Das Rezept sollte ich mir patentieren lassen. Papa benutzte das Zeug sogar als Handwaschpaste nach dem Winterreifenwechsel.
„Komm, ich mach dir erstmal ’nen schönen Monsterjäger mit Spezialsoße.”
Gerade kam Karin vom Bäcker zurück. Dem dicken Paket nach zu urteilen, hatte sie nach der Weihnachtspause erfolgreich von Gänsebrüstchen auf Sahnetorte umgestellt.
„Karin, übernimm doch mal den Grill, ich muss mich erstmal um Hartmut kümmern.” Schmachtender Blick zum Kuchenpaket, aus dem die Kalorien schon heraustropften. Schmollend band sich Karin die Schürze um und bediente die Kunden.
Mandy schien schon lange darauf spekuliert zu haben, dass wir früher oder später den Imbiss verkaufen würden. Als ich ihr allerdings die Summe nannte, die ich dafür von ihr noch haben wollte, wurde sie sichtlich zurückhaltender.
„Mensch Hartmut, ich hab doch auch kein Geld.”
„Bei der Goldgrube hast du die Kohle schneller wieder drin als du gucken kannst”, entgegnete ich. „Weniger kann ich wirklich nicht nehmen. Was meinst du, was ich auf den Veräußerungsgewinn an Steuern zahlen muss!”
„Ist der nicht steuerfrei?”
Ich winkte ab. „Nee, Mandy, so läuft das diesmal nicht. Die Steuerfahndung hat mich ohnehin schon auf dem Kieker. Da geheich kein Risiko ein.”
„Nee, so meine ich das doch gar nicht”, wehrte Mandy ab. „Du kennst doch den Heiko, meinen Schwager. Der ist ja Steuerberater. Er hat mir gesagt, dass Betriebsaufgabe immer steuerfrei ist.”
Heiko Haberstroh – der Name bürgte für Qualität. Unter den Betriebsprüfern wurde eine interne Liste schwarzer Schafe aus der Zunft der steuerberatenden Berufe gehandelt. Haberstroh war innerhalb von einem halben Jahr von Rang 15 auf Rang 4 aufgestiegen. In der DDR war er Agrarökonom gewesen. Nach der Wende hatte Haberstroh sich nach ersten Erfolgen mit einem Steuerprogramm mit einem Büroservice selbstständig gemacht. Seitdem buchte er jeden Belegkarton gnadenlos weg, der ihm auf den Schreibtisch gestellt wurde. Natürlich nur gegen Vorkasse.
„Kann ich mir nicht vorstellen, dass Veräußerungsgewinne so ohne weiteres steuerfrei sind. Da gibt’s immer irgendwelche Haken und Ösen. Das ist genauso wie bei diesen Garantiebestimmungen beim Autokauf. Oder hast du schon erlebt, dass dir ein Autohaus einen Rostfleck auf Garantie wegmacht?”
„Die Autos, die ich mir leisten kann, haben so viel Rost, dass ich froh bin, wenn mein Hintern nicht auf dem Boden schleift”, entgegnete Mandy.
Mühsam kramte ich in meinem Gedächtnis: Waren Veräußerungsgewinne wirklich steuerfrei? Irgendwas war da doch … Ich muss gestehen, dass ich seit langem nicht mehr in die Tiefen des Steuerrechts vorgedrungen war. Dafür hatte ich gar keine Zeit. Sicher, mit Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und Arbeitszimmern kannte ich mich ein bisschen aus. Nur mit dem, was man während der Ausbildung so mit auf den Weg bekommen hatte. Aber ansonsten konnte ich mich mit diesem Firlefanz nicht abgeben. Änderte sich ohnehin alle Nase lang. Als Teamfürst wurde ich dafür bezahlt, die Statistik aufzumotzen und die EDV auszutricksen. Hatte ich ja heute am eigenen Leibe zu spüren bekommen, was passierte, wenn man zu blöd dafür war.
Plötzlich wurde mir ein Dienstausweis unter die Nase gehalten: „Gestatten, Betriebsprüfung!” Die Visage auf dem Passbild kam mir doch irgendwie bekannt vor. Ich blickte hoch: Horst!
Mit Horst hatte ich jahrelang in einem Büro zusammen gesessen, bevor er in den Betriebsprüferhimmel entrückt worden war.
Ich schilderte Horst unser steuerliches Problem.
„Ist Britta 55 Jahre alt?”
„Du kennst doch Britta. Neulich ist sie beim Schnaps kaufen an der Kasse sogar aufgefordert worden, ihren Personalausweis zu zeigen.”
„Oder ist sie dauernd berufsunfähig?”
„Ich habe manchmal schon den Eindruck, sie sei berufsunfähig. Jedenfalls studiert sie bereits im 36. Semester. Zählt das auch?”
„Keine Chance, Hartmut. Wenn du verkaufst, muss alles voll versteuert werden. Da bleibt nicht mehr viel übrig.”
Mandy mit ihrem Hang für pragmatische Lösungen hatte eine Idee: „Hartmut, du überschreibst mir den Imbiss und dafür gibt’s von mir eine Flatrate für die nächsten fünf Jahre.”
„Wie, Flatrate?”
„Na, wenn es dich hierher treibt, füttere ich dich mit Kind und Kegel die nächsten fünf Jahre auf meine Kosten durch. Und Horst kriegt auch ab und zu mal ‚nen Monsterjäger.” Liebevoll streichelte sie über Horsts Vollglatze.
Horst war von der Idee sofort begeistert: „Hartmut, schlag ein! Ich würd’ sagen, in krisengeschüttelten Zeiten ein innovativer Vorschlag! Aber immer schön den geldwerten Vorteil versteuern.”
„Quatsch”, ich klopfte Mandy auf die Schultern, „den Wareneinkauf wird dir dein Heiko schon auf Nimmerwiedersehen unter Schwund wegbuchen.”
Ich brauchte nicht lange, um mich zu entscheiden.
„Red noch mal in Ruhe mit Britta, ob sie mit dem Deal einverstanden ist. Sie ist ja schließlich die Betriebsinhaberin und ich will keinen Ärger”, riet mir Mandy.
Aber für mich war die Sache klar. „Britta liegt mir schon seit langem in den Ohren. Sie ist doch nur froh, wenn das Kapitel ‚Frittenschmiede‘ endgültig abgeschlossen ist”.
Also schlugen wir ein.
„Das sind die Entwürfe, die ich für Herrn van Rahden vorbereitet habe.” Britta hielt mir eine grüne Mappe unter die Nase.
„Wer ist denn Herr van Rahden?”
„Unser Architekt. Hat sonst fast nur Großbaustellen in Berlin. Soll sogar für Frau Merkel mal was gemacht haben.”
Ich überflog die Entwürfe. Britta hatte einen Hang zu XXL und Erkerchen hier und dort.
„Am Mittwoch hat van Rahden einen Termin dazwischengeschoben. Hat aber schon gesagt, er muss Zahlen haben, sonst kann er das Bauvorhaben nicht kalkulieren. Wie viel haben wir denn auf dem Schweizer Depot?”
„100.000 Euro bis 120.000 Euro, muss ich mal Herrn Huber von der Schweizer Hypo anrufen.”
„Den Imbiss bekommt Mandy jedenfalls nicht unter 40.000 Euro.”
Sollte ich mich jetzt in mein grausames Schicksal ergeben und die Hosen runter lassen? Ich versuchte Britta auf die unbekümmerte Art abzulenken: „Habe ich dir schon erzählt, dass Mandy den Imbiss übernehmen will?”
„Klasse, Hartmut. Und was springt an Kohle heraus?”
Britta war schwer abzuhängen.
„Mandy hatte einen Super-Vorschlag: Für die nächsten fünf Jahre Flatrate-Essen für die ganze Familie.”
Britta bohrte ihren Zeigefinger in meinen Bauch: „Du wirst nach Silvester erstmal ’ne Runde abspecken. Und Luisa auch. Ist dir nicht auch schon aufgefallen, dass sie ein richtiges Bäuchlein bekommen hat? Und ein Doppelkinn – genau wie du.”
„Eben ein bisschen Babyspeck”, versuchte ich zu beschwichtigen.
„Babyspeck! Das Kind ist fett geworden. Nach Neujahr gibt’s jedenfalls keine Fanta mehr.”
Wir schwiegen eine Weile.
„Und wie will Mandy die 40.000 Euro bezahlen? Nimmt sie ein Darlehen auf?” Die Frau war hartnäckig.
„Britta, ich habe mich mal mit Horst beraten. Horst sagt, wenn wir das Geld versteuern, bleibt so gut wie nichts übrig.”
„Wo ist das Problem? Dann wird es halt nicht versteuert.”
„Unsinn, die Sache ist viel zu heiß. Und außerdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass bei Mandy gleich nach Betriebseröffnung der Betriebsprüfer vorbeischaut. Um es kurz zu machen: Ich habe mit Mandy die Sache schon perfekt gemacht: Flatrate-Essen für uns und damit ist das Thema Frittenschmiede ein für allemal gegessen.”
Britta war sofort auf 180: „Hartmut, wenn es ums Essen geht, schaltet dein Hirn aber auch sofort auf Notstromaggregat um! Flatrate läuft nicht. Wir brauchen Eigenkapital!”
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