Am 5. November sollte Abmarsch nach dem Bahnhof sein. Musik des I. Batl. 106 war vertreten und hatte schon die Gelder durch Sammlung eingesteckt. Um 1h kam Befehl „Kompanie rückt erst am 6. XI. aus.“ Der Tag ging nun so hin im Skatspielen, Zigarrenrauchen und Biertrinken.
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Am 6. XI. vorm. 11h wurde alarmiert und um 2h rückte die Komapgnie – natürlich ohne Musick – nach dem Dresdner Freiladebahnhof. Die Begeisterung des Volkes bei Ausrücken der Truppen nach dem Felde war groß. Am Antreteplatze in M. hatte sich eine große Menschenmenge eingefunden und bekrenzten die Kompanie reichlich mit Blumen. Das Train der Komp. hatte am ersten Tage einen bedauerlichen Vorfall. Als die Krankenwagen nach Abmarsch der Krankenträger, vom Platze abfuhren, scheute ein Paar Pferde und gingen mit dem Wagen durch. An einer Ecke fuhren sie an, der Wagen stürzte um die Deichsel brach ab und verwundete das eine Pferd am Hinterschenkel, daß es sofort abgestochen werden mußte. Der Kutscher war mit dem Schreck und einer Hautschürfung davon gekommen. – Nach 2stündigen Marsche kam die San. Komp. 22 auf dem Bahnhof an, wo sofort das Verladen des Trains begann.
In einem 3. Klasse-Abteil sah ich Otto wieder. Er hatte es sich mit noch 3 Kameraden ganz bequem gemacht. Außer einem ziemlich prallen Rucksack wo alles Mögliche für die Fahrt drinnen war, hatte er auch noch für ein gutes Bier gesorgt.
Endlich um 4 15nachmittag setzte sich der Zug in Bewegung. Die Fahrt ging über Altenburg, Gößnitz, Crimmitschau Hof. Hier die erste Verpflegung! Weiter gings am Main entlang über Bayreuth, Schweinsfurth, Würzburg, Aschaffenburg, Offenbach nach Mainz. Für Otto war diese Fahrt eine herrliche Sache. Stolz war er und sagte zu sich: „Ist es doch gut, daß ich jetzt schon nach dem Felde komme und die schöne Fahrt mitmachen kann, wenn nun doch noch vor Weihnachten Frieden werden sollte, habe ich wenigstens etwas gesehen.“ Am interessantesten war die Fahrt durch den Spessart. Die schönen bewaldeten Höhen waren für ihn etwas Neues, und vollen Herzens rief er aus: „Ich, wenn ich hier wohnen könnte, wie beneide ich die Bewohner.“ Am 8. XI. früh gegen 8h fuhr der Transport über den lieben alten Vater Rhein. Ottos Herz quoll vor lauter Seligkeit über, und froh stimmte er mit in den Gesang den der ganze Transport angestimmt hatte: „Sie sollen ihn nicht haben, den alten deutschen Rhein wenn sie wie gierige Raben sich heiser danach schrein.“ Die Stimmung im Zuge konnte nicht besser sein. -
Der Zug eilte mit guter Fahrt durch sehr fruchtbares Land über Kreuznach, Kaiserslautern nach Saarbrücken. Hier längere Rast. Das Rote Kreuz gab sich die erdenklichste Mühe, alle Feldgraue so gut wie möglich zu bewirten. Es gelang ihm auch in der ergiebigsten Weise, denn man hörte nach mehreren Monaten von verschiedenen Verlobungen, die mit Angehörigen von Ottos Kompanie und den Fräuleins vom Roten Kreuz geschlossen wurden. Am 8. XI. abends weiter in Richtung Trier. Nachts durch Luxemburg und am 9. XI. früh Ankunft in Sedan. – Otto hatte vielmal Sedanfeier mitgemacht. Also hier war 1870 der Hauptschlag gefallen. Dieses Fleckchen Erde und so historisch. –
Da Vorsicht die Mutter der Weisheit oder auch der Porzellankiste ist, ließ der Komp. Führer „Karabiner laden und sichern“. Der Transportzug eilte auf franz. Gebiet weiter, hier und da Spuren aus den alten Augustkämpfen zurücklassend. Gegen Mittag erreichte er den großen Etappenort Rethel. Der Transportführer empfängt hier neuen Reisebefehl. Nach einigen Stunden läuft der Zug zu seinem Endziel und hält am 9. XI. in Assigny. Das ist vorläufiger Aufenthalt der Kompanie.
Otto liegt mit mehreren Kameraden in der II. Etage eines Hauses. Die Möbel sind noch vollzählig, auch Betten stehen hier zur Verfügung. Er hatte sich auch eins von den letzteren sicher gestellt und auch ein Plümow dazu besorgt und ließ sich die erste Nacht, da von der Fahrt ziemlich angestrengt, bald in Morpheus Arme sinken. Alle hatten ihre Gewehre geladen, um evt. Überfällen durch Franktireure entgegentreten zu können. Doch ich wette eins gegen zehn, die Schlafenden hätte man forttragen können, keiner wäre wach geworden. Nach 2 Tagen Ruhe begannen allerlei Dienste. Übungsmärsche, Mattenflechten usw. Am verhaßtesten waren die Übungsmärsche, die zwar gut gedacht, zur Marschfähigkeit beitragen sollten, doch was sind da für wunde Füße und zerrissene Stiefel zustande gekommen.
Nach einem Marsche lag Otto ziemlich erschöpft auf seinem Plümow, als sein Freund Ewe kam und ihn fragte, ob er Wein trinken wollte. Die Antwort konnte keine andere sein als ein vernehmliches „Ja!“ Beide bewaffneten sich mit einem Eimer und Otto wurde zum ersten Mal zum „Requirieren“ auf Deutsch „stehlen“ verleidet. An einem Keller, den sie mit vieler Mühe erreichten, lagen 6 mächtige Fässer voll abgelagerter Wein. Oben im Spundloch ging ein Gummischlauch heraus, an dem Otto lange Zeit sog, bis es ihm gelungen war, die Luft heraus zu ziehen und dann der viele Rebensaft so lange nachlief, bis der Eimer voll war. Es konnten 20 – 30 Liter sein. Mit ihrer gemachten Beute zogen Beide auf dem beschwerlichen Wege, der durch finstere enge Gänge führte zurück nach ihrer Wohnung. Noch spät abends bereiteten sie sich einen starken Glühwein.
So ging das Leben bei der Kompanie hin, jeder Tag brachte anfangs etwas Neues. Auch die Feldpost ließ nicht lange auf sich warten und es regnete Pakete, Briefe usw. Die lieben Eltern sendeten das Erdenklichste und auch Marie hatte es sich viele Feldpostcartons mit Inhalt kosten lassen. – Vom Krieg merkte Otto bis jetzt noch nicht das Geringste. „Wenn es so weiter geht ist es doch kein Krieg. An die Front wollen wir doch mal bevor Frieden wird.“ So ähnlich waren Ottos Gedanken.
Es war Ende November. Otto saß mit seinen Kameraden bei einem gemütlichen Scat, als plötzlich Alarm geblasen wurde. Alle sprangen ans Fenster und sahen einen mächtigen Feuerschein am Himmel. Am Ostteil der Stadt war Großfeuer ausgebrochen. Alle im Orte befindlichen Soldaten mußten das Feuer löschen helfen. Bis morgens um 4h war Otto fest damit beschäftigt die vom Feuer noch nicht angegriffenen Häuser mit auszuräumen und die letzte Habe der Franzosen zu bergen. Eine große Anzahl Gebäude brannte trotz anstrengender Arbeit, doch infolge schlechten Löschgeräts total nieder.
Am 6. XII. wurde die Kompanie nach dem 12 Km. entfernten Orte Amange verlegt. Es ist ein kleiner Ort, nur wenige Einwohner sind zurückgeblieben.
In diesem kleinen Orte wurde von der Komp. das liebe Weihnachtsfest in guter Stimmung gefeiert. Liebesgaben waren sehr zahlreich eingetroffen.
Da 1914 Ortskommandenturen noch nicht eingesetzt waren, und jeder in dem Hause wo er wohnte eben „Herr im Hause war, gab es Zustände, die nicht gut zu nennen waren. Es wurde in den Wohnungen der Franzosen ziemlich aufgeräumt mit Möbeln usw. Trotzdem Kohle genug vorhanden waren, wurden Bettstellen und Schränke dem Feuertod preisgegeben. Auch nächtliche Besuche in den angefüllten Hühnerstellen und Taubenschlägen wurden von deutschen Kameraden abgestattet. Manch interessante Geschichte wäre davon zu berichten, doch sollen diese Tatsachen im Anekdotenbuch für Feldgraue in einem andern Lichte erscheinen.
Otto wurden die dauernden Übungsmärsche zuwider, und er sehnte sich wie so viele Kameraden nach der Front. Mitzuwirken am großen Ganzen, mußte seiner Ansicht nach doch geistreicher sein, als ohne jede Tat in der Etappe zu liegen. – Nochmals erfolgte am 18. 1. 15 eine erneute Verlegung der Komp. nach Donx bei Rethel. Diese Versetzung sollte Strafversetzung sein. Der Fall lag wie folgt. Es war in der Neujahrsnacht. Ein Mann der Kompanie hatte sich sinnlos betrunken und schlug auf der Straße Lärm. Zufällig kommt der Kompaniechef aus dem Casino in nicht ganz nüchternem Zustande, und ohrfeigt den Mann derart, daß derselbe am andern Tage ganz geschwollene Gesichtsflächen hatte. Der Mann meldet diese Mißhandlung der Division. Eine lange Gerichtsverhandlung folgte, in der der Kompanieführer zu 5 Tagen Stubenarrest wegen Körperverletzung von Untergebenen verurteilt wurde und der Musketier nach der Heimat versetzt wurde. Auf diese Sache hin bekam die Kompanie beim Divisionsführer einen schlechten Stand.
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