1 ...6 7 8 10 11 12 ...38 Als Iraner war ‚Zarathustra‘, seine historische Existenz unterstellt, Angehöriger eines mit den Indern stammverwandten Volkes, das im dritten vorchristlichen Jahrtausend aus der asiatischen Steppe nach Süden gezogen war. Die ursprünglichen religiösen Vorstellungen und Praktiken dieser Hirten und Bauern glaubt die Forschung durch Vergleich des ‚Avesta‘ mit der altindischen Überlieferung erschließen zu können.140 Danach opferten die alten Iraner dem Feuer und dem Wasser unter Gebeten für die Seelen von Mensch und Tier: „Wir verehren unsere eigenen Seelen und diejenigen der Nutztiere, die uns ernähren, (…) sowie die Seelen nützlicher wilder Tiere.“141 Die Gaben, die vielen Göttern dargebracht wurden, sollten sowohl die Welt in Gang halten als auch das menschliche Leben positiv beeinflussen. Verehrt wurde eine kosmische Kraft der Wahrheit und Ordnung ( asha ), dem die menschlichen Qualitäten der Tugend und des Wohlverhaltens entsprachen und dem die Kraft der Falschheit ( draoga ) entgegenstand.142 Als höchster dem Asha zugeordneter Gott wurde Ahura Mazdā („Fürst der Weisheit“) verehrt.143 Nach Boyce glaubte man an eine postmortale Existenz des Einzelnen, die durch die Nachlebenden zeitweise entscheidend beeinflusst werden konnte.144 In den ersten drei Tagen musste der Seele des Verstorbenen durch Trauerarbeit seiner Verwandten, Fasten und priesterliche Gebete gegen böse Mächte geholfen werden. Um das unterirdische Reich der Toten zu erreichen, sollten die Verwandten der Seele Opfer für Nahrung und Kleidung darbringen. Diese Handlungen wiederholten sich dreißig Tage hindurch, dann Monat für Monat, weil die Seele, wie vermutet wurde, von der Bruderschaft der Toten noch nicht voll angenommen war. Nach Ablauf eines Jahres wurden die Opfergänge bis zum dreißigsten Jahr am Todestag wiederholt, wobei die Verantwortung für die Erfüllung der Rituale beim Erben des Verstorbenen, gewöhnlich dem ältesten Sohn, lag. Erst dann, nach einer Generation, teilte die Seele, wie vermutet wurde, uneingeschränkt die große Gemeinschaft der Toten, so dass sich die Familie damit begnügen konnte, fortan seiner am allgemeinen „Allerseelentag“ ( Hamaspathmaedaya ) zu gedenken. Dieses Fest wurde in der letzten Nacht des Kalenderjahres begangen, wenn die Seelen in ihre alten Häuser zurückkehrten, um beim Tagesanbruch an Neujahr wieder zu verschwinden. Vermutet wird jedoch, dass ursprünglich nur Fürsten, Krieger und Priester auf den Eingang ins Paradies und die Gemeinschaft mit den Göttern hoffen konnten; andere Seelen, vor allem diejenigen der Niedriggeborenen, der Frauen und Kinder, hatten nur eine ewige freudlose Existenz zu erwarten.145
Nach diesen religiösen Vorstellungen über die postmortale Welt konnte es bei Stiftungen also nur um die Förderung eines Seelenkults gehen, durch den die Seele für ihre Weiterexistenz ernährt werden sollte, nicht aber um ein Seelenheil, das ihr als Gabe Gottes oder der Götter eine gesteigerte Existenzweise versprach. Für den Übergang soll Zarathustra gestanden haben. ‚Zarathustra‘ soll ein Priester gewesen sein, der sich durch Offenbarungen des höchsten Gottes Ahura Mazdā zum Propheten für die ganze Menschheit berufen fühlte. Die ihm zugeschriebenen Hymnen ( Gathas ) verkünden, Ahura Mazdā sei der eine ungeschaffene Gott, der von Ewigkeit her existiere und der Schöpfer von allem anderen Guten sei, eingeschlossen die anderen wohltätigen Gottheiten. Zugleich soll ‚Zarathustra‘ in einer Vision den Widersacher des höchsten Gottes erkannt haben, den „Feindlichen Geist“, Angra Mainyu, der ebenfalls unerschaffen, aber unwissend und durch und durch bösartig sei. Beide großen Götter des Guten und Bösen stünden in Gedanke, Wort und Tat im Konflikt: „Als diese beiden Geister sich zuerst begegneten, schufen sie das Leben und das Nichtleben und [bestimmten], wie am Ende die schlechteste Existenz dem Anhänger der Bosheit, die beste Wohnung aber dem bestimmt ist, der Güte besitzt.“146 Einer ursprünglichen freien Entscheidung der beiden Ersten Wesen für das Gute oder das Übel entsprach nach der Lehre ‚Zarathustras‘ die Wahl, die jeder Mensch in seinem Leben für sich selbst treffen müsse. Ahura Mazdā aber könne in seinem Kampf mit dem „Feindlichen Geist“ den „Heiligen Geist“ (Spenta Mainyu) und durch diesen sechs kleinere Gottheiten zu Hilfe holen; am Ende werde er den Kampf siegreich beenden, das Übel zerstören und das Universum für alle Zeiten gut machen.147
Der Mensch musste also in der von Ahura Mazdā erschaffenen Welt seine eigene Rolle im Kampf zwischen Gut und Böse spielen. ‚Zarathustra‘ wird die Erkenntnis zugeschrieben, dass der „Eigenwert des Individuums (…) nicht in der Zugehörigkeit zur Gesellschaft aufgeht.“148 Jeder Mensch müsse neben seiner eigenen physischen und geistigen Existenz auch diejenige seiner Mitmenschen fördern, da diese wie er Geschöpfe Gottes seien. Der ‚Prophet‘ habe von seinen Anhängern verlangt, nach den Maximen guter Gedanken, Worte und Taten zu leben, was der dreifachen Forderung an den iranischen Priester entsprach, den Gottesdienst mit guter Gesinnung, richtigen Worten und korrekten Ritualen zu vollziehen.149 Beim Tod werde jedermann danach gerichtet, was er im Leben für die Güte getan hat. Im Unterschied zur überkommenen Lehre sollten Frauen ebenso wie Männer, Sklaven wie Herren auf das Paradies hoffen können. An der „Brücke des Sammlers“ würde jeder Mensch gerichtet, nicht nach dem Aufwand seiner Opfer in dem zurückliegenden Leben, sondern gemäß seinen ethischen Verdiensten.150 Nach einem individuellen Gericht verdiene sich der Rechtschaffende das Paradies, der Böse werde zur Hölle verurteilt. Wenige Seelen, bei denen gute und böse Taten im Gleichgewicht stünden, gingen in einen „Ort der Gemischten Wesen“ ein, wo sie eine graue Existenz ohne Freude oder Trauer führten.
Nach Mary Boyce erlangten aber auch die Guten noch keine vollkommene paradiesische Freude, sondern mussten noch den Tag der Auferstehung am Ende der Zeiten abwarten. So sei ‚Zarathustra‘ der erste religiöse Denker gewesen, der „ein individuelles Gericht, Himmel und Hölle, die künftige Auferstehung des Leibes, ein letztes Allgemeines Gericht und das ewige Leben der mit ihrem Körper wiedervereinigten Seele“ verkündete, allesamt Lehren, die bei den mediterranen monotheistischen Religionen wiederkehren sollten.151 Anders als Boyce hält aber Peter Clark die Differenzierung zwischen beiden Gerichtstagen nicht für eine Idee ‚Zarathustras‘ selbst, sondern für eine Weiterentwicklung der von ihm begründeten Lehren.152
Gemäß der skizzierten Lehre gab es also in der iranischen Religion einen sehr alten Kult für die Seele (von Mensch und Tier), der über den Tod hinausreichte und die Seele (bestimmter Menschen) beim Eingang ins Paradies unterstützen sollte. Der gedankliche Durchbruch ‚Zarathustras‘ habe darin gelegen, dass er allen Menschen jeden Geschlechts und Standes diese Perspektive eröffnete und ethische Leistungen des Verstorbenen im Diesseits als Verdienst verlangte, die im postmortalen Gericht überprüft würden. Eine Stiftung für die Seele würde demnach den alten Vorstellungen des Seelenkults entsprechen und sich u.a. in ritueller Nahrung und Kleidung des Verstorbenen manifestieren; Stiftungen für das Seelenheil bewirkten ebenfalls Opfer und Gebet für den Verstorbenen, wären aber vor allem darauf angelegt, die Wohltaten des Stifters (oder zugunsten des Verstorbenen) aus dem diesseitigen Leben ‚ewig‘ zu verstetigen. Stellvertretend für ihn hätten die nachlebenden Verwalter der Stiftung, die sogenannten Stiftungsorgane, die guten Taten zu vollziehen, was ihnen durch die materiellen Gaben der Stiftung ermöglicht würde. Einen besonderen Aktionsraum gewann eine Stiftung, wie man aus Beobachtungen zum vormodernen Stiftungswesen überhaupt weiß, wenn sich das Schicksal der Seele nicht schon im individuellen Gericht unmittelbar nach dem Tod, sondern in einem allgemeinen Gericht am Ende aller Zeiten entschied.153 Dann konnten die guten Werke des Stifters noch durch den postmortalen Vollzug seiner Stiftung seine Verdienste vermehren und die Waagschale seiner guten Taten bereichern.
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