Um 2h nachm. begann die französische Artillerie ihr „geliebtes“ Geländeabstreichen. Es ist ein schöner heller Märztag. Die Soldaten reinigen ihre Sachen von der vorigen Nachtarbeit. So nahe wie heute hatten sich die Geschosse noch nicht verirrt. Sie suchten unsere hinter der nächsten Höhe liegenden 21er Mörser. Tschumm-ratsch, und auf genannter Höhe der Komp. Latrine sehr nahe, schlug die Granate ein. Der Krach war kaum verhallt, als ein „Jemand“, es war die „Wellfleischbacke“ der Komp. Zahlmeister, ganz rasend aus dem stillen Örtchen herausstürmte und den Unterständen zutrabte. In der Eile schien er vergessen zu haben seinem Allerwertesten die nötige Wärme und zur Reinlichkeit das notwendige Papier zuteil werden zu lassen, denn man sah zur Übergabe bereit eine weiße Fahne hintendrein flattern (sein Hemd) und mit der linken Hand krampfhaft seine Hose festhalten. Ein brausendes Gelächter erscholl von den Mannschaftsunterständen dem Herrn Zahlmeister entgegen. Zur Weihnachtsfeier 15 3hatte ein Humorist dem Herrn Zahlrad ein Gedicht geschrieben wo der Refrain in den Worten auslief „Zum Reisen braucht man Schuhe aber zum Sch..... braucht man Ruhe.“
Ottos Unterstand bei Ripont 15 genannt „Läusefrei“
Die Komp. arbeite vom 1. März bis 14. April ununterbrochen in jetziger Stellung. Der Höhepunkt des Angriffs der Franzosen war Ende März erreicht, danach flaute die Kampftätigkeit ab und die Komp. bekam dadurch wesentliche Erleichterung im Dienst. Otto feierte verschiedene Wiedersehen in der Stellung. Im März kam das Res. Regt. 133 nach Ripont. Bei der 6. Komp. traf er Gustav Ahner und bei der 7. Komp. Arthur Patschke aus Trautzschen. Letzteren traf er bei einem Verwundetentransport am Graben. Ahner Gustav hatte von Kahnts Kuchen bekommen und lud Otto an einem Nachmittag zum Kaffee ein. Otto brachte die nötigen Zigarren mit, und so machten sie sich einen gemütlichen Nachmittag.
Otto als Kavallerist! (In Vendy ließ er sich in der Uniform eines Trainsoldaten abnehmen.)
Endlich kam die Zeit der Ablösung. So sehr sich Otto ins Frontleben gesehnt hatte, so sehr war ihm doch das Wort „Ablösung“ willkommen. Mit dem Gedanken und der Befriedigung seine Pflicht voll und ganz erfüllt zu haben, war ihm nach schwerer/harter Arbeit einige Tage der Ruhe sehr angenehm.
Vendy sollte der Ort der Ruhe sein. Derselbe lag sehr schön Champagnegelände. In der Niederung floß die Aisne und nicht weit entfernt der Aisne-Marne-Kanal.
Wie es allen San. Komp. im Westen zukam in den Orten Ordnung und Sauberkeit zu schaffen, so mußte auch in dieser Hinsicht die San. Komp. Nr. 22 ihre Pflicht erfüllen. Alle Gehöfte wurden von Schmutz gereinigt und zu Quartieren vorgerichtet. Bei Dienstfreiheit unternahm Otto mit verschiedenen Kameraden Ausflüge nach der nahen Umgebung.
Am 22. April kam von Ottos Vater ein Brief in dem ihm berichtet wurde, daß an den Komp. Führer ein Brief unterwegs sei der um Urlaub zur Feldbestellung antrage. „Ach wenn es nur genehmigt würde! hoffte Otto immer. Am 26. April, es war gerade gegen Mittag, wurde Otto ins Komp. Geschäftszimmer gerufen und ihm bekannt gegeben, daß er auf Urlaub müsse. Dieses „Muß“ ließ sich Otto gefallen. Er mußte sich auf die Zunge beißen um nicht vor Freude laut aufschreien zu müssen.
Am 27.4. abends 10h dampfte er vom Bahnhof Fryzi ab. Ab nach der Heimat! 14 Tage Urlaub schienen ihm solange als könnten sie gar nicht wieder vergehen. Über Charleville-Sedan-Metz-Frankfurt-Bebra-Leipzig dann Pegau. Endlich wieder nach 6 Monaten daheim. Es war eine Freude wieder bei Muttern zu sein. Viel gab es zu erzählen. Doch hatte Otto auch andre Pflichten. Das Verhältnis mit seiner Marie war zu innig gewesen und hatte Folgen gezeitigt. Er war es seiner und Maries Ehre schuldig, dem Gewäsch der Weiber die Spitze zu brechen und vorläufig die Verlobung bekannt zu geben. Beide hatten sich trotz des Zwischenfalls noch genau wie vorher lieb, und wünschten sich einen Jungen als Sprößling.- So war Ottos Programm eigentlich nicht gewesen, doch er mußte sich auch hierein fügen! – - –
Max, Ottos Bruder war im September 14 vor Vitry-le-France verwundet worden – Kopf- und Fingerschuß. Er war, da ihm jetzt ein halber Finger fehlte nicht wieder an die Front gekommen. Beim Landst. in Leipzig mußte er Posten als Bahnsicherung stehen. Paul war in Döbeln auch beim Militär.
Die Tage von Ottos Urlaub verrannen schnell. Es gab ja auch viel zu tun. Besuche abstatten, seine Braut unterhalten usw. Es waren der Tage noch wenige, als er vom Komp. Führer Bescheid erhielt, sich in Ripont in den alten Unterständen wieder einzufinden. Demnach war die Komp. nach kurzer Ruhe wieder nach der Front gegangen. Otto war das nicht zum Lachen, doch es half nichts. Am 13.5. zog er mit gefülltem Rucksack nach dem Bahnhof um sich wieder nach der Front zu begeben. Arthur Patschke teilte mit ihm sein Los, er zog den gleichen Weg. Die Fahrt war wie nach Hause die gleiche. Von Rethel benutzten Beide den westlichen Teil der Ringbahn über Bazancourt, Souplet nach Ruvra 4. Von dort hatte Otto ca noch 2 Stunden nach den Unterständen von Ripont zu laufen. Gegen 12h nachts am 15. Mai traf er dort ein.
Die Front war bei weitem ruhiger wie in der Winterschlacht im März. – Am andern Tage mußte Otto gleich mit in Stellung gehen. Was für ein gewaltiger Gegensatz! Vor drei Tagen noch lieber Vater lieber Angehöriger und heute wieder das Minengekrache und Gewehrgeknatter. Oh, Krieg – was bist du doch für ein grauenvolles Gespenst, so (z) viele tausend zarte Fäden innigen Glücks zerstörst du! Die Gegensätze sollten diese Nacht noch viel stärker in Ottos Gemüt eindringen. Er war zur Hauptverbandswache bestimmt. Ihm lag das Bewachen der Schwerverwundeten ob. Im Schulhaus linkes Zimmer lagen 12 der Ärmsten, die genauester Bewachung bedurften. Der größte Teil davon lag im höchsten Wundfieber und phantasierte. In der Regel hatten diese armen Menschen nicht mehr lange zu leben, die Hoffnung der Aerzte auf ein Durchkommen war recht schwach. – Otto saß bei seiner Lampe und betrachtete all die Armen. Zwei Mann hatten schwere Kopfschüsse. Das hohe Fieber warf sie von einer zur andern Seite. Einer davon riß sich unter lautem Gestöhne den Verband vom Kopfe. Otto sprang hinzu und legte ihn wieder um. Kaum hatte er seinen Platz wieder eingenommen, war der Verband wieder herunter. Otto legte ihn wieder um. Da er aber nicht bei dem einen Verwundeten sitzen bleiben konnte sondern auch auf die andern aufpassen mußte, war er gezwungen die Hand an die Trage des Fiebernden festzubinden.
Es war für Otto ein trauriger Dienst diese armen Menschen bei ihrem Todeskampf bewachen zu müssen. Wie Nadelstiche drang es in sein Gemüt bei dem Rufen dieser Ärmsten nach Mutter, Vater oder Gatten, – dann noch ein greulicher Ton – er hatte ausgelitten. So sah er in einer Nacht 8 Mann sterben. An Schlaf war seitens Otto nicht zu denken. Hatte er einige Minuten Zeit, so saß er sinnend in seiner Ecke und grübelte über Dinge in der Welt nach, die schon manch Andern den Kopf zerbrochen hatten. Das Wort „Kismet“ (Schicksal) gewann bei ihm mehr und mehr Bedeutung.
Die Zeit verrann langsam, wie es in der Stellung immer ist. Endlich am 8. Juni erklang wieder das liebliche Wort „Ablösung“. Diesmal sollte die Komp. ihrer eigentlichen Division eingereiht werden. Freudig überrascht wieder aus dem Hexenkessel herauszukommen, stimmte alles die schönsten Lieder an und so gings mit der Bahn über Souplet nach Bazancourt. Dort Ausladen und Fußmarsch nach, Boult, das nur wenige Minuten von dort entfernt lag. Da die Komp. glänzend gearbeitet hatte, wieß ihr der Ortskommandant besonders gute Quartiere an. Otto hatte Glück, mit nur 4 Mann in das Haus eines Franzosen namens „Raphael“ ziehen zu können, wo sie zwei schöne Räume bewohnten. Der alte Raphael war verheiratet, seine Frau aber, weil sie lange Finger bei den Deutschen gemacht hatte, war nach dem Internierungslager Holzminden gebracht worden.
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