Dieter David Scholz
Jahrhundertgenie im Zwielicht –
Eine Korrektur
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Aktualisierte Neuauflage
© 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
Die Erstausgabe erschien 2000 im Parthas Verlag, Berlin.
Die Herausgabe des Werkes wurde durch
die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: Satz Weise, Föhren
Umschlagabbildung: Wagner und das Judentum,
erschienen 1879 in der Zeitschrift „Der Floh“, Wien
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-25802-4
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-73614-0
eBook (epub): 978-3-534-73615-7
Peter Wapnewski in memoriam
Innentitel Dieter David Scholz
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
Vorwort zur Neuausgabe 2013
Vorwort zur ersten Ausgabe
Einleitung
I. Der Antisemitismus Richard Wagners in Forschung und Wagner-Literatur. Ein Problemaufriss
Allgemeines
A. Biographische Probleme
1. Vermeintlich jüdische Herkunft
2. Jüdische Konkurrenten
3. Der Quellenwert der Tagebücher Cosimas
B. Konzeptionsprobleme
1. Theoretisches Werk
2. Dramatisches Werk
C. Rezeptionsprobleme
Schlussfolgerungen
II. Abstammungsfragen
A. Richard Wagners Herkunft
1. Geburt auf dem Brühl, dem vermeintlichen Judenviertel Leipzigs
2. Schulmeister, Organisten, Kantoren: Die Herkunft der Eltern
3. „Wahlverwandtschaften“ oder Die Vaterschaftsfrage: Ludwig Geyer
B. Die Großmutterfrage: Cosima Wagners Abstammung
III. Die Tagebücher Cosimas
Grundsätzliches
A. Cosimas Antijudaismus und Wagner-Idolisierung
B. Wagners Antisemitismus: Ein Lernprozess in fünf Stufen
IV. Wagners musikdramatisches Œuvre
Grundsätzliches
A. Wie antisemitisch kann Musik sein?
B. „Der Fliegende Holländer“
C. „Der Ring des Nibelungen“
D. „Die Meistersinger von Nürnberg“
E. „Parsifal“
F. Exkurs über Wagners Religiosität
V. Wagners theoretische Schriften im antisemitischen Umfeld
A. Abriss der Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland
B. „Das Judentum in der Musik“ und sein Stellenwert im Entstehungsprozess der antisemitischen Bewegung ….
C. Wagners Beiträge in den „Bayreuther Blättern“. Die große Rücknahme und Absage an die antisemitische Bewegung
VI. Von Wagner zu Hitler: Die Wirkungsgeschichte von Wagners Antisemitismus
Wagnerismus im „Bayreuther Kreis“ und nationalsozialistische Wagner-Vereinnahmung
Anmerkungen
Abkürzungen
Literaturverzeichnis
Register
Vorwort zur Neuausgabe 2013
Noch immer ist Richard Wagner ein Stein des Anstoßes. Bis heute scheiden sich an ihm die Geister. Vorurteile, Unkenntnis und Missverständnisse bestimmen nahezu jede Wagner-Debatte. Das hat vor allem zu tun mit dem zwar nur 12-jährigen, aber folgenreichen düsteren Kapitel deutscher Geschichte, das 1933 begann und 1945 endete. Daher kommt, wer sich heute – nach dem Holocaust – mit Wagner beschäftigt, nicht umhin, den nationalsozialistischen Wagner-Missbrauch mit zu bedenken, der wesentlich zu tun hat mit Wagners unleugbarem Antisemitismus, der allerdings nach wie vor kaum je sachlich betrachtet wurde. Wobei eine sachlich differenzierte Analyse und historische Einordnung dieses unappetitlichen Phänomens eben nicht bedeutet, es zu verharmlosen oder gar abzustreiten. Bis heute werden ja aus der Post-Hitler’schen Perspektive immer wieder die gleichen Vorurteile und Missverständnisse in Sachen Wagner, seines Antisemitismus und seines Missbrauchs durch die Nationalsozialisten repetiert. Dieter Borchmeyer hat völlig recht, wenn er beklagt, dass es „kaum eine Kontinuität und einen Fortschritt“ 1in der Wagner-Forschung gibt. Und man kann ihm nur beipflichten: „Selbst ernsthafte Wissenschaftler verlieren bei Wagner mehr als einmal ihren Verstand und beginnen zu schwadronieren.“ 2
Schon zur Hundertjahrfeier der Bayreuther Festspiele – 1976 – hat der damalige deutsche Bundespräsident, Walter Scheel, in seiner bemerkenswerten Rede auf ein weitverbreitetes Missverständnis hingewiesen: „Ich glaube nicht an die direkte Linie Wagner–Hitler. Man hat noch mehr solche ‚historischen‘ Linien gezogen. Sie beruhen alle auf Geschichtsbildern, die allzu simpel sind.“ 3Und er fügte hinzu: „Sicher, Wagner war ein Antisemit. Aber es ist einfach falsch, zu behaupten, Hitler habe seinen Antisemitismus von Wagner übernommen. Beide, Hitler und Wagner, sind Teil einer unheilvollen antisemitischen Unterströmung des europäischen Geistes. Aber Hitler wäre sicher auch ohne Wagner Antisemit geworden.“ 4
Friedrich Nietzsche hat als Erster bemerkt, dass Wagner „unter Deutschen bloß ein Missverständnis ist.“ 5Dieses Missverständnis begann schon im Bayreuth Cosima Wagners. Sie hat Wagner nach seinem Tod idealisiert, beweihräuchert, ideologisch verfälscht und ihn damit dem nationalsozialistischen Wagnermissbrauch ausgeliefert, aus dem ihre Schwiegertochter Winifred Kapital schlug. Dieser nationalsozialistische Wagnerismus hat bis heute jede sachliche Wagner-Rezeption in Deutschland verhindert. Übrigens schon 1886, drei Jahre nach Wagners Tod, stellte ein Besucher der Bayreuther Festspiele, Maurice Barrès, fest: „Gerade in Bayreuth ist man, sagen wir es deutlich, am weitesten von Wagner entfernt.“ 6
Richard Wagner hat ähnlich wie Heinrich Heine, wie Giacomo Meyerbeer oder Jacques Offenbach (als Exilant, aber auch nach seiner Amnestierung) einen Großteil seines Lebens im europäischen „Ausland“ verbracht. Fern der „Heimat“ – ein Begriff, der Wagner mit fortschreitendem Alter immer suspekter wurde – hat er die meisten seiner utopischen, pseudo- oder quasimythischen, rebellischen, politischen, gesellschaftskritischen Werke (auch der frühen, der vollendeten wie der nach wie vor unterschätzten unvollendeten 7) konzipiert und ausgearbeitet. Schon als junger Mann hatte Wagner davon geträumt, als Künstler „europäisch-universell“ zu sein. Wie ein roter Faden zieht sich durch Wagners Vita denn auch der Traum von europaweiter Mobilität. 8Der 22-jährige Student Wagner bekannte seinem Leipziger Studienfreund Theodor Apel: „Hinweg aus Deutschland gehöre ich!“ 9Nicht zufällig wird Wagner außerhalb Deutschlands, im europäischen „Ausland“, um diesen (in Zeiten der Globalisierung, des Internet und nahezu grenzenloser Mobilität, in denen wir doch alle gleichermaßen Ausländer wie Einheimische sind) völlig unzeitgemäßen Begriff zu verwenden, wesentlich unverkrampfter und sachlicher als hierzulande betrachtet und bewertet. Der Wagner-Biograph Martin Gregor-Dellin hat bereits beim Internationalen Wagner-Kolloquium 1983 in Leipzig betont: „Das gestörte Verhältnis der Deutschen zu Richard Wagner ist das gestörte Verhältnis zu ihrer Geschichte.“ 10Daran hat sich bis heute nichts geändert.
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