„Es gab Kinder aus dem ganzen Land und er war bei weitem der beste Spieler“, erinnert sich LeBrons Coach Dru Joyce Sr., der Vater seines Freundes, an ein nationales U14-Turnier in Florida 1999. „Er hat absolut dominiert.“ Mindestens eine internationale Sportagentur streckt bereits jetzt ihre Fühler nach dem Basketball-Wunderkind aus, das in Akron in aller Munde ist.
Zu diesem Zeitpunkt treffen LeBron, Joyce, Cotton, McGee und Travis – die selbsternannten „Fab Five“ (dt. die „fabelhaften Fünf“) eine Entscheidung. Sie sehen sich als Gesamtpaket und versprechen sich, ihre Basketballkarrieren gemeinsam fortzusetzen. Das Quintett geht ab der neunten Klasse auf die Saint Vincent-Saint Mary High School (SVSM), einer privaten Gemeindeschule in Downtown Akron. SVSM, die vor allem für ihre traditionelle akademische Exzellenz bekannt ist, ist dabei ein neues Vermächtnis aufzubauen, mit einem vorangehenden LeBron.
Im Dezember 1999 bestreitet LeBron sein erstes Spiel für SVSM und erzielt 15 Punkte. Innerhalb von drei Monaten führt er seine Schule zur Staatsmeisterschaft in Ohio – nicht schlecht für eine kleine katholische Institution mit wenig basketballerischer Erfolgsgeschichte. Im nächsten Jahr wiederholt LeBron, jetzt ein 1,98 Meter großer 14-Jähriger – mehr Mann als Junge – den Triumph mit einer zweiten Staatsmeisterschaft vor 17.000 Zuschauern im Finale. Er wird im März 2001 zu Ohios „Mr. Basketball“ ernannt.
In diesem Sommer wird LeBron mit mehreren NBA-Spielern nach Chicago eingeladen, um an Trainingsspielen mit seinem Held Michael Jordan teilzunehmen, der sich auf seine Rückkehr zum Sport vorbereitet. Die Erfahrung lehrt LeBron, dass er mit den besten mithalten kann. Es wird gemunkelt, dass LeBron seinen Namen auf die Liste des NBA-Draft stellen würde, bis klar wird, dass kein Spieler ausgewählt werden kann, solange er nicht die Highschool abgeschlossen hat.
Der millionenschwere Vertrag müsste noch ein Jahr warten, obwohl ihm als Entschädigung das nächstbeste zugesprochen wird: das Titelbild von Amerikas größtem und besten Sportmagazin Sports Illustrated. „The Chosen One“, kündigt die Titelzeile an, „Der Auserwählte“. Der Artikel im Innenteil beginnt mit einer Beschreibung eines Treffens zwischen dem Teenager LeBron und Jordan. „Der Moment fühlt sich aufgeladen an, sogar ein wenig historisch“, heißt es darin und stellt sogar einen Vergleich mit Präsidenten der USA an. „Erinnern Sie sich an das Foto des Teenagers Bill Clinton mit JFK?“
Der Hype um den Schüler kennt keine Grenzen mehr. Ein Kamerateam des Sportsenders ESPN verfolgt jeden Schritt von LeBron. Er wird nicht mehr nur mit Jordan, sondern aufgrund seiner Passfähigkeiten auch mit Magic Johnson verglichen. Im Basketballmagazin SLAM bekommt der 16-Jährige eine eigene Kolumne. Michael Jordan lädt ihn zu einem exklusiven Training ein.
NBA-Teams und Werbepartner scharren mit den Hufen wie „Frederik der Große“ mit einer Überdosis Hüttrauch. Nike und Adidas sind in einem erbitterten Kampf um LeBrons Unterschrift. Berichten zufolge könnte das endgültige Angebot 20 Millionen US-Dollar erreichen. Nach den Regularien der Schulbehörde darf LeBron jedoch keine Geschenke über 100 Dollar annehmen, geschweige denn Geld fürs Basketballspielen. Die Regeln verbieten aber nicht, dass andere Kapital aus ihm schlagen können. LeBrons Mutter Gloria, die ihr Leben lang Geldsorgen hat, nutzt die Gelegenheit. Sie tauscht LeBron-Erinnerungsstücke gegen den Einlass in die örtliche Bingohalle ein. Menschen versteigern auf Ebay LeBron-Artikel von Autogrammen ab 100 Dollar bis hin zu SVSM-Trikots für 185 Dollar.
Das wirkliche Geld wird mit der „LeBron-Industrie“ jedoch woanders gemacht, im „Pay-per-View-Fernsehen“: Die Heimspiele der SVSM Fighting Irish werden in 14 Ohio-Countys übertragen, für acht Dollar pro Spiel, sowie im Kabelfernsehen. ESPN verzeichnet die zweithöchste Zuschauerzahl aller Zeiten, wenn es ein SVSM-Spiel landesweit ausstrahlt, erreicht 1,67 Millionen Haushalte und generiert Millionen mit Werbeeinnahmen.
Um die Ticketnachfrage zu decken, werden die SVSM-Heimspiele in der Arena der University of Akron mit 5.700 Sitzplätzen ausgetragen. Zur Einordnung: Der Deutsche Meister 2019 FC Bayern Basketball hatte weniger Zuschauer im Schnitt! Und wir reden hier nicht von ausgefeiltem Profisport, sondern unbelecktem Amateur-Schulsport. Selbst NBA-Stars wie Kobe Bryant oder Shaquille O‘Neal sind bei Spielen vor Ort, um das nationale Basketball-Phänomen LeBron, die Kreuzung aus MJ und Magic, live zu sehen. Viele Monate bevor LeBron einen Cent für sein Basketballspiel verdient, wird er von allen Seiten hofiert wie ein NBA-Superstar.
In den Vereinigten Staaten gibt es 100.000 Highschools. 25.000 haben ein Basketballteam. Jedes Team hat 15 Spieler im Kader, was bedeutet, dass es 375.000 Schüler gibt, die jedes Jahr organisierten Basketball spielen. Davon werden 3.600 gut genug sein, um vier Jahre eine kostenlose Ausbildung zu genießen, die mit einem College-Basketball-Stipendium einhergeht. Aber für eine kleine Minderheit ist das College nur eine Station auf dem Weg zum größeren Preis: ein Platz in der NBA, Amerikas Profiliga. Rund 50 Kinder, die heute spielen, können damit rechnen, eine anständige Karriere als Profi machen zu können. Von diesen 50 werden möglicherweise zehn All-Stars – eine ausgewählte Gruppe von Athleten, die ihre eigenen Signature-Schuhe haben, für alkoholfreie Getränke werben und sich in ein Leben zurückziehen, das sich wie ein langer, fauler Sommer in der Dominikanischen Republik anfühlt. Und dann gibt es „The One“, den Highschool-Basketballer dieser Generation, der zu einer kulturellen Ikone wird: LeBron James.
Dass der 18-Jährige LeBron direkt von der Highschool in die NBA gehen wird, ist so klar wie das Meerwasser auf Bora Bora. Der NBA-Draft 2003 wird bekannt als die „LeBron Lottery“. Die Cleveland Cavaliers gewinnen das große Los mit dem ersten Pick. „Der Auserwählte“ soll der Retter der Franchise werden. Noch ist „The Chosen One“ nicht einmal alt genug, um auf seiner eigenen Draft-Party einen Drink zu ordern.
Wegen LeBron stehen die ehemals miesen Cavaliers gleich 13 Mal im Sendeplan der nationalen TV-Anstalten. Alle sehen die seltene Kombination aus Point-Guard-Skills und muskelbepackter Athletik, die ihn zum Magic Johnson der WWW.-Generation machen. Es ist sein Trikot, das sich die Kids zum Preis von bis zu 400 Dollar kaufen und es so zum zweitbeliebtesten der Liga (nach Jordans) machen. Und es ist LeBron, den Nike, Sprite und Upper Deck für 90, 12 bzw. 6 Millionen Dollar unter Vertrag nehmen.
Den fetten Schuhvertrag, die Werbespots, den Hype, das Talent, das Geld, den Hummer von General Motors, die Autogrammjäger, die Medienmeute – schon vor seinem ersten Spiel als Profi hat LeBron all das, was im NBA-Alltag die Stars von den Rollenspielern unterscheidet. Er ist das neue Gesicht der NBA, bevor klar wird, für welchen Verein er überhaupt spielen würde.
Alles hängt davon ab, wie LeBron mit seinem neuen Superstar-Dasein und den riesigen Erwartungen umgeht – und mit einem Medienhype, neben dem Yao Mings Rookiesaison wie ein entspanntes Schaumbad bei Kerzenlicht aussieht. Der aufsehenerregende Hype um seine Person gehört zu ihm, seit er sich rasieren muss. Eigentlich kann LeBron in der NBA nur verlieren.
Allen Unkenrufen zum Trotz hält LeBron dem Erfolgsdruck stand. Nicht nur, dass er mit Führungsqualitäten überzeugt, Rückschläge steckt er weg wie Kleingeld. „Er hat einen Airball geworfen, ihm wurde in die Fresse gedunkt, doch es hat ihn kein bisschen aus dem Spiel gebracht“, zeigt sich Gegenspieler Sean Colson nach der ersten Begegnung mit James beeindruckt. „Das ist ungewöhnlich für einen Rookie. Das zeigt seine Charakterstärke.“
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