Damit war die Besprechung beendet.
Rooster befand sich in Hochstimmung. Er ließ an diesem Abend Whisky ausgeben, um seine Leute zu motivieren. Er selbst und die ranghöchsten Offiziere leerten zwei Flaschen französischen Cognac. In Bonaparte-Pose stieß er mit dem Offizierscorps auf den bevorstehenden ungleichen Kampf an. In Siegesstimmung krochen die Kommandanten in ihre Zelte oder unter ihre Decken.
Als Lieutenant stand Sherman kein Zelt zu. Er schlief bei seinen Unteroffizieren unter freiem Himmel, in der Nähe der Pferdekoppel. Die Zuversicht Roosters erschien ihm verfrüht. Er hatte die gescheiterte Expedition im vergangenen Jahr nicht mitgemacht. Aber alle Augenzeugen, die er gehört hatte, und alle Berichte, die er gelesen hatte, ergaben unter dem Strich ein warnendes Bild: Die Cheyenne waren nicht nur todesmutige Kämpfer, sondern auch gerissene Strategen.
Er sorgte dafür, dass die Wachen verstärkt wurden. Lange lag er wach, bevor er in einen unruhigen Schlaf fiel.
Cunningham hatte seine dreißig Krieger in drei Gruppen aufgeteilt. Sechs Indianer mit zwölf Gewehren und reichlich Munition bezogen auf der Ostseite des Armeelagers Stellung. In sicherer Entfernung. Sie sollten weiter nichts als Verwirrung stiften.
Fünfzehn Krieger lagen auf der Westseite in der Deckung des kniehohen Grases. Sie hatten ein paar Gewehre bei sich. In erster Linie aber waren sie mit Speeren und Pfeil und Bogen bewaffnet.
Cunningham selbst leitete den heikelsten Teil des Überraschungsangriffes. Mit neun Cheyenne schlich er sich im Schutze der Dunkelheit an das Lager heran. Und zwar von der Seite, auf der acht Ochsenwagen mit Proviant und Waffen zu einer Wagenburg zusammengefahren standen.
Stundenlang lagen sie in Rufweite der Kavalleristen auf der Lauer. Erst als es ruhig wurde im Armeelager und die Lagerfeuer nur noch vor sich hinglühten, gab Cunningham das Zeichen zum Angriff.
Lautlos robbten sie auf die Ochsenwagen zu. Vier Krieger lösten sich aus dem Stoßtrupp, nachdem die Positionen der Wachen ausgespäht waren.
Einige Gesichter seiner ehemaligen Kameraden erschienen vor Cunninghams innerem Auge, als er die Schatten der Indianer über die Wachen herfallen sah. Cunningham war nie der Mann gewesen, der kaltblütig über Leichen gehen konnte. Aber es war Krieg. Und er hatte sich für die Cheyenne entschieden.
Nachdem die Wachen ausgeschaltet waren, schlichen sie unter den Wagen hindurch. Sie spannten Pferde vor fünf mit Proviant beladenen Wagen. Alles ging in gespenstischer Ruhe vor sich. Sie fanden Fässer mit Whisky und gossen ihn in allen acht Wagen aus. Drei der Krieger entzündeten Fackeln und setzten die Wagen in Brand.
"Feuer!", schrie eine Wache auf der anderen Seite des Lagers.
"Feuer!", kam es bald von allen Seiten.
Je zu zweit sprangen sie auf einen Wagen. Sekunden später donnerten fünf brennende Wagen durch das Lager. Gleichzeitig hörte man vom Osten her Gewehrfeuer. Cunningham hatte seinen Leuten eingeschärft, dass immer drei Männer nachladen und drei schießen sollten. Es hörte sich an, als würde eine ganze Kavallerieabteilung angreifen.
Die Cheyenne lenkten die Wagen auf die Rinderkoppel zu. Die Tiere stoben in panischer Furcht auseinander und durchbrachen die Koppel.
Die ersten Schüsse durchschlugen die Planen der brennenden Wagen. Cunningham zog sein Gespann herum und hielt auf die Pferdekoppel zu. Die anderen folgten. Wachen stellten sich ihnen in den Weg und eröffneten das Feuer. Der Krieger auf dem Bock neben Cunningham schoss zurück.
Die Pferde vor den Wagen gerieten außer sich und fielen in gestreckten Galopp. Als wollten sie dem Feuer entfliehen, dass sie doch hinter sich her zogen. So donnerten die rollenden Feuersbrünste unter die fast fünfhundert Pferde der Kavalleristen. Zu einer dunklen Woge zusammengepresst schob sich die Herde in das nächtliche Grasland hinein.
Als würde ein Erdbeben den Boden aufreißen wollen, trommelten die Hufe der Armeepferde über den harten Grasboden. Dann riss die Herde auseinander - in alle Richtungen flohen die Tiere. Der weitaus größte Teil nach Westen - wo sie die Speere und Pfeile der Cheyenne erwarteten.
Erst als sein Rücken vor Hitze glühte, gab Cunningham das Zeichen zum Abspringen. Sie ließen sich von den brennenden Wagen fallen und spurteten in die Dunkelheit.
Zwei Stunden später trafen sie sich bei ihren Pferden. Kein einziger Krieger hatte den Überfall mit seinem Leben bezahlen müssen.
Rooster tobte. Wie ein Wahnsinniger wütete er. Sherman und seine Offiziere konnten ihn nur mit Mühe davon abhalten, die vier für die Wachen verantwortlichen Unteroffiziere zu erschießen.
Sie brauchen fast den ganzen Tag, um die überlebenden Rinder und wenigstens einen Teil der Pferde wieder einzufangen. Fast dreihundert Pferde waren entweder tot, verletzt oder in den Weiten des Graslandes verschwunden.
Sämtliches Proviant waren verbrannt, die Wagen mit den Waffen und der Munition explodiert. Ein ganzer Tag war verloren. Schlimmer hätte es nicht kommen können.
Als Rooster sich wieder leidlich im Griff hatte, ließ er die Pferde zählen. Zweihundertzwölf Tiere wurden ihm gemeldet. Er schickte eine Abteilung aus zwölf Kavalleristen in Richtung Sioux City. Dass sie dort eine Telegraphenstation finden würden, von der aus man die Armeeführung um Hilfe bitten konnte, war sicher.
Zwanzig Tiere verblieben im Lager. Am frühen Abend ließ Rooster hundertachtzig Mann aufsitzen und setzte mit ihnen die Verfolgung der Cheyenne fort. Sherman musste ihn begleiten.
Blizzard hieß der Krieger, der die Kavalleristen zwei Tage nach ihrem nächtlichen Husarenstück als erster sichtete. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie die lange Reihe der Reiter am Horizont.
Cunningham schätzte, dass es etwa drei Schwadronen waren, die dort dem Missouri entgegenritten. Nur noch die Hälfte der ursprünglichen Truppenstärke. Aber immer noch genug, um die Cheyenne zu vernichten.
"Es ist hoffnungslos", sagte ein Cheyenne, den sie Singendes Messer nannten.
"Wir haben dem Häuptling immerhin einen Tag Zeit verschafft." Cunningham spürte, dass die jungen Indianer dabei waren, den Mut zu verlieren.
"Es waren einfach zu viele Pferde", sagte Blizzard.
"Zu viele Pferde und zu viele Soldaten", unterstrich ein anderer. Auch seine Stimme klang alles andere als zuversichtlich.
"Aber sie haben nur einen Kommandanten", sagte Cunningham.
Die anderen sahen ihn verblüfft an. "Was meinst du damit?"
"Nichts." Er gab seinem Pferde die Sporen. Ein Gedanke hatte sich in sein Hirn gebohrt, der sein Blut gefrieren ließ. Er wehrte sich gegen ihn, versuchte ihn beiseite zu schieben - aber der Gedanke stand übermächtig in seinem Bewusstsein.
Sie ritten in die gleiche Richtung wie die Schwadronen Roosters. Immer in einer Entfernung, dass die Kolonne der Kavallerie gerade noch als dunkler Strich am Horizont wahrnehmbar blieb.
Kurz vor Sonnenuntergang zerstreute sich der Strich am Horizont zu vielen kleinen Punkten. Rooster ließ das Nachtlager aufschlagen.
Fieberhaft dachte Cunningham nach. Little Bear würde nicht vor morgen Mittag den Missouri erreichen. Und dann brauchte er noch einen Tag Zeit, um Flöße zu bauen und über den Fluss zu setzen.
Spätestens morgen Nachmittag aber würden Roosters Einheiten am Ufer des Missouri erscheinen...
Cunningham ließ zwei Späher an das Lager heranschleichen. Sie kamen kurz nach Sonnenuntergang zurück. "Der Rote Hund hat Kundschafter ausgeschickt. Acht Männer."
Cunningham schwang sich auf sein Pferd. "Holen wir sie uns."
Trotz der einsetzenden Dunkelheit fanden sie die Fährte der Kundschafter. Nach zwei Stunden hörten sie vor sich den Hufschlag ihrer Pferde. Cunningham ließ von drei Seiten angreifen. Es war ein ungleicher Kampf. Die Kavalleristen verloren vier Männer und streckten die Waffen.
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