Kurz nach Einrücken der Komp. in den Ort wurde beim Führer von den Franzosen gemeldet, daß mehrere Hühner und Tauben gestohlen seien. Im eiligsten Tempo wurde Haussuchung vorgenommen, und bei verschiedenen die umhier gewesen waren, fand man noch die Hühnerbeinchen auch oft die Federn. Das Urteil lautete für die Übeltäter „14 Tage Sport“. In schlammiger schlechter Witterung wurde den lieben Kameraden das eventuell angesetzte Fett von den gespeisten Hühnern wieder abgesetzt. Große Verdienste dabei hat sich der „vielgeliebte“ Unteroffizier Einert erworben. (Zivilstellung Briefträger in Altenburg) Otto hatte ja zwar auch vom zarten Fleisch der französischen Hühner geschmeckt, doch waren alle Hausbewohner bei Ruchbarwerden der Haussuchung, eifrig damit beschäftigt gewesen, alle Spuren des Hühnermords zu beseitigen.
Am 27. Februar 15 kam endlich die Botschaft, daß die Komp. an der Front eingesetzt werden sollte. Alle hatten das Etappenleben satt und waren froh sich endlich zu betätigen. Die große Durchbruchsschlacht „die Winterschlacht in der Champagne“ war gerade am heftigsten entbrannt. Dort bei Rigont sollte auch die San. Komp. ihre Feuertaufe erhalten.
Die Verladung erfolgte auf dem Bahnhof Rethel.
Der Zug setzte sich in Richtung Vouziers in Bewegung. Alle waren voll leidenschaftlichem Tatendrang. Nur heraus aus der Etappe. Mittun am großen Werk zu Deutschlands Größe. Im Klange von Vaterlandsliedern und bei strömenden Regen fuhr der Zug am 1. März 15 im Bahnhof Voziers ein. Der Kommandeur erhielt neues Reiseziel nach dem nahen Ardeul. Hier ausladen des Trains und Abmarsch nach der Reserve-Stellung bei Ripont. Otto hatte noch einen ziemlich prallen Rucksack, wo liebe Gegenstände steckten die er nicht gern missen wollte. So stapfte er mit seiner Last in der Nähe seines Gruppenführers, des Untffz. Dissau. Derselbe war auch nicht an schwere Lasten gewöhnt, und so klagten sie sich gegenseitig ihr Leid über den schlechten Weg und das Drücken des Tournisters. – Auf schlammigen Wegen – kaum zum Durchkommen – ging es der Front zu, deren bedenkliche Nähe man durch einschlagende Geschosse merkte. Immer weiter im Schlamm! Kurztreten! wird von hinten gerufen. Wahrscheinlich einer im Morast stecken geblieben! Es ist ekelhaft schlecht!
Zu große Stiefeln darf man nicht anhaben, denn sonst sind sie futsch. Die Komp. kam nur langsam vorwärts, der Schlamm wird noch tiefer. Durch unzählige Geschirre die nach vorn die Verpflegung bringen sind die Wege grundlos gefahren. Die Munitionsprotzen fahren 6 spännig doch auch diese versinkt noch bis zur Achse in den Schlamm. Langsam kommt die Komp. über den letzten Höhenkamm vor Rigont. Sie muß einen Weg überqueren der ebenso grundlos ist wie der bereits marschierte. Ein jeder sucht so schnell als möglich nach der andern Seite zu kommen. Die Leute stiegen in dem Schlamm herum wie die Störche im Salat. Das Bild zu malen hätte sich verlohnt. Zweie, der Fausel Karl und Frenzel Kurt machten eine Schaustellung die zum totlachen war. Fausel hatte seinen Stiefel stecken lassen und bat Frenzel ihm beim Suchen und Anziehen zu helfen. Das war nach Mühe gelungen. Doch durch das Arbeiten am Platze waren sie allmählich so tief eingesunken, daß keiner von Beiden fort konnte. Nun fingen sie an unter dem Gelächter der Anderen, sich gegenseitig die Beine aus dem Schlamm zu ziehen und vorwärts zu setzen. Doch hatten sie nicht auf das Gleichgewicht acht gegeben, und glatsch – lagen beide so lang wie sie waren im Schlamm. Wer den Schaden hat braucht für den Spott nicht zu sorgen, so auch hier. Alles lachte, doch die zwei Schlammbeißer hätten am Liebsten geweint vor Wut. Endlich nach langer Krebserei kamen auch sie auf die andre Seite.
Es dunkelte bereits als die Komp. an den Unterständen der San. Komp. 12, die sie ablösen mußte, ankam. Am Pferdestall bekamen sie zum Teil Unterkunft, mußten sich aber schon um 9h bereit machen um nach der Stellung zu gehen. Beim Antreten bekam die Komp. einen stellungskundigen Führer, der sie in ihren schweren aber edlen Dienst einführte. Im dämmernden Mondlicht marschierte die Komp. grüppchenweise nach vorn. Der Divisionsabschnitt an den sie arbeiten mußte, teilte sich ein in 4 Stellen, Ditfurth-Weg, Jungburg, Stellung 61 & Stellung 63. – Am 1. Abend arbeitete Otto auf Stellung 63. Von hier war ein sehr beschwerliches Zurücktragen der Verwundeten. Über hügliges Gelände im tiefsten Schlamm mußte er hier seine Pflicht erfüllen. Leicht war es ihm nicht geworden oft hörte ich ihn über wunde Schultern vom Tragen klagen. Doch es galt hier seinen Mann zu stehen und es war das eiserne „Muß“ daß ihn dazu bewog auf seine wunden Schultern Polster zu legen um seiner Pflicht auch weiterhin gerecht zu werden. Abwechseln kam Otto an alle Teile des Frontabschnitts. Die schlechteste Stellung war die Jungburg-Stellung. Rechts vom Ditfurth-Weg beginnt der schmale Graben nach der Jungburg. Ein schlechter seichter Graben der wenig Deckung bietet und noch obendrein mit Wasser und Schlamm ziemlich voll ist. Es ist am 2. Abend. Tags zu vor hatte in diesem Graben ein Handgranatenangriff stattgefunden. Die Leichen türmten sich übereinander. Otto wurde hier zu einer Arbeit eingeteilt, die sein gefühlvolles Herz zu Stein erhärtete. Es sollte Ablösung nach vorn. Über freies Feld konnte diese nicht. Deshalb hieß es „Graben freimachen! Krankenträger nach vorn!“ Der Graben wurde freigemacht, doch wie ist Nebensache. Das war eine Arbeit für Otto, die ihm das Blut in den Adern stocken ließ. Doch das Wort Krieg drückt alle Fragen, ob sich dies mit der Religion vereinbaren läßt, nieder. Nach anstrengender Arbeit waren die Krtr. nach einigen Stunden fertig. Es ist stockfinster. Langsam patschen sie im Schlamm den Graben rückwärts, bei jeder aufsteigenden Feuerkugel sich still niederdrückend. Otto stapft in ziemlich deprimierter Stimmung den andern nach. Zur Sicherheit des Ganges fühlt er sich am Rande des Ganges entlang. Da! – Die Franzosen schießen eine Leuchtkugel mit Fallschirm hoch, die langsam sich drehend nach unten schwebt. Otto duckt sich mechanisch, und stützt sich an den Grabenrand. Etwas Kaltes spürt er plötzlich in seiner Hand. Die Leuchtkugel kommt immer niedriger und ganz hell wird es um ihn. Jetzt erkennt er seine Umgebung. Eine Menschenhand, getrennt vom Arm, hält er in seiner Hand. Nicht weit davon liegt noch ein Kopf, halb zerfetzt von den Splittern der Handgranaten. Welch trauriges Bild!
Die Gedanken schwirren Otto im Kopf herum und er weiß nicht, wacht er oder träumt er. Zuletzt übermannt ihn eine grenzenlose Traurigkeit! Ungeachtet der Gefahr sinkt er in Gedanken, er sinnt und sinnt und fragt sich: „Warum das alles? Warum muß der Mensch, dem vor kurzen noch die Hand warm und gelenkig am Arm und der Kopf auf dem Nacken saß, auf diese Weise zu Grunde gehen? Wieviel Tränen werden ihm von lieben Angehörigen nachgeweint werden?“ Seine Gedanke springen über auf die Heimat, zurück auf die ersten Jahre seiner Jugend und enden in dem heißen Wunsche: „Ach Gott erspare meinen lieben Angehörigen eine solche Trauerbotschaft. Alle Strapazen will ich bis zur Neige durchkosten, doch laß meine Brüder und mich nur mit heilen Knochen nach Hause kommen und nicht so elendiglich zerstückelt auf fremder Erde verfaulen.“
Otto hatte in seinem Nachdenken das Weitergehen seiner Kameraden übersehen. So beeilte er sich, daß er sie wieder einholte. An seinem Unterstande angekommen lag er noch lange wach und konnte sich von dem schwermütigen Gedanken nicht trennen. Spät nachts fand er erst den Schlaf.
Die Unterkünfte der Komp. waren anfangs sehr schlecht. In einem Bau von Baumstämmen verdeckt mit Tannenreisig wo es in Strömen durch regnete, lagen die Mannschaften auf Tannenzweigen. Eine nicht beneidenswerte Lage! Wenn Otto des Nachts an seine Schlafstelle kam, war ein völliges Auskleiden nicht möglich. In der ganzen Zeit des Einsetzens in der Winterschlacht hat er sich nicht einmal entkleidet schlafen legen können. Die Lage der Unterstände war an einer Anhöhe frontabwärts. In dem Talkessel vor derselben standen am Tage die Krankenwagen und das Traingerät. Auf der gegenüberliegenden Anhöhe sah man einsam und verlassen das Kompanie-Latrinchen. Dieses Stille Örtchen brachte manche reizende Unterhaltung.
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