Lea überlegte kurz und entgegnete dann: »Wir sind gegen drei Uhr hinten raus durch den Garten und dann direkt auf den Mauerweg. Ich bin gleich losgelaufen, ich wollte heute schnell joggen, dafür nicht so weit, um möglichst bald müde zu werden, dafür eignet sich die asphaltierte Strecke gut. Talisker fing irgendwann zu knurren an, er klang immer angespannter, je weiter wir liefen. So zwanzig Meter vor den Bänken kam der Mond raus, und ich sah die beiden … also, sah sie da sitzen.«
»Kam Ihnen das nicht merkwürdig vor?«
»Ja sicher, aber eigentlich wunderte ich mich nicht, dass sie da saßen, sondern wie sie da saßen. Es hat ein paar Momente gedauert, bis mir auffiel, dass es an den Köpfen der beiden lag. Das war irgendwie total absurd, ich wusste, dass etwas nicht stimmte, aber nicht genau, was es war.«
»Was haben Sie dann gemacht?«
Lea überlegte erneut. »Ich habe Talisker befohlen sich zu setzen und zu warten. Dann bin ich zu der Frau gegangen. Vielleicht ihrer hellen Haare wegen, ich weiß nicht. Danach rüber zu dem Mann. Es tut mir leid, ich habe gar nicht daran gedacht, dass ich irgendwelche Spuren versauen könnte.«
»Dafür haben wir ja Ihre Turnschuhe mitgenommen, und die Spusis sind ganz gut darin, Fußabdrücke zuzuordnen.«
»Gab es denn noch andere?«
Sie hat einen wachen Verstand, fand Glander und schüttelte den Kopf. »Das wissen wir noch nicht genau. Ich meinte damit, dass die Kollegen Ihre Schritte nachverfolgen können. Die Tiefe der Abdrücke im Blut, logische Schrittfolgen und solche Punkte. Haben Sie denn jemand gesehen oder etwas gehört, als Sie sich …«, er zögerte kurz, »… die Leichen ansahen?«
»Nein. Und wenn da jemand gewesen wäre, hätte das Talisker ganz sicher bemerkt, und Sie hätten Ihren Täter bereits.«
Glander schmunzelte. Er mochte diese Frau und stellte überrascht fest, dass er sie gerne unter anderen, angenehmeren Voraussetzungen kennengelernt hätte.
»Das hätte mir allerdings ausgesprochen gut gefallen, Frau Storm. Haben Sie denn irgendeine Idee, ob Ihr Nachbar Feinde hatte?«
»Feinde? Ich weiß nicht. Keiner mochte ihn, und ich denke, fast alle fanden ihn schrecklich unangenehm, aber man schlägt ja seinem Nachbarn nicht den Kopf ein, nur weil der ein Misanthrop ist. Was er sonst mit seinem Privatleben anfing, keine Ahnung, vielleicht können Ihnen seine direkten Nachbarn weiterhelfen, ich nehme an, sie müssten mehr von ihm mitbekommen haben.«
Es klingelte an der Haustür. Als Lea öffnete, stand sie einem sehr großen, sehr beleibten Mann gegenüber, der ihr seine Dienstmarke entgegenhielt.
»Kriminalhauptkommissar Prinz, ich bin von der Berliner Kripo. Kann ich hereinkommen?«
»Nur zu, Ihr Kollege Glander ist auch hier. Wir sind alle im Wohnzimmer. Geradeaus und nach rechts.«
Die Miene des Mannes verdunkelte sich. Er ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer, wo Glander sich erhob.
»Prinz. Was machen Sie denn hier?«
Prinz nickte ihm zu. »Glander. Der Tote ist in Berlin gemeldet, und der Mauerweg gehört zum Berliner Zuständigkeitsgebiet. Solange der Tatort nicht eindeutig in Brandenburg liegt, denke ich, ist das unser Fall. Außerdem sind Sie doch gar nicht im Dienst heute.«
»Blödsinn! Die Leichen wurden in Brandenburg gefunden, also sind wir zuständig.« Mit einem Blick auf Lea fügte er hinzu: »Ich denke aber, das klären wir besser draußen oder bei uns auf dem Revier. Ich war ohnehin fürs Erste hier fertig, und ich bin sicher, Frau Storm hat auch genug für heute Nacht. Frau Storm, ich lasse Ihnen die Kollegin Griese hier, wenn es Ihnen recht ist.«
Lea schüttelte den Kopf. »Nein danke, Herr Glander, das ist wirklich nicht nötig. Ich habe ja Talisker.«
Prinz starrte ungläubig auf den Hund, der in der Ecke des Wohnzimmers den Kopf hob, als er seinen Namen hörte. Dann blickte er auf Glander runter und nickte. »Ja, dem möchte ich auch nicht im Dunkeln begegnen. Der Griese aber auch nicht, ehrlich gesagt.« Er lachte anzüglich, drehte sich um und warf Glander im Rausgehen zu: »Na gut, Glander, dann klären wir das morgen auf dem Dienstweg. Ich hätte bis dahin aber gerne Ihren Bericht. Vor neun bitte, per Mail. Ich finde alleine hinaus, Frau Storm. Guten Morgen!«
Lea sah Glander fragend an.
»Kriminalhauptkommissar Prinz ist vom LKA 1, das ist die für Tötungsdelikte zuständige Dienststelle in Berlin. Ich war dort viele Jahre tätig, arbeite jetzt aber in Brandenburg. Eigentlich habe ich gar keinen Dienst heute, aber der Kollege von der Einsatzleitung wusste, dass ich ganz in der Nähe bei meiner Schwester in Teltow bin. Sie hat gestern ihren Geburtstag gefeiert.« Er wandte sich ebenfalls zum Gehen und gab Lea seine Karte. »Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, egal, was es ist, rufen Sie mich bitte an, Frau Storm, ja? Ein Streifenwagen wird Sie im Laufe des Vormittags abholen, damit wir Ihre Aussage aufnehmen können. Bitte stellen Sie sicher, dass die Kollegen Sie antreffen!«
Er ging zur Tür vor, an der Polizeimeisterin Griese bereits wartete. Lea schüttelte beiden die Hand und trat dann ein paar Schritte vor die Tür, um zuzusehen, wie sie die kurze Zeile hinunter zur Straße gingen, in der ein Streifenwagen mit Blaulicht parkte. Glander drehte sich kurz um, nickte ihr noch einmal zu und stieg vorne neben dem Fahrer ein.
»Ich wette, er ist ein miserabler Beifahrer, Tally.« Lea kraulte den großen Hund, der neben ihr stand, hinter einem Ohr.
Als sie wieder ins Haus zurückkehren wollten, ging die Tür ihrer Nachbarn auf, und die beiden Lehmann-Schwestern traten in grellgeblümten wattierten Morgenmänteln und heller Aufregung in die Zeile hinaus.
»Lea, was ist denn passiert? Was macht die Polizei hier?«
Unmittelbar verspürte Lea eine bleierne Müdigkeit. Sie wollte nur noch in ihr Bett gehen und schlafen. »Es tut mir leid, aber ich muss mich jetzt wirklich wieder hinlegen.«
Danach schlief sie fünf Stunden am Stück.
Während Lea ihren dringend benötigten Schlaf fand, saß Glander seiner Schwester in deren Küche in Teltow gegenüber und fluchte über den arroganten LKA-Kollegen. »Das glaubst du nicht, da schwabbelt die Prinzenrolle in das Wohnzimmer von dieser Storm und macht mir ’ne Ansage! Und das richtig Miese daran ist, dass die den Fall vermutlich auch kriegen. Scheiße! Der Prinz findet doch seinen eigenen Breitarsch nicht, so dämlich ist der.«
Melanie Rust, geborene Glander, grinste breit und gähnte dann noch breiter. »Dabei ist der dir gar nicht vorgesetzt, ihr habt doch denselben Dienstrang. Aber sag mal, diese Frau Storm, die war ganz ruhig, nachdem sie zwei Leichen findet und ihr dann das volle Spusi-Programm vor ihr abzieht? Das ist doch nicht normal, oder?«
Melanie war Verwaltungsangestellte bei der Berliner Polizei, und ihre Frage war durchaus berechtigt. Glander stellte fest, wie wichtig es ihm war, dass Melanie keinen falschen Eindruck von Lea Storm bekam.
»Ach, ich weiß nicht, vermutlich nimmt sie irgendwas. Ihr Mann ist vor einem Jahr gestorben, und es war offensichtlich, dass sie nicht drüber hinweg ist. Obwohl Valium nicht zu ihr passt.« Nachdenklich häufte er sich den dritten Löffel Zucker in seinen Espresso.
Seine Schwester sah ihn überrascht an. »Sie gefällt dir, Martin, ich glaub es ja nicht! Die gefällt dir wie keine mehr seit Jessica. Und – was wirst du tun?«
Glander rührte missmutig in seiner Tasse herum.
»Nichts werde ich tun. So ein Quatsch, von wegen gefallen! Die Frau hat ’ne Menge Probleme, außerdem ist sie Zeugin in einem Mordfall, ist ja nicht so, als hätte ich sie in einer Kneipe kennengelernt.«
»Sicher nicht. Wann warst du das letzte Mal in einer Kneipe?«
»Sei doch froh, dass dein Bruder einer der wenigen Kripobeamten ohne ein Alkoholproblem ist. Sag mal, hast du noch den Whisky, den du mal für mich besorgt hast? Ich hab grad richtig Lust auf einen kleinen Schluck davon.«
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