konnte es sich nicht verkneifen: »Oh ja, und er hat auch noch andere Talente, die sehr nützlich sein könnten.« »Hör nicht auf ihn, Peter, er ist nur neidisch. Also gut, deine Idee gefällt mir. Für diesen Fonds müssen wir in der Tat eine starke Präsenz in Berlin aufbauen und eventuell sogar einen Teil unseres Asset Managements dorthin verlagern.« Er ignorierte, dass Niels Werner seine Augen verdrehte. »Ich bin dabei, mein Lieber, sehr gern sogar.«
»Sehr schön, zusammen mit Horst Kaiser sind wir ein unschlagbares Team. Wegen der Details wird sich der Bernhardt mit euch in Verbindung setzen, er …«
Seine weitere Rede wurde rüde von Agathe unterbrochen, die die Herren zu Tisch bat.
Der Flug vom Washingtoner Ronald Reagan zum New Yorker La Guardia Airport war eine einzige Schüttelei. Die Ausläufer eines massiven Sturmtiefs in den Carolinas warfen das Flugzeug hin und her. Mehr als einmal erwartete er das Abbrechen eines Flügels, aber die betagte Boeing versah tapfer ihren Dienst. Offenbar war auch den anderen Fluggästen mulmig, denn im Flugzeug war es verdächtig ruhig. Lediglich die Stewardess sah auf ihrem Sitz, auf dem auch sie sich zur Sicherheit angeschnallt hatte, ziemlich unbeeindruckt aus. Ihm jedenfalls reichte es und er war heilfroh, als die Landung relativ problemlos klappte. Hastig verließ Max Snyder, sobald es ging, den Flieger und atmete tief durch.
Am Ausgang des Flughafengebäudes erspähte er Ilans Fahrer, der ihm seinen Aktenkoffer abnahm und ihn zu der etwas entfernt parkenden Limousine lotste. Dankbar ließ er sich auf den Rücksitz fallen und versuchte, sich zu entspannen. Er schloss die Augen und praktizierte ein wenig autogenes Training. Der Chauffeur ließ ihn gewähren, er wusste von früheren Gelegenheiten, welch unangenehmer Zeitgenosse sein heutiger Fahrgast sein konnte.
Die Fahrt zum Rockefeller Plaza war erfreulich kurz, von dem sonst üblichen Gedrängel auf den Straßen war diesmal nichts zu sehen. Max Snyder stieg aus und hastete in das Rockefeller Center zu dem für Silberstein reservierten Aufzug. Durch seine Chipkarte aktiviert, öffneten sich dessen Türen und nach seinem Eintreten setzte sich der Aufzug zum vorprogrammierten Stockwerk in Bewegung. Dort angekommen, führte ihn ein wartender Mitarbeiter zum Büro der Investmentlegende Ilan Silberstein, der sich bei seinem Eintritt sofort erhob.
»Hallo Max, schön, dich zu sehen. Setz dich.«
Wie immer war Ilan Silberstein makellos gekleidet, seine gepflegte Erscheinung und sein schlohweißes, volles Haar verliehen ihm eine unnachahmliche Grandezza. Hinzu kamen, wie Snyder wusste, perfekte Manieren und eine sehr kultivierte Sprache. Das waren alles Dinge, die niemand von ihm behaupten würde. Er war eher der hemdsärmelige Typ, der keinerlei Empathie ausstrahlte. Aber wie er wusste, war auch bei Ilan nicht alles Gold, was glänzte.
»Hallo Sir, leider habe ich nicht so tolle Nachrichten.«
Ilan Silberstein stellte eine geöffnete Flasche Wasser und zwei der in den USA unvermeidbaren Pappbecher auf den Besuchertisch und nahm gegenüber von Snyder Platz. »Schieß los.«
»Also, die Nummer mit dem Pair kennst du ja.«
»Ja, der ist uns hier in meiner Stadt entwischt, also eigentlich ist er euch entwischt. Auf jeden Fall hat er uns ganz schön blamiert.«
Als Silberstein Snyders griesgrämigen Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er hastig hinzu: »Solche Dinge passieren, deswegen solltest du keine Magengeschwüre bekommen. Mir ist nur nicht klar, warum Liam den Studenten umbringen musste.«
»Das weiß ich auch nicht, das war völlig überflüssig. Auf jeden Fall ist dieser Pair in Deutschland wieder aufgetaucht.«
»Dann ist ja alles gut, wir schnappen ihn uns eben dort.«
»Eben nicht. Mich hat dieser Kaminski vom BND angerufen. Pair hat sich bei ihm gemeldet, deswegen wissen wir ja auch, dass er in Deutschland ist. Der Typ hat dem Kaminski eiskalt erklärt, dass er an drei Stellen, die er nicht näher bezeichnete, Aufzeichnungen, Dokumente und was weiß ich noch alles deponiert hat. Diese Papiere würden detailliert unsere Aktivitäten belegen und im Falle seines plötzlichen Todes veröffentlicht. Er will wieder ein normales Leben führen und nichts mehr von Geheimorganisationen wissen.«
Silberstein lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah Snyder prüfend an.
»Dann lassen wir ihn doch in Ruhe. Von sich aus wird er sicher nicht reden, dann würde ja auch seine eher unrühmliche Rolle in dieser Angelegenheit näher beleuchtet. Daran kann nun wiederum ihm nicht gelegen sein«, und nach einem weiteren prüfenden Blick, »aber daran scheinst du kein Interesse zu haben. Ist da noch mehr?«
»Ja, du bist auf dem richtigen Dampfer, Kaminski hat noch einmal angerufen.«
»Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Worum ging es diesmal?«
»Er hat von einem Informanten in der bayerischen Partei gehört, dass die Wertebank in Berlin mit einem großen Projekt vorstellig werden will. Ziel ist es, angesichts der praktisch nicht vorhandenen Zinsen die deutsche Regierung dazu zu bringen, am Kapitalmarkt reichlich Geld aufzunehmen und so eine Art Bürgerfonds zu gründen. Die Rede ist von 500 Milliarden in einem ersten Schritt. Dieses Geld soll dann höher rentierlich in den Aktienmarkt investiert werden. Natürlich will die Wertebank dann zunächst die Kapitalaufnahme über Anleihen und danach die Aktieninvestments dieses Fonds managen.«
Читать дальше