»Nein, ich hatte mich hier mit jemandem getroffen und wollte gerade wieder gehen«, antwortete sie etwas ärgerlich.
»Scheint nicht gerade eine erfreuliche Begegnung gewesen zu sein.«
»Da haben Sie allerdings recht.«
»Ach übrigens, mein Name ist Vanelli. Christopher Vanelli. Aber Sie können mich auch einfach Christopher nennen. Ich bin nicht so für Förmlichkeiten.«
»Freut mich, ich bin Michelle Evans. Meine Freunde nennen mich einfach Mickie.«
»Ist mir auch ein Vergnügen, Mickie«, antwortete Christopher und streckte ihr die Hand entgegen.
Sie drückte sie bereitwillig. Christopher spürte die Wärme, die ihre schlanke Hand und ihre dünnen Finger ausstrahlten.
»Und? Wohnst du denn in diesem Hotel?«, fragte sie darauf.
»Eigentlich nur für diese eine Nacht. Ich habe mich mit zwei Freunden, die gleichzeitig auch meine Arbeitskollegen sind, und unserem Vermittler zu einer Besprechung getroffen.«
»In einem Hotel?«, fragte sie erstaunt. »Ich dachte, so was tut man in einem Büro oder Arbeitsraum.«
»Wir haben eigentlich keine Arbeitsräume oder Büros in diesem Sinn, da wir dauernd unterwegs sind. Die administrativen Angelegenheiten erledigt unser Vermittler.«
Christopher hoffte, dass sie ihn nicht weiter über seine Arbeit ausfragen würde, denn er war sich darüber im Klaren, dass er mit Fremden nicht über ihre Aufträge sprechen durfte. Gerade für den Auftrag von Norris & Roach mussten sie sich zu Verschwiegenheit verpflichten. Trotzdem wollte er auf keinen Fall die angenehme Stimmung trüben.
»Wohnst du in Geneva?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.
»Ja, seit gut drei Jahren. Aber mein Französisch hat sich in der Zeit nicht viel verbessert. Zum Glück verstehen die meisten auch Deutsch, Englisch und Unilingua.«
Unilingua hatte sich in den letzten Generationen zu einer Art Weltsprache entwickelt, die dem britischen Englisch am nächsten stand, jedoch auch einige germanische, romanische und fernöstliche Einflüsse aufwies. Unilingua galt in allen irdischen Kolonien als offizielle Umgangs- und Amtssprache.
»Stimmt, mit Unilingua kommt man tatsächlich überall weiter. Ich war in meinem Leben bisher immer ziemlich sprachfaul. Nebst Unilingua hab ich andere Sprachen so nach und nach gelernt, weil es für meinen Job manchmal unerlässlich war. Aber natürlich nicht in vollem Umfang.«
Er hätte sich auf die Zunge beißen können, dass er seinen Job angesprochen hatte, wo er sich doch solche Mühe gegeben hatte, davon abzulenken.
»Was ist dein Job?«, fragte sie sogleich und lächelte.
»Ich bin Mitglied eines Transportunternehmens«, antwortete er scheinbar gelangweilt. »Nichts Spektakuläres.«
»Was transportiert ihr denn so?« Sie ließ nicht locker.
Er hätte sich die Haare raufen können, ließ sich jedoch nichts anmerken.
»Dieses und jenes. Verschiedene Sachen. Was unsere Kunden halt transportiert haben möchten«, antwortete er so gelassen wie möglich.
»Aha, klingt furchtbar langweilig.«
»Von irgendetwas muss man leben.«
»Da hast du auch wieder recht.«
»Was machst du so?«
»Ich arbeite als Laborassistentin in einem großen Pharmakonzern«, antwortete sie missmutig.
»Klingt aber nicht gerade begeistert?«
»Ich hatte gerade großen Ärger.«
»Das tut mir leid.«
»Mir nicht, ich würde am liebsten kündigen.«
»Warum das denn?«, fragte Christopher und war froh, dass das Gespräch eine andere Wendung nahm.
»Darüber möchte ich jetzt lieber nicht reden«, antwortete sie leicht gereizt.
»Okay.«
»Entschuldige, wenn ich etwas verärgert bin, du kannst ja nichts dafür.«
»Ist schon gut.«
»Wie viele seid ihr denn in eurem Transportunternehmen?«, fragte sie und lächelte erneut.
»Zu dritt«, antwortete er und freute sich, dass sich ihre Stimmung wieder gebessert hatte. Weniger freute es ihn jedoch, dass das Gesprächsthema erneut bei seinem Job gelandet war. »Da ist unser Senior, für uns so etwas wie ein Vater. Er heißt Ernest und ist hundertneunundzwanzig Jahre alt.«
»Wahnsinn!« Sie blickte ihn mit großen Augen an. »Das ist doch fast nicht möglich.«
»Das Erstaunliche daran ist, er sieht nicht älter aus als siebzig und ist gesund und topfit.«
»Das ist tatsächlich sehr erstaunlich. Gibt es eine Erklärung dafür?«
»Die gibt es bestimmt, aber weder Ärzte noch Wissenschaftler haben den Grund dafür gefunden. Um ihn ranken sich einige Gerüchte, aber ich habe keine Ahnung, ob davon etwas wahr ist.«
»Was sind das denn für Gerüchte?«
»Einerseits sagt man, es könnte etwas mit Strahlungen aus irgendeiner Region des Weltraums zu tun haben. Andererseits wurde schon gemunkelt, er sei vor vielen Jahren von Außerirdischen entführt worden.«
Sie lachte kurz auf. »Das ist nun wirklich ein Klischee, das man schon seit beinahe Jahrhunderten kennt. In der Vergangenheit haben schon viele Menschen genau das von sich behauptet, aber niemand konnte bisher den Beweis erbringen.«
»Davon habe ich auch schon oft gehört. Bei Ernest ist es genau umgekehrt. Wer diese Gerüchte in Umlauf gebracht hat, ist nicht bekannt. Aber er dementiert alles. Er sagt, er wisse nichts davon.«
»Dann ist er oft im Weltraum unterwegs?«
»Wir alle sind es. Gehört zu unserem Job.«
Daraufhin musterte sie ihn mit einem eigenartigen Blick und fragte: »Ach, ihr transportiert nicht nur auf der Erde?«
»Eigentlich gar nicht auf der Erde, sondern hauptsächlich unter den planetarischen Niederlassungen innerhalb des Sonnensystems. Ab und zu auch mal zu einer Kolonie außerhalb unseres Systems, aber das kam bisher noch nicht sehr oft vor.«
Ihr Blick blieb an seinem haften und löste sich erst nach einer Weile wieder. Sie schien verwirrt.
»Dann ist da noch Eric, unser Astronom. Er kennt das Sonnensystem wie kein anderer, weiß immer genau, wann welcher Planet sich gerade an welchem Punkt in seiner Umlaufbahn befindet. Dank ihm finden wir immer den richtigen Weg, vor allem, wenn ab und zu unser Navigationssystem ausfällt.«
»Kommt denn so was häufiger vor?«
»Unser Schiff ist nicht gerade das modernste. Da geht halt ab und zu mal etwas kaputt. Aber bisher ging immer alles gut. Vor unserem nächsten Auftrag verpassen wir ihm aber eine Generalüberholung. Die Zeit seit unserem letzten Auftrag war für uns mal wieder eine Gelegenheit, Erdurlaub zu machen und unseren persönlichen Interessen nachzugehen.«
»Was sind deine persönlichen Interessen?«
In den nächsten Minuten erzählte er ihr von seinen Fotografien und seinem Interesse an Gletschern. Sie zeigte sich beeindruckt und hörte aufmerksam zu.
»Ich nehme an, du wirst auch unterwegs im Weltraum Fotos machen.«
»Da hast du recht. Aber meistens bleibt dafür nicht genug Zeit.«
»Wer gehört sonst noch zu eurem Unternehmen?«
»Zum Unternehmen eigentlich niemand mehr, aber da ist noch Mark, unser Vermittler, der jedoch nie mitfliegt. Er besorgt uns die Aufträge und erledigt die ganzen administrativen Dinge, treibt das Geld ein und verwaltet unsere Angelegenheiten. Ernest und Mark kennen sich schon seit Jahrzehnten und sind sehr gut miteinander befreundet.«
Erst jetzt bemerkte Christopher, dass Michelle ganz blass geworden war. Sie saß wie angewurzelt in ihrem Sessel und starrte ihn mit entsetzten Augen an.
»Was ist denn los?«, fragte er erstaunt. »Stimmt was nicht?«
»Wie … wie heißt dieser Mark … mit vollem Namen?«, fragte sie mit zittriger Stimme.
»Mark Henderson, warum?«
»Ach nichts«, antwortete sie hastig und leerte ihr Sektglas. »Ich muss jetzt gehen.«
Sie stand auf, griff nach ihrer Tasche und wollte sich verabschieden.
»Habe ich etwas Falsches gesagt«, fragte Christopher verdutzt.
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