Da von mir nichts mehr kam, redete mein Vater weiter, „Dafür, dass du heute Morgen nicht mehr vom Klo gekommen bist und dir fast die Eingeweide rausgekotzt hast, wirkst du gut erholt.“
Ich gehörte zu den Menschen, die nur selten rot anliefen – dies war so ein Moment. Betreten schaute ich auf meine Füße und legte mir im Geist ein paar Argumente zurecht. Manchmal hasste ich den Sarkasmus meines Vaters. Trotz – oder gerade wegen – seiner Vorliebe für ironische Untertöne anstelle eines Wutausbruchs, empfand ich immer Respekt für ihn. Das machte meine Lage nicht wirklich besser. Eine seltsame Eigenschaft meines Vaters bestand nämlich darin, seinen Ärger durch kühle Überlegenheit zu äußern. In solchen Augenblicken kräuselten sich immer seine Lippen und ein Glitzern trat in die Augen. Er beherrschte Souveränität wie kein Zweiter, was mich oft wahnsinnig machte. Für jedes Argument, das ich während einer hitzigen Diskussion vorbrachte, hatte er bereits ein Gegenargument parat. Nur manchmal, wenn er wirklich wütend war, zeigte er diese Wut ungeschönt. Wäre ich nicht noch im Einkaufs- und Wellnessrausch gewesen, dann wären mir das fehlende Funkeln in den Augen und die zusammengepressten Lippen aufgefallen. Eine seltene Kombination, die ich zum letzten Mal bei ihm gesehen hatte, als er einen Geschäftsführer wegen Unterschlagung feuerte.
„Es war nur heute“, begann ich mit meiner Entschuldigung. „Ich war gestern fix und fertig und habe mich heute früh auch wirklich krank gefühlt.“
Bei ihm löste es keinerlei Verständnis aus. Ein Mann, der jahrelang nur für die Arbeit gelebt hatte, konnte nicht nachvollziehen, wie sehr ich diesen Freiheitsentzug durch die Sozialstunden verabscheute. Noch immer stand er wie die Ermahnung in Person vor mir. Sein Blick brannte sich regelrecht in meinen Kopf, zwischen den Augenbrauen trat die Zornesfalte hervor.
„Und deine Krankheit hast du mit einer Shoppingtour kuriert?“
„Nein“, sagte ich vorsichtig, „ich bin den ganzen Vormittag im Bett gelegen. Später war ich dann beim Massieren. Du sagst selbst immer, das würde Wunder wirken, wenn man krank ist, und auf dem Weg zum Auto hab ich noch schnell meine bestellten Sachen bei Gucci abgeholt.“ Keine Lüge. Eine kleine Flunkerei und Dehnung der Wahrheit.
„Nur bei Gucci?“ Seine Augenbraue hob sich ungläubig.
Ich machte gerade den Mund auf, als hinter mir die Tür ging.
„Wo wollen`s die Sachen hinhaben?“, quäkte eine Frauenstimme in typischem Münchener Dialekt.
Könnte bitte jemand die, mit bunten Kartons und Tüten vollbepackte, Taxifahrerin verschwinden lassen?
„Des is aber ein schönes Haus! In die Gegend komm ich so selten, meistens fahr i nur Innenstadt, und wenn ich doch moi nach Grünwald komm, dann derf i mir die Villen nur von außen anschauen.“
Während Cornelius ihr meine Errungenschaften aus zirka fünf verschiedenen Geschäften abnahm und die Taxifahrerin anschließend zur Tür hinaus beförderte, wollte ich diese Ablenkung nutzen, mich hinauf in mein Zimmer zu schleichen. Mein Vater stoppte mich, noch bevor ich den Fuß auf die erste Stufe setzte.
„Luziah!“
Mist. „Ja schon gut. Ich weiß selber, dass ich wieder Mist gebaut habe. Aber können wir das auf später verschieben? Ich möchte erst duschen und was essen, bevor die übliche Predigt kommt“, entgegnete ich. Was mich erwartete, war mir klar: Eine lange Moralpredigt, dann mein Versprechen, ab sofort vernünftig zu sein, gleich nach seiner Androhung einer Kreditkartensperrung.
„Ich will jetzt nicht mit diesen abgedroschenen Phrasen von wegen du musst Verantwortung übernehmen anfangen, denn das geht bei dir zum einen Ohr rein und zum anderen raus. Aber warum zum Henker kannst du nicht ...“
Er redete sich in Rage. Ich unterbrach ihn irgendwann mit den Worten, „Es kommt nicht wieder vor“, und machte einen weiteren Fluchtversuch, was seinen Blutdruck offenbar weit nach oben trieb. Zornig baute er sich vor mir auf und atmete ein paar Mal tief durch. Die nächsten Sätze knallte er mir in schneidendem Tonfall hin: „Ich will keine leeren Versprechungen mehr von dir hören. Ich habe dir in all den Jahren nicht so viele Freiheiten gelassen, damit aus dir ... das hier wird. Wahrscheinlich war es mein Fehler, dass ich geglaubt habe, du würdest bei dem ganzen Luxus normal bleiben.“
Ich schnappte nach Luft. Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt ...
„DAS HIER!?“, platzte ich heraus. Jetzt hatte ER den Bogen überspannt und zwar gewaltig! Er hielt mich nicht für normal? So hatte mich schon lange niemand mehr beleidigt, schon gar nicht mein eigener Erzeuger.
„Ganz recht: das hier. Eine verzogene, oberflächliche Partymaus, mit der Aufmerksamkeitsspanne einer ...“
„Oberflächlich?! Du kannst doch überhaupt nicht wissen, wie ich wirklich bin, wir reden ja kaum miteinander!“
„Ich kenne dich besser als du denkst. Und auch deine sogenannten Freunde, von denen ich immer schon gesagt habe, dass sie einen schlechten Einfluss auf dich haben. Ich finde es langsam zum Kotzen, dass ...“
Geschätzte fünfzehn Minuten lang standen wir uns in der Eingangshalle gegenüber und schrien uns an. Wir beleidigten uns und unsere Freunde, zwischendrin zerdepperte ich eine Flasche Cognac, die Cornelius nicht schnell genug in Sicherheit brachte, obwohl er mit seinem Tablett eine kleine Zirkusnummer hinlegte. Schließlich pfefferte ich meine cognacgetränkte Prada-Tüte gegen die Wand. Offenbar hatte sich ganz schön viel Frust in uns angestaut, der nun unkontrolliert herausbrach.
„Als ich so alt war wie du ...“
„Gott sei Dank bin ich nicht du ...“
„Solange du deine Füße unter meinen Tisch ...“
Das waren noch die harmlosesten Aussagen, dann wurde es richtig übel.
„Was heißt hier undankbar? Soll ich mich etwa freuen, weil du mich in dieses Loch zu diesen Viechern schickst?“
„Ich wollte es dir ersparen, auf einer Pflegestation zu putzen!“
„Wieso“, spie ich. „Weil du mich für eine weinerliche Tussi hältst? Glaubst du, ich halte es nicht aus, einen Opi an einer Beatmungsmaschine zu sehen?“
Noch während ich ihm diese Aussage hinknallte, bereute ich es. Mein Dad schluckte hart, seine Augen wurden zu Schlitzen.
„Du hast meinen Vater damals nicht gesehen ...“, sagte er langsam. „Der Anblick ist bei Fremden genauso schlimm, ich wollte dir den Schock ersparen.“
Das wäre der richtige Moment für eine Entschuldigung meinerseits gewesen. Den Satz mit dem Opi hatte ich nicht ernst gemeint, ich hatte vor lauter abreagieren-wollen einfach nicht nachgedacht und war zu weit gegangen. Leider war ich zu sehr in Fahrt, als dass ich noch die Kurve gekriegt hätte.
„Oh bitte, du willst nur über alles die Kontrolle behalten und mir Vorschriften machen!“
Unser Streit endete damit, dass ich meinem Vater vorwarf, er würde mich wie ein Kind behandeln. „Ab sofort lebe ich mein eigenes Leben, ob es dir passt oder nicht!“
Er rief mir noch etwas wie „Du kannst doch nicht mal alleine ein Ei kochen“ hinterher, was ich mit einem lauten Türenknallen kommentierte.
Shit und Doppelshit! Ich trat gegen die Tür meines Zimmers und holte eine Flasche Prosecco aus dem kleinen Kühlschrank neben der Couch. Wütend riss ich den Korken heraus und trank aus der Flasche. Nachdem ich die Hälfte davon intus hatte, kam ich allmählich wieder runter. Mit geschlossenen Augen saß ich auf meiner Ledercouch, von unten drang gedämpft die Stimme von Mick Jagger zu mir durch. Die Stones . Mein Vater war ein großer Fan der Rolling Stones, und wann immer er abschalten wollte, legte er eine dieser alten Schallplatten auf. Warum er sich die Songs nicht einfach als MP3 in besserer Klangqualität zulegte, verstand ich bis heute nicht.
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