Die im Rahmen des Forschungsprojekts zum Antisemitismus des in die USA emigrierten Instituts für Sozialforschung entstandene geschichtswissenschaftliche Darstellung von Paul W. Massing über die Entstehung des politischen Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich wurde erstmals 1949 in der Reihe Studies in Prejudice unter dem Titel „Rehearsal for Destruction“ veröffentlicht und 1959 in deutscher Übersetzung in der Europäischen Verlagsanstalt.
Das Buch wurde seinerzeit als richtungweisende Pionierstudie gelobt. Ihre Stärke liegt insbesondere darin, dass Massing die Entstehung des Antisemitismus in den politischen Kontext stellt, den Machtverhältnissen der Zeit nachgeht und die sozialen und ökonomischen Bedingungen einbezieht. Die Bedeutung seiner Studie zeigt sich auch darin, dass er herausarbeitet, wie sich das antisemitische Potential von der politischen Bewegung hin zu den Interessenverbänden des Bürgertums und Mittelstands verlagert und wie genau diese sozialen Klassen zu den entscheidenden Akteuren des Antisemitismus wurden.
Paul W. Massing (1902–1979), in der Pfalz geboren, wurde 1933 in Berlin als Kommunist verhaftet. (Über diese Zeit verfasste er unter dem Pseudonym Karl Billinger einen Erfahrungsbericht mit dem Titel „Schutzhäftling Nr. 880“). Nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager emigrierte er in die USA. Von 1943 bis 1947 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in New York, 1949 wurde er zum Professor für Soziologie an der Rutgers University, New Jersey, berufen.
Ulrich Wyrwa, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin.
Paul W. Massing
Vorgeschichte des
politischen Antisemitismus
Herausgegeben und mit einem
Nachwort von Ulrich Wyrwa
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Rehearsal for Destruction« erschienen 1949 bei Harper&Brothers,
New York, in der Reihe Studies in Prejudice , herausgegeben von Max Horkheimer und Samuel H. Flowerman
E-Book (ePub)
© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021
Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung: nach Entwürfen von MetaDesign, Berlin
Motiv: Ausschnitt aus ‚Germania rüstet sich zur Weltausstellung in Chicago‘ aus der Satirezeitschrift ‚Der wahre Jacob‘ (1892, Nr. 156)
Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)
ePub:
ISBN 978-3-86393-582-5
Auch als gedrucktes Buch erhältlich:
Neuausgabe © CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021
Zu dem Vorwort zur deutschen Ausgabe von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer wurde das Vorwort von Paul W. Massing zur amerikanischen Erstausgabe angefügt.
Ein Nachwort des Herausgebers beschließt die Neuausgabe.
Deutsche Erstausgabe übersetzt und bearbeitet von Felix J. Weil erschien als Band 8 der Reihe des Frankfurter Instituts für Sozialforschung:
© 1959 by Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt a.M.
Print: ISBN 978-3-86393-123-0
Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter www.europaeische-verlagsanstalt.de
VORWORT VON MAX HORKHEIMER UND THEODOR W. ADORNO ZUR DEUTSCHEN ERSTAUSGABE
VORWORT VON PAUL W. MASSING ZUR AMERIKANISCHEN AUSGABE
IDie Liberale Ära (1871–1878)
IIDer christlich-konservative Gegenangriff (1879–1886)
IIIKonservativer Staat und soziale Demagogie
IVStoeckers Niedergang (1886–1890)
VDie Ära Caprivi (1890–1894)
VIDie völkische Bewegung
VIIZur Charakteristik des völkischen Antisemitismus
VIIIDer Niedergang des politischen Antisemitismus
IXNationale Sammlung und Antisemitismus
XDer Standpunkt der Sozialisten
XIMarxistische Politik
EXKURS: Der Fall Franz Mehring
XIIDie Sozialdemokratische Partei in der Ära des Imperialismus (1895–1914)
Eine Zusammenfassung
ANMERKUNGEN
REGISTER
NACHWORT ZUR NEUAUFLAGE VON ULRICH WYRWA
ANMERKUNGEN ZUM NACHWORT
Vorwort von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zur deutschen Erstausgabe
Mit dem Werk von Paul Massing über den politischen Antisemitismus im Kaiserreich bringen die »Frankfurter Beiträge zur Soziologie« erstmals eine Studie, die während der Emigrationsjahre im Institut für Sozialforschung an der Columbia-Universität zu New York entstand. Das Original erschien unter dem Titel »Rehearsal for Destruction« im Rahmen der »Studies in Prejudice«, die Max Horkheimer und Samuel Flowerman herausgaben. Dem American Jewish Committee, dessen Forschungsabtei lung damals mit dem Institut aufs engste zusammenarbeitete, ist für die Bewilligung des Drucks der deutschen Fassung zu danken. Ergänzt wird das Buch durch die hier entstandene soziologische Dissertation von Eleonore Sterling, welche die Vorgeschichte des deutschen politischen Antisemitismus noch weiter zurückverfolgt, bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts. Sie wurde im Verlag Chr. Kaiser, München 1956, unter dem Titel »Er ist wie du« veröffentlicht.
Zur Publikation des Massingschen Werkes bewog uns indessen nicht nur der Wunsch, die Kontinuität zwischen der amerikanischen Produktion des Instituts und seinen Forschungen in Deutschland seit 1950 hervorzuheben. Es dünkte uns an der Zeit, daß Untersuchungen, die sich auf spezifisch deutsches Material bezogen und die einem so zentralen Komplex wie der Vorgeschichte des Antisemitismus gelten, auch in Deutschland bekannt werden. Ohne Einsicht in diesen Komplex bliebe das Verständnis des kaum Vergangenen verbaut. Die Abwehr der Erinnerung an das Unsägliche, was geschah, bedient sich eben der Motive, welche es bereiten halfen.
Wahr ist, daß die Gabe der Erinnerung in der rasch sich ändernden Gesellschaft unter dem Zwang, zeitgemäßere Fähigkeiten zu entfalten, sich zurückbildet. Die Reflexion der Völker auf ihre Geschichte ist seit je der herrschenden Richtung gefolgt; heute bleibt ihnen zu solcher Reflexion keine Zeit. Ohne lohnende Funktion im Zweckzusammenhang der Gegenwart hat Vergangenheit, private wie historisch relevante, wenig Aussicht, im Bewußtsein zu erscheinen, sie ist »past history«, totes Kapital. Um Zinsen zu tragen, müßte es als Element sozialer Integration, als Instrument der Ausrichtung brauchbar, zumindest für einen Augenblick politisch passend sein. Das ist die Aussicht der Ermordeten, im Bewußtsein wieder aufzustehen, seien es Polen, Juden, Deutsche oder wer je in der Geschichte Freiwild war. Seit den ersten Nachkriegsjahren hat die Chance der geopferten Juden auf solches Eingedenken in Europa abgenommen und ist auf die Wenigen angewiesen, deren Wille zur richtigen Zukunft mit der Absage an die Wiederholung sich die Analyse des Vergangenen auferlegt. Massings Buch kann ihnen eine Hilfe sein.
Soweit heute auf den finstersten Aspekt des Nationalsozialismus, den mörderischen Rassenwahn, in Deutschland reflektiert wird, stellt er zumal dem traditionalistischen Kulturglauben als eine von außen bereitete Katastrophe sich dar; als wäre Hitler wie ein Dschingis Khan in das Weimarer Deutschland eingebrochen und hätte ein Fremdes, gänzlich Unvorhersehbares verübt. Noch die entsetzte Rede von dämonischen Kräften dient insgeheim der Apologie: was irrationalen Ursprungs sein soll, wird der rationalen Durchdringung entzogen und zu einem schlechterdings Hinzunehmenden magisiert. Denkt man an Wurzeln des totalitären Antisemitismus, so sind intellektuelle Wortführer wie Langbehn, Lagarde, Gobineau, allenfalls Chamberlain, das Wagnerische Bayreuth, schließlich Lanz von Liebenfels gemeint; selten die eigentlich politisch-soziale Sphäre. So kulturfremd nun aber auch in der Tat Hitler sich ausnimmt, so tief reichen doch die geschichtlichen Ursprünge seiner Untat. Sie stecken keineswegs bloß in den Theoremen einiger paranoider Querköpfe.
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