Nachdem Karlheinz sich noch einen Kaffee eingeschenkt hat, redet er weiter: „In Gräfenhausen gibt es auch zwei Lager. Zum einen das von Peter Wagner, das auf Tourismus setzt und auf einem großen Gemeindegrundstück am Waldrand gerne ein Wellnesshotel errichten würde, und dann die Opposition, die das Gemeindeheil in Ökostrom sieht und auf dem Gelände einen Solarpark plant. Brisant ist die Sache auch dadurch, dass Peters Bruder, der auch im Ortsrat sitzt, Inhaber eines Reiseunternehmens ist und reichlich von einem Hotel profitieren würde. Der Erste Beigeordnete und Oppositionsführer Gerhart Jung ist allerdings Produzent von Solarpaneelen. Der könnte sich an einem Solarpark eine goldene Nase verdienen.“
Das sind schon reichliche Informationen, die ich hier zu hören bekomme. Fast hab ich meine schlechte Laune schon vergessen. Aber verzeihen kann ich mir den Fehler mit dem Handy noch nicht.
„Kalle, eins würde mich schon noch interessieren. Du sagtest, dass es Wagner wohl mit der Treue nicht sehr genau nahm. Käme die Frau als Täter infrage?“
„Ausgeschlossen!“, sagt der Mann in Uniform energisch. „Mathilde, äh, ich meine Frau Wagner ist ein sehr zartes Wesen und ganz sicher nicht zu so einer Tat fähig.“
„Was macht dich so sicher? Kennst du Frau Wagner näher?“ Das will ich jetzt aber genauer wissen.
„Nein, natürlich nicht!“ Ist da mein Ex-Kollege etwas nervös? „Peter war schon in der Kommunalpolitik, als ich auch noch aktiv war, und da habe ich das Paar kennengelernt. Und heute Morgen hab ich noch die Vermisstenanzeige aufgenommen.“
Da ich nun genug Informationen und Eindrücke gesammelt habe, verabschiede ich mich von Karlheinz Müller. Lara tut das ebenfalls und erst jetzt fällt mir auf, dass sie während unseres gesamten Aufenthalts nur „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ gesagt hat.
Noch auffälliger ist, dass Kalle kein Auge auf Lara hatte. Auch wenn er schon etwas älter ist, ich hab nur selten einen Mann erlebt, der Lara dermaßen ignoriert.
Jetzt, wo wir wieder im Auto sitzen, findet sie auch ihre Sprache wieder: „Der Timo hat mir ne SMS geschickt, dass er deine E-Mail-Adresse auf den Rechner unseres provisorischen Büros umgeleitet hat. Und er hat geschrieben, dass du eine Mail bekommen hast, dass unsere Leiche voraussichtlich identifiziert ist. Du, Dieter, das mit dem Handy tut mir leid. Die Spur hätten Timo und ich als Erstes prüfen sollen. Ich hoffe, dass du deshalb keinen Ärger bekommst.“
„Papperlapapp. Ich bin euer Chef und hab somit die Verantwortung. Ich hab das verbockt und werde notfalls auch die Konsequenzen tragen. Aber bis dahin wollen wir mit guter Arbeit glänzen!“
Lara legt den Arm um mich und drückt mich. Eine Geste, die mich sehr freut, obwohl das Halfter ihrer Dienstwaffe mir dabei heftig in die Rippen kneift.
„Was hältst du von den ganzen Infos?“, will ich von ihr wissen.
„Gut, den Solarpaneelen-Jung sollten wir mal durchleuchten. Der scheint ja ein Motiv zu haben“, ist ihr erster Tipp.
„Das ist richtig. Aber auch etwas dünn. Anschauen werden wir ihn auf jeden Fall“, ist meine Meinung. „Und weiter?“
„Das Liebesleben des Opfers könnte uns auf eine Spur bringen.“ Ihr Tipp Nummer zwei.
„Sehr gut! Eine eifersüchtige Geliebte oder sogar ein gehörnter Ehemann hätten auch ein gutes Motiv. Nur scheint keine seiner Konkubinen bekannt zu sein, sonst hätte es Karlheinz sicher erwähnt“, gebe ich zu Protokoll und schaue meine Kollegin fragend an.
Sie zuckt mit den Schultern. „Sonst fällt mir nichts ein.“
Mir fällt da schon noch was ein, das ich überprüfen will, aber ich spreche es nicht aus. Ich will ja nicht einen ehemaligen Kollegen in die Pfanne hauen.
Inzwischen sind wir längst wieder auf der B10, dieses Mal in Richtung Landau, und nehmen dann die Abfahrt Godramstein. Übrigens dieselbe Abfahrt, die ich auch nehmen würde, um in die Wache zu kommen.
Die Spedition Bock liegt sehr verkehrsgünstig zwischen der B10 und Godramstein und ist somit auch nur einen Steinwurf von der A65 entfernt.
Auf der straßenzugewandten Seite gibt es eine Laderampe, die sich am ganzen Gebäude entlangzieht. Auf der Rampe sind Tore, die von 1 bis 24 durchnummeriert sind. Bei der Anzahl der Tore werde ich unweigerlich an die Adventszeit erinnert. Hinter jedem Tor könnte man eine schöne Überraschung verstecken.
Ich entscheide mich, rechts an der Halle vorbeizufahren. Für mich als Autofan eine gute Entscheidung. Etwas versteckt in einer Nische des Gebäudes steht ein McLaren F1. Eine ultraflache Flunder mit einem Zwölfzylindermotor von BMW, der 627 Pferdestärken auf die Kurbelwelle stemmt. Aber das Schönste an dem Auto ist die Sitzposition. Der McLaren ist als Dreisitzer ausgelegt, wobei der Fahrer in der Mitte des Fahrzeuges sitzt und die beiden Mitfahrer rechts und links etwas nach hinten versetzt Platz nehmen können.
„Ich dachte, dass die Speditionen alle am Rande des Ruins sind. Und dann stehen bei denen trotz hoher Spritpreise und Mautgebühren solche Autos herum.“
Ist Lara etwa neidisch? Mir ist das eigentlich egal. Ich parke meinen Mini direkt neben dem F1 und zücke gleich nach dem Aussteigen mein Handy und mache ein paar Bilder. Das schönste davon schicke ich gleich an Gusti mit dem Text: „Endlich ist mein Neuer da. Mini geht in Zahlung.“
„Sie wünschen bitte?“, lautet die knappe Begrüßung der Dame, die an einem Schalter im Eingangsbereich sitzt.
Wir stellen uns kurz vor und teilen ihr mit, dass wir telefonisch bei der Geschäftsleitung angemeldet seien. Nachdem sie kurz telefoniert hat, bittet sie uns herein und äußert den Wunsch, ihr zu folgen. Nur zwei Türen sind jeweils rechts und links zu sehen. Geradeaus ist dann wieder eine große Stahltür, wie ich sie schon vom Lager der Firma Schuhqualität kenne.
Wir nehmen keine der Türen, sondern beginnen Treppen zu steigen. Zwei Etagen höher sagt die Dame, dass Herr Bock uns in seinem Büro erwarte, und weist uns zur rechten Tür.
In einem großzügigen Raum, der edel und stilvoll eingerichtet ist, sitzt hinter einem Schreibtisch ein älterer Herr in Arbeitskleidung. „Nehmen Sie doch Platz. Mein Sohn wird auch gleich da sein“, sagt er freundlich. „Ich bin übrigens Joseph Bock. Ich habe die Firma vor inzwischen 38 Jahren gegründet, aber habe sie schon vor Jahren an meinen Sohn übertragen. Was soll ich sagen, wir waren damals eben ein anderer Schlag Menschen. Ich hab mich immer hinter dem Lenkrad am wohlsten gefühlt und so ist es auch heute noch. Mein Sohn, der hat Wirtschaft und Logistik studiert. Der hat das Zeug, um die großen Fische an Land zu ziehen.“
Na, der ist ja redselig. Hoffentlich gibt sein Sohn auch so bereitwillig Auskunft. Gleich werden wir es erfahren, denn er kommt gerade zur Tür herein. Im Gegensatz zu seinem Vater ist er mit einem Maßanzug bekleidet, solariumgebräunt und mit einer Goldkette am Hals und einer teuren Uhr am Handgelenk geschmückt.
„Ach, die Herren, nein, entschuldigen Sie, der Herr und die Dame Polizist. Was können wir für Sie tun? Ich dachte, dass alles von unserem Einbruch schon aufgenommen ist.“
Mich nimmt der Gigolo gar nicht wahr, er hat nur Augen für Lara. Ich sollte sie künftig doch besser auf der Wache lassen.
„Das ist richtig“, mache ich auf mich aufmerksam, „wir ermitteln in einer anderen Sache, die in Zusammenhang mit dem Einbruch bei Ihnen stehen könnte.“
„Da bin ich mal gespannt – womit kann ich dienen, junge Frau?“, und dabei zeigt er auch noch sein schönstes Zahnpastalächeln.
Mich übergeht der Typ doch total. Gleich lass ich ihn verhaften! Ach was. Da stehe ich doch darüber. Soll sich eben Lara mit dem Affen beschäftigen.
„Da Sie es offensichtlich bevorzugen, mit meiner Kollegin zu sprechen, würde ich vorschlagen, dass ich mir von Ihrem Vater den Tatort zeigen lasse.“ Ich will hier raus, bevor ich die Beherrschung verliere.
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