»Von den Weibern hat er’s wieder gehabt«, sagte Hans wieder so leise und grinste.
»Was?«, brüllte Werner.
»Von den Weibern hat er gesprochen«, mischte sich Erwin ein, und es klang irgendwie ungelenk aus seinem Mund.
»Zum Teufel hat er sie mal wieder gewünscht«, sagte Werner und griff wieder zum Glas. »Aufgeführt hat er sich wie schon lang nicht mehr.«
»Das sind die Nerven«, wusste Erwin. »Unser Bruno wird alt langsam, das sag ich euch.«
»Und auf die Jugend hat er geschimpft, dass sie nichts mehr im Kopf hat, und seinen armen Bub hätt er am liebsten auf der Stelle erschlagen, wär er da gewesen.«
»War er da? Hat der Bruno einen Sohn?«, fragte Birne.
»Durchfliegen wird er wahrscheinlich, weil er in der Schule nichts mehr hinbringt.«
»Ja, schon scheiße.«
»Und dann hat er auch noch auf die Türken geschimpft«, sagte Hans, um den Bericht zu vervollständigen. Er redete immer noch leise, aber Werner verstand ihn diesmal: »Ah, das hat er immer.«
»Was hat er gegen Türken?« Birne war aufmerksam geworden, sein Bier stand vor ihm.
»Dem ist die Frau davon mit einem Ali«, lachte Werner schadenfreudig.
»So so«, lautete Birnes Kommentar.
Sie soffen noch ein bisschen Bier.
»Hat er was gesagt von dem Mord?«
»Passt schon, die haben den jetzt halt. Fertig.«
»Auf die Bürokratie hat er geschimpft, dass das alles Wichser sind, hat er gesagt«, ergänzte Hans.
»Was?«, brüllte Werner, wurde aber ignoriert und fuhr deswegen fort: »Da ist schon was dran an den Türken.«
»Was?« Das war Birne.
»Der Bruno sagt, dass die Ausländer viel mehr Verbrechen begehen als die Deutschen – in Deutschland, wenn sie sind, die Ausländer, mein ich. Und ich sag: Da ist wahrscheinlich schon was dran.«
»Weiß nicht«, kommentierte Birne.
»Ich auch nicht«, entgegnete Werner und signalisierte durch Stieren ein dringendes Bedürfnis nach Bett.
»Sollen wir es packen?«, fragte Hans.
»Gern.« Werner.
»Ich kann dich diesmal nicht fahren, ich habe selbst schon genug.«
»Kein Problem, ich mach das«, sagte Erwin.
»Aber Finger weg von meiner Alten«, bäumte sich Werner noch einmal auf.
»Da brauchst du dir keine Sorgen machen, Werner«, nahm Hans Birne den Sexwitz weg. »Wenn der Erwin so wenig gesoffen hat, dass er noch fahren kann, bringt er auch sonst nichts zusammen.«
In das allgemeine Lachen warf Erwin ein: »Ich will euch halt auch mal eine Chance lassen.«
So ging der Abend auch für Birne zu Ende, und als er sich auf die Straße begab, wusste er nicht, ob er besoffener war als verliebt oder umgekehrt. Jedenfalls waren die Schritte leicht zu machen.
Es waren nur wenige Meter bis zu seinem Haus und als er zur rückseitigen Haustür einbiegen wollte, lösten sich drei kleine Tick-Trick- und Track-Schatten aus dem großen, den das Hochhaus der anderen Straßenseite warf. Birne maß ihnen zwei Sekunden beinahe keine Bedeutung zu, da er sie nicht auf sich bezog, sie für zufällige Schatten auf dem Heimweg hielt. Erst als einer sagte: »Ist er das?« und ein anderer dem ersten antwortete: »denk schon«, war sich Birne sicher, dass die Schatten ihn meinten. Er wurde nervös, ging schneller.
Die Schatten stürzten auf Birne los. Sie gehörten jungen Leuten, gegen die Birne keine Chance hatte. Im Schatten seines eigenen Hauses, seines Ziels, holten sie ihn ein und stellten sich ihm in den Weg, sodass er wieder nicht erkennen konnte, wie die Gesichter der Menschen der Schatten aussahen.
»Der Türkenfreund«, sagte eine Stimme, eine männliche, die den Stimmbruch noch nicht lange hinter sich hatte, und »Guten Abend.«
Birne war voller Panik, hielt es aber momentan noch für unangemessen zu schreien, auch weil er es für relativ sinnlos hielt, schliefen über ihm doch nur Feinde und konnte er nicht mit noch mehr Heimkehrenden um diese Zeit an diesem verlassenen Punkt der Erde rechnen.
»Was wollt ihr?«
»Dich ein bisschen erziehen.«
»Ich bin erzogen.«
Birne erntete nach diesem Satz einen Schlag in den Magen.
»Wir Deutsche, Herr, müssen zusammenhalten, und wenn einer meint, zu den Türken halten zu müssen, wird er erzogen. Kapiert?«
»Ja.« Die Schmerzen krümmten Birne, der Schlag hatte ihn gut erwischt.
»Was?«, brüllte der erste Schläger und warf sich gegen Birne, dass der in den Schneematsch, der von gestern noch übrig war, fiel und sich seine Hose und Jacke beschmutzte.
»Ja«, schrie Birne zurück, der nun seinerseits keinen Grund mehr sah, nicht zu schreien.
Birne bekam Tritte von zweien der jungen Kämpfer und dazwischen schwach mit, dass der Dritte nur dastand, mit seinem Handy, grinste und filmte, wie Birne geschlagen wurde. Durch das Bier in seinen Adern spürte Birne wenig; er wehrte sich nicht und sagte auch nichts, sondern wartete auf das Ende der Prügel. Das kam bald, denn die Jugendlichen hatten wohl Angst, einen Menschen zu töten oder auch nur bewusstlos zu schlagen, sodass er in der Kälte der Aprilnacht erfrieren konnte.
»Hast du genug?«
Birne rührte sich nicht.
»Hat er genug?«, fragte die gleiche Stimme mit etwas Unruhe.
Zwei Hände packten Birne unter den Schultern und zogen ihn mühevoll nach oben. Birne blickte in zwei bedrohlich aussehende Augen. Er erkannte die Jungs aus dem Imbiss wieder.
»Hast du kapiert, was wir aus dir machen, wenn du noch einmal mit der Türkischfrau sprichst: Hackfleisch.«
»Ihr habt eine Anzeige«, erwiderte Birne. Der Junge haute ihm ins Gesicht, auf die Nase. Es war der Fette, er hatte keine Ahnung von der Verwendung einer Faust und traf Birne zwar schmerzhaft, aber ohne Folgen.
»Ich glaube, der hat genug zum Nachdenken jetzt«, sagte der Hip-Hop-Verschnitt, der in der Nacht einen Anorak trug. Der Dicke ließ Birne los, die drei staksten wenige Schritte von Birne weg und blieben dann stehen.
»Ich will sehen, ob er gehen kann«, sagte der Blasse.
Birne bewegte sich nicht, er blieb an der Hauswand gelehnt, starrte auf seine Gegner und atmete laut. Die anderen standen ihm stumm gegenüber und wagten nichts zu tun.
»Geh schon«, sagte der Dicke, und verlor als Erster die Nerven.
Birne schnaufte.
»Sind Sie verletzt?«, fragte der Hip-Hopper, und als Birne nichts antwortete und nur schwer atmete: »Meint ihr, er ist verletzt?«
»Quatsch. Der ist rotzbesoffen, der erinnert sich morgen nicht einmal daran, dass wir ihm begegnet sind«, beruhigte der Blasse seine Freunde.
»Hauen wir ab«, schlug der Fette vor.
Birne drehte sich langsam an der Hauswand herum und schleifte sich an der Mauer entlang zur Ecke. Sie hatten ihn nicht schwer verwundet, aber er hatte durch seinen Rausch wirklich Gleichgewichtsprobleme und war für das Anlehnen dankbar. Er hielt den Zwischenfall für erledigt und wollte nunmehr schlafen und vergessen. Dabei wirkte er wohl verletzter und angreifbarer als er war, denn er hörte den Blassen hinter seinem Rücken sagen: »Wartet, eins noch.«
Er warf sich von hinten mit voller Wucht gegen Birne und diesen zu Boden. Birne kam nicht schnell genug wieder auf, sodass der Junge seine Hose öffnen konnte und sofort auf Birne lospinkelte: »Wir wollen doch nicht, dass unser Alifreund draußen erfriert. Kommt Jungs.«
Birne hatte eingesteckt, und er war gedemütigt worden, aber bepissen ließ er sich deswegen noch nicht. Unbeeindruckt von der gelb-warmen Brühe, die ihm entgegenschwoll, richtete er sich auf und richtete seine Hand gegen die dreckig lachende Quelle des Übels. Der Junge merkte nichts oder zu spät davon, weil er seine Kumpels einladend anschaute. Birne griff in das weiche Gemächt. Das laue Rinnsal versiegte bald, Birnes Griff wurde mächtiger und grub sich tief in die gern weichende Masse, das Lachen wich zuerst einem erstaunten Quieken, dann einem entsetzten Schrei, dem eine plötzliche Angst um eine eventuelle Nachkommenschaft beigemengt war.
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