Beate Vera
Wer die Lüge kennt
Ein Provinzkrimi aus Berlin
Jaron Verlag
Originalausgabe
1. Auflage 2019
© 2019 Jaron Verlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
www.jaron-verlag.de
Umschlaggestaltung: Bauer+Möhring, Berlin. Foto: © AdobeStock
Satz: Prill Partners | producing, Barcelona
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019
ISBN 978-3-95552-252-0
Für Eric,
der mir beinahe alles nahm,
aber das gab, was mir wichtig ist.
Men are afraid that women will laugh at them.
Women are afraid that men will kill them.
Margaret Atwood
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung
aller staatlichen Gewalt.
Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz
Cover
Titel Beate Vera Wer die Lüge kennt Ein Provinzkrimi aus Berlin Jaron Verlag
Impressum Originalausgabe 1. Auflage 2019 © 2019 Jaron Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien. www.jaron-verlag.de Umschlaggestaltung: Bauer+Möhring, Berlin. Foto: © AdobeStock Satz: Prill Partners | producing, Barcelona E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019 ISBN 978-3-95552-252-0
Freitag: 8. Februar 2013 Freitag 8. Februar 2013
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Sonnabend: 9. Februar 2013
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Sonntag: 10. Februar 2013
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
Anhang
Aus Leas Küche
Thank Youse
Weitere Bücher
Freitag 8. Februar 2013
Celsius, Réaumur und Fahrenheit – nach diesen berühmten Physikern waren die Straßen benannt, durch die Jeanny lief. Auf dem Weg zum S-Bahnhof Lichterfelde Süd hatte sie in der Thermometersiedlung, wie die Ansammlung von Hochhäusern im Süden Berlins salopp genannt wurde, eine Kippe geschnorrt. Sie zog heftig daran. Fuck! Es war richtig kalt hier draußen morgens um sieben Uhr. Und es würde auch tagsüber nicht wärmer werden. Sie würde wieder irgendwo unterkommen müssen.
Jeanny stieg die Bahnunterführung hinab und fand endlich ihre viel ältere Freundin. Greta saß in der Mitte des kleinen Tunnels auf einer Pappe, die sie vor dem kalten Boden schützen sollte, und lehnte an der Wand. Aber sie reagierte nicht, als Jeanny sie ansprach. Gretas Augen – für Jeanny stets die lustigsten Augen der Welt, denn sie wirkten immer so, als dachte ihre Freundin an etwas, das sie amüsierte – blickten starr geradeaus. Dann begriff Jeanny, dass Greta tot war.
Sie betrachtete die Ältere eine Weile. Scheiße, Greta! Sie nahm das gefrorene Blut auf Gretas tarngrüner Winterjacke wahr. Ihre Freundin hatte es endlich hinter sich und würde nie wieder frieren müssen. Der Gedanke war auch ein bisschen tröstlich, fand Jeanny. Sie zog ein letztes Mal an ihrer Zigarette und schnippte sie achtlos gegen die Wand. Der kalte Wind hatte eine Strähne des dunklen langen Haares über Gretas Gesicht geweht. Eine abgeknickte Ecke der Pappe, auf der die Tote saß, bewegte sich auf und ab. Jeanny drehte sich um und lief durch die Unterführung zurück zu den Häuserfluchten der Brennpunktsiedlung.
Lea Storm betrachtete das Schattenspiel an ihrer Schlafzimmerdecke und seufzte wohlig, die Haut von einem dünnen Schweißfilm bedeckt. Ihr Körper fühlte sich an wie Götterspeise. Lea musste grinsen. Sie war eigentlich nicht prüde, aber bei dem Gedanken an den soeben vollzogenen Akt errötete sie bis in die Haarspitzen. Jetzt waren sie schon etwas über ein halbes Jahr zusammen, doch der Sex war nach wie vor unfassbar gut. Sie bekamen einfach nicht genug voneinander. Morgens, abends, nachmittags, mitten in der Nacht – wann immer ihnen danach war. Es war fantastisch.
Lea hatte größte Mühe, sich aus den warmen Laken zu schälen, die ihr übergroßes Bett bedeckten. Als Halbschottin verzichtete sie auf die dicken Daunenbetten, die man im Winter in vielen deutschen Schlafzimmern vorfand. Ihr reichten zwei Laken in Übergröße, dazwischen legte sie in den kalten Monaten eine Steppdecke. Im Sommer genügte oft eines der Laken. Tagsüber zierte ein Quilt, eine Art Patchworkdecke, das Ensemble. Darauf lagen zahlreiche, unterschiedlich große Kissen in passenden Farben.
Mit einem breiten und sehr zufriedenen Lächeln betrachtete Lea das Deckenknäuel und Martins muskulösen Schwimmerrücken daneben. Dem war immer zu warm, aber das passte gut, denn meist raffte sie nachts das gesamte Bettzeug an sich.
Am Aufstehen führte kein Weg vorbei, Lea musste sich weiter auf die am Montag beginnende Tagung zur Bekämpfung von Rassismus und Gewalt im europäischen Fußball vorbereiten, auf der sie die Delegation der Scottish Football Association betreuen sollte. Die Einarbeitung in die Materie fiel ihr zum Glück nicht schwer, sie hatte rund zwanzig Jahre mit zwei fußballbegeisterten Männern, ihrem Sohn und seinem verstorbenen Vater, verbracht. Da war durch ihre schiere Anwesenheit so manches Wissen hängen geblieben. Allein ihre andauernde Müdigkeit und ihr Auftraggeber machten ihr zu schaffen.
Im Flur neben dem Schlafzimmer erhob sich Talisker, ihr ungewöhnlich rotbraun gefärbter Schottischer Hirschhund, zu seiner gewaltigen Größe. Er dehnte sich ausgiebig und folgte ihr die Treppe hinunter in die Küche.
Kriminalhauptkommissar Rolf Prinz war das soziale Engagement seines Gegenübers gänzlich unverständlich, und an einem Freitagmorgen hielt sich sein Interesse dafür auch stark in Grenzen. Thomas Hartmann, Chemiker von Beruf und eine imposante Erscheinung, kümmerte sich laut seiner zehnminütigen und viel zu umfangreichen Schilderung schon seit Jahren ehrenamtlich um Obdachlose. Seitdem im Spätherbst eine Gruppe von Frauen eine leer stehende Lagerhalle ganz in der Nähe für sich entdeckt hatte, konzentrierte er sich ganz auf die Arbeit im eigenen Kiez. Offenbar war der Mann einer von diesen Gutmenschen, die einem den letzten Nerv rauben konnten. Es gab doch genug Übernachtungsmöglichkeiten für Menschen, die keine eigene Wohnung hatten, und die soziale Hängematte, die der Staat nicht nur seinen Bürgern, sondern sogar jedem Emigranten bot, war nun wahrlich bequem, fand Prinz. Niemand musste in Deutschland auf der Straße schlafen. Diejenigen, die es dennoch taten, waren entweder geistig minderbemittelt oder wollten bewusst dem Radar der Behörden entgehen. Neben ihm leierte Hartmann irgendeine Statistik herunter, der zufolge obdachlose Frauen häufig Opfer von Gewalt würden. Aber Prinz glaubte ihm kein Wort. Es gab doch kaum wohnungslose Frauen auf den Straßen. Jedenfalls sah er nie welche.
Thomas Hartmann gab an, von einer anderen Obdachlosen telefonisch informiert worden zu sein. Daraufhin habe er die Tote gefunden und die Polizei alarmiert. Er wirkte verzweifelt und gestikulierte wild. »Kommissar Prinz, das ist jetzt die zweite tote Obdachlose innerhalb von sechs Wochen. Da hat es jemand gezielt auf diese Frauen abgesehen! Was unternehmen Sie dagegen?« Er wartete die Antwort nicht ab, die Prinz auch gar nicht zu geben vorhatte. »Sicher gar nichts! Denn Sie interessieren sich ebenso wenig für diese Frauen wie der Rest der Gesellschaft. Wenn die Tote aus dem noblen Dahlem käme, stünde hier ein vielköpfiges Ermittlungsteam auf der Matte. Aber eine Frau, die seit Jahren unter Brücken lebt – wen kümmert’s schon, wenn so eine draufgeht!« Hartmann atmete tief ein. »Herr Prinz, ich werde keine Wahl haben und an die Presse gehen müssen, wenn Sie nicht innerhalb angemessener Zeit mit Ermittlungsergebnissen aufwarten können.«
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