Nachdem ich meine Jacke ausgezogen und behutsam über eine Stuhllehne gehängt hatte, setzte ich mich auf ein freies Plätzchen der Eckbank und schielte zur Kaffeemaschine. Sicher würde mir die Frau erstmal einen starken Kaffee anbieten und eine Stunde lang erklären, was ich hier zu tun hätte.
„Dann kommen Sie mit, das Hundehaus muss sauber gemacht werden. Mit der Hygiene nehmen wir`s sehr genau, wegen Krankheiten und so, außerdem fühlen sich die Tiere viel wohler, wenn es sauber ist.“
Also kein Kaffee. Na gut, darum konnte ich mich auch kümmern, während ich die Putzfrau beaufsichtigte.
Das war der schlimmste Tag meines Lebens! Zur Krönung hatte mich auch noch der Chauffeur vergessen und ich hatte in der brütenden Hitze ewig auf ein Taxi warten müssen. Ich wollte nur noch heim, in den Pool springen und es mir im Schatten mit einem kalten Cocktail gemütlich machen.
Als ich erschöpft und verschwitzt mit einem meiner Schuhe in der Hand die Einfahrt hochhumpelte, wäre ich beim Anblick des Ferraris vor dem Eingang am liebsten gleich wieder umgedreht. Die einzigen in meinem Freundeskreis, die eine solche Nuttenschleuder fuhren, waren Clarissa und ihr Bruder. Den Spott der beiden hörte ich jetzt schon: „Süße, wie siehst du denn aus? Einen Ausflug in die Gosse gemacht?“
Das verstand Clarissa unter Humor. Passend dazu würde sie ihre Sonnenbrille bis zur Nasenspitze vorziehen und ihrem Bruder zuzwinkern: Christoph Johann Emanuel der Dritte. Eine Mischung aus Robert Pattinson (rein optisch) und einem Arschloch. Seit der Shades-of-Grey-Hype angefangen hatte, hielt sich dieser Typ für einen zweiten Christian Grey und trug die Nase noch ein Stück höher als sonst. Auch seine Reaktion auf meinen Zustand konnte ich mir lebhaft vorstellen: anzüglicher Spruch, gelüpfte Augenbraue, arrogantes Kopfschütteln.
Um den beiden aus dem Weg zu gehen, schlich ich zur Terrasse, nicht ahnend, dass es sich dort der Möchtegern-Casanova bequem gemacht hatte. Er lag sichtlich gelangweilt im Anzug auf meiner Liege und stocherte mit dem Schirmchen in einem Cocktail rum. Zum wiederholten Mal bestätigte er meine Annahme, er wäre nicht ganz dicht. Wer sonst würde sich bei dreißig Grad im Schatten in Hemd und Jackett auf eine aufgeheizte Terrasse legen? Die obersten Hemdknöpfe natürlich offen, damit man seine blasse Brust sehen konnte. Seine Schwester saß daneben und hielt sich einen kleinen Handventilator vors Gesicht.
Ich wollte mich hinter einen Busch werfen, bevor sie mich entdeckten, aber es war zu spät.
„Oh, Süße, was ist denn mit dir passiert?“, schallte es mir entgegen.
„Frag lieber nicht ...“ Ich zog rasch meinen zweiten Schuh aus und schleppte mich zu den Liegen. Clarissa begrüßte mich mit Küsschen links und rechts, ihr Bruder sagte nichts. Ich ertrug diesen Menschen selten länger als fünf Minuten; wäre ich fitter gewesen, hätte ich ihn mit einem Tritt von meiner Lieblingsliege befördert.
„Warum seid ihr so früh schon da? Hast du meine SMS nicht bekommen?“, fragte ich Clarissa, die sich steif auf einen Liegestuhl setzte. Ihr hautenges weißes Kleid war nicht für gemütliche Körperhaltungen gemacht. Vermutlich hatte sie Angst, eine Naht könnte aufplatzen. So sehr sie auf ihre Kleidung Wert legte, so wenig Zeit investierte sie in ihre Frisur. Ich hatte sie nur selten mit einer anderen Frisur als diesem akkuraten Pferdeschwanz gesehen, dabei hätte sie mit einem leichten Stufenschnitt weniger streng gewirkt. Clarissa war keine Schönheit, dafür waren die korrigierte Nase und die modellierten Wangenknochen viel zu perfekt. Ein typisches Hollywoodgesicht, das jegliche Ausstrahlung vermissen ließ. Aber sie fühlte sich damit wohl, also erwähnte ich das Thema Schönheits-OPs so gut wie nie.
„Wir waren grad in der Nähe und wollten wissen, wie dein erster Tag war“, flötete sie.
„Die Hölle“, murmelte ich.
Mit einer grazilen Bewegung griff Clarissa nach dem Cocktail auf dem Tischchen neben sich. Für mich war leider keiner vorbereitet. Wo steckte eigentlich der Butler? Mir klebte schon der Mund zusammen. Am liebsten hätte ich Clarissa das Glas aus der Hand gerissen und mir alles auf einmal reingeschüttet. Da ich wusste, wie gerne sie sich über meine Herkunft lustig machte, ließ ich das bleiben. Ich sollte dazu sagen: Clarissa und ihr Bruder waren zwar in meinem Alter, sie trieben sich ebenfalls ständig auf Partys rum, aber man merkte ihnen deutlich ihre strenge Erziehung an. Oder sollte ich besser sagen: die abgehobene Erziehung? Ihre Familie gehörte zum alten deutschen Adel, was sich darin äußerte, dass alle mit einem Stock im Arsch auf die Welt gekommen waren. Als ich damals als Zwölfjährige auf die Privatschule gewechselt war und mich noch normal auf einen Stuhl setzte, hatte Clarissa bereits eine perfekte Society-Lady verkörpert. Zumindest hatte sie sich in der Öffentlichkeit so verhalten. Stets eine aufrechte Haltung wie festzementiert, die Nase entsprechend weit oben und ein verhaltenes Lachen, wenn sie es für angebracht hielt. Mittlerweile lachte sie häufiger und drückte sich bei ihren Freunden nicht mehr so geschwollen aus, aber das Verkrampfte hatte sie sich nie ganz abgewöhnt. Wenn ihre Familie wüsste, was ich mit ihr und dem Mann mit den drei Vornamen schon alles erlebt hatte ... sie würden sich vor Scham alle die Kugel geben. Und mein Vater dachte allen Ernstes, ich wäre überdreht. Er hatte eben noch nie gesehen, wie sich Clarissa von ihrem eigenen Bruder im Suff Champagner vom Körper lecken ließ. Zur Entschuldigung der beiden sollte ich erwähnen, dass sie und ihr Bruder die meiste Zeit ihres Leben getrennt verbracht hatten – er in einem Internat, sie auf der örtlichen Privatschule. Kurz vor der peinlichen Champagner-Nummer war Christoph vom Internat zurückgekehrt, um mit seiner Schwester ihren 18. Geburtstag zu feiern. Ich war selbstverständlich auch anwesend, ebenso am nächsten Tag, als Clarissa bei Gräfin von-und-zu mit abgespreiztem Finger am Tee nippte, während Mr. Cool die Anwesenden mit einer Geschichte über ein angebliches Wohltätigkeitsprojekt seinerseits langweilte. Das einzig Wohltätige, das ich bei diesem Menschen jemals erlebt hatte, war, als er sich von verdorbenem Sushi eine Lebensmittelvergiftung zugezogen und uns einige Tage mit seiner Anwesenheit verschont hatte.
„Was riecht hier so nach Hund?“ Christoph sah sich naserümpfend um.
Ich warf ihm einen giftigen Blick zu, da mir keine passende Antwort für ihn einfiel. Natürlich kam der Gestank von mir, das wusste er ganz genau. Außer mir war auch niemand in der Nähe, der sich den ganzen Tag lang vollsabbern lassen musste und mit Designerschuhen in Hundekacke getreten war.
„Jetzt klär uns endlich auf“, forderte Clarissa, „was musst du in diesem Tierheim machen? Du siehst so aus, als wärst du überfallen worden.“
„Gleich.“ Ich war ganz kurz durch den Anblick eines Lichtwesens abgelenkt, das in meine Richtung schwebte: Unser Butler trat aus dem Schatten, in seiner Hand ein Tablett mit einem eiskalten Tequila Sunrise für mich. Ich hatte mich selten so gefreut über diesen Service wie in diesem Moment. Dieser Mann konnte also doch Gedanken lesen und wusste, was ich nach einem harten Tag wie diesem erwartete. Cornelius beugte sich mit einem verständnisvollen Ausdruck in den Augen zu mir herunter, wartete, ob ich Anweisungen für ihn hätte, und verschwand wieder genau so lautlos, wie er gekommen war.
Während ich das halbe Glas in einem Zug austrank, hörte ich rechts von mir ein angewidertes Schnuppern.
„Willst du nicht zuerst duschen gehen?“, schlug Mr. Cool vor.
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