Die 1889 geborene Crafton-Tochter Alveole, deren in Ungarn gezogener Graßvater Kisber in England trainiert wurde, kam 1905 nach Graditz, als dieses nach dem Unfalltod von G. von Bleichröder 1902 dessen 1896 gegründetes Gestüt Römerhof übernahm. Mit diesem Kauf kamen zwei Hengste und 16 Stuten in Graditzer Besitz, und zu den Ladies zählte auch die von Bleichröder 1894 importierte Alveole. Ihre Mutter Sainte Alvere (1883) kaufte Baron Eduard von Oppenheim auf einer Auktion des Zuchtvereins für 12.500 Mark für das von ihm gegründete Schlenderhan, denn sie war die Tochter des Newminster-Sohnes Hermit, der als einer der größten Vererber aller Zeiten gilt. Ihr letztes Fohlen, Blaustrumpf (1905; Saphir), lief beim dritten Start in einem Verkaufsrennen, wurde für 6.600 Mark gefordert, gewann in neuen Farben noch 12 Rennen und kam auf Umwegen in die Waldfrieder Zucht, wo sie zur Begründerin der Waldfrieder B-Linie wurde. Über ihre Enkelin Blaue Adria wurde sie dort zunächst Urgroßmutter von dem Alchimist-Enkel Baal (1950), der später in die DDR gelangte, und 1961 gewann ihr Urenkel Baalim das Deutsche Derby unter Gerhard Streit. Und genau wie diese Stute ist auch die vom Römerhof nach Graditz gekommene Alveole eine Tochter der Saint Alvere, aus der das Staatsgestüt 1907 die große Antwort erhielt. Auch Baron Eduard von Oppenheim hielt ebenfalls an seiner hohen Meinung von Sainte Alvere eisern fest, und als er von Römerhof das dritte Fohlen der Alveole-Tochter Bayreuth, Ibidem (1903) kaufte, wurde er für seine zu frühe Trennung von Blaustrumpf doch noch voll entschädigt: Die Tochter des Buccaneer-Enkels Little Duck (u. a. Französisches Derby und Großer Preis von Paris), die zweijährig sechs Rennen gewann und bei zwei Starts als Dreijährige 1906 im Preis der Diana siegte, wurde in Schlenderhan eine einflussreiche Stute, zu deren Familie, neben vielen anderen, auch Alba (1927), Aralia (1945), Asterblüte (1946), Asterios (1947) und Agio (1955) gehören, wobei das „Familien-A“ von Ibidems Tochter Arabis stammt.
Martin Beckmann führt in seinem Sport-Welt-Beitrag an, dass zwischen 1729 und 1945 elf Gestütsleiter regierten – Herr von Leipzig eröffnete, und Graf H. Kalein war der letzte Chef, ehe der zweite Weltkrieg fast alles vernichtete – und etwa 60 Hengste für Graditz (Altefeld inklusive) gewirkt haben. Auf sie alle einzugehen, würde den hier gesetzten Rahmen nicht nur sprengen, sondern einige von ihnen standen nur kurzfristig hier, und andere dienten in der Warmblutzucht. Neben den „ganz großen Beschälern“ gab es natürlich Vertreter, deren Söhne und Töchter in der Zucht Gutes leisteten, aber auch solche, die zu wenig Unterstützung erfuhren oder als gute Renner kläglich versagten. Von diesen Stallions sollen an dieser Stelle jedoch nur einige erwähnt sein:
Der 1863 geborenen Derbyzweite und Stockwell-Sohn Savernake, den Graf Georg Lehndorff 1868 erworben hatte, stand nur vier Saisons in Graditz und wurde danach an Harzburg verkauft. Dennoch hat er sich in der deutschen Zucht gut geschlagen, denn er hinterließ Pferde wie Hochstapler (Union, Großer Preis von Baden); Paul (Deutsches Derby 1874)¸ Vergissmeinnicht (Preis der Diana 1876 und Mutter von Weltmann); Nickel (Henckel-Rennen 1890; Großer Hansa-Preis 1892; Großer Preis von Baden ein Jahr später und Wiener Jubiläums-Preis). The Palmer (1864; Beatsman) hinterließ einige gute Stuten. Darunter Glocke (Preis der Diana, Goldene Peitsche, Badener Jugendpreis); die 1880 geborene Ungarin Fantasie, die Mutter von Derbysieger Tegetthoff wurde oder Maria (1880) die Zukunfts-, Fürstenberg-Rennen, St. Ledger an ihre Farben heftete und eine bekannte Mutter in der Schlenderhaner Zucht wurde. Bei Trumpeter (1856; Orlando) aus der königlichen Zucht wahr es wohl die Verwandtschaft, die zum Import des Zwanzigjährigen einlud, denn sein Vater hatte auch in Deutschland einige Töchter gezeugt, die eine große Rolle spielten. Zu diesen gehörte auch Dirt Cheap, die Mutter des Derby-Siegers von Trachenberg, der sich seinen Derbysieg 1882 mit Taurus teilen musste und 1890 Hannibal (Großer Hansa-Preis, Großer Preis von Berlin, St. Ledger) zeugte.
Der Franzose Chamant (1884; Mortemer), der bereits erwähnt wurde, lief in England (2000 Guineas, Middle Park Stakes, Dewhurst Plate) und kam 1878 nach Graditz. Der Hengst hatte bereits gute Geschwister auf der Bahn wie Camelia (1000 Guineas, Oaks), doch waren die Zugnummern wohl eher Stockwell (2000 Guineas, St. Ledger) und Rataplan (Doncaster Cup, Gold Cup) als Halbbrüder zu Chamants Mutter Araucaria (1862; Ambrose).
Georg Graf von Lehndorff 1833-1914 (Foto: gemeinfre; http//:commons wikimedia-org-windex ph.)
Chamant, der, neben der Vollblutzucht auch auch in der Halbblutzucht Überragendes leistete, schenkte Graditz allein drei Derbysieger und weitere, die sich in den anderen Klassiks durchsetzten, als auch Töchter, die gute Mutterstuten wurden. So fohlte Geheimnis (1883) Geier (Union, Derby im toten Rennen); Minnehaha (1887) fohlte die 1896 geborene Görlsdorferin Namouna (Sierstorpff-, Ratibor-Rennen, Hamburger Criterium, St. Ledger, Großer Preis von Berlin, Derbyzweite), oder Abendglocke, die Mutter von Derbysieger Arnfried wurde, der 1909 gewann. 1898, im Alter von 24 Jahren ging Chamant ein und wurde von zahlreichen Söhnen in der Zucht vertreten.
Auch der Plutus-Sohn Flageolet (1870) war Franzose, kam als 15-jähriger nach Graditz und wurde 28 Jahre alt. Als Rennpferd vertrat er beachtliche Klasse. Er gewann die Middlepark-Stakes, Goodwood – und Jockey Club Cup, Prix Morny, musste sich aber im Derby seiner Heimat und dem Großen Preis von Paris Boiard beugen. Auf der Bahn hatte der Franzose auch bereits einige gute Pferde. So den 1876 geborenen Rayon d’Or (Champion Stakes, Doncaster St. Ledger, St. Jame’s Palace Stakes, Prix du Cadran); Beauminet (Prix Lupin, Prix du Jockey Club, Prix Royal Oak), und von einigen guten Töchtern ist besonders Courbature zu nennen, die als Vierjährige 1889 nach Argentinien exportiert wurde und dort u. a. nach dem Bend Or-Sohn Orbit 1894 Orange fohlte, die das Argentinische Derby gewann. Flageolet’s Sohn Geier gewann das Deutsche Derby 1893 im toten Rennen mit Hardenberg, und auf der Hindernisbahn waren Pferde wie Fenelon unterwegs, der der u. a. den Großen Preis von Karlshorst gewann.
Potrimpos (1883) war der erste von drei guten Chamant-Söhnen. Nach vier Siegen als Zweijähriger gewann er, wie schon erwähnt, nach dem Henckel-Rennen auch das erste Derby für Graditz. Die beiden anderen Söhne waren Pumpernickel (1884) und Derbysieger Habenichts (1895). Dessen Sohn Pathos – der u. a. den Großen Preis von Berlin gewann und auch Carnage (1890; Nordenfeld) als Vater gehabt haben könnte – stammte aus einer der besten Stuten, die je nach Deutschland kamen, der 1887 geborenen Springfiled-Tochter Ponza. Pumpernickel (Ratibor-Rennen und die St. Legers von Deutschland und Ungarn), dessen Mutter Pulcherrima (1873; Beadsman) als Vierjährige aus England importiert wurde, gebar 17 Fohlen, 16 davon in Folge. Pumpernickels Sohn Flunkermichel entschied 1897 das Derby für sich und war auch im Großen Hansa-Preis erfolgreich. Der 1881 geborene Graditzer Weltmann war ebenfalls ein Chamant-Sohn, der jedoch nach einigen Jahren im Heimatgestüt zwei Jahre als Hauptbeschäler in Beberbeck wirkte und dann als solcher nach Gudwallen wechselte. Siegfried Graf Lehndorff vermerkte dazu in seinem Buch, dass dieser Hengst in der Zucht des Herrn von Zitzewitz in Weeders Erfolge erzielte, wie sie kein anderer Vollblüter in der ostpreußischen Privatzucht zu verzeichnen hatte.
St. Gatien, 1881 von dem Stockwell-Enkel The Rover gezogen, gewann 16 von 19 Starts (u. a. Ebsom Derby im toten Rennen mit Harvester, Ascot Gold Cup, Ascot Gold Vase, Alexandra Plate, Kings Plate, Cesarewitch Handicap, Jockey Club Cup), kam 1891 nach Graditz und ging neun Jahre später wieder zurück, weil er Bockhuf vererbte. In Deutschland hatte er einige gute Sieger, viel mehr aber nicht. Auch Le Justiecer (1892), der den großen Vererber Le Sancy zum Vater hatte (u. a. zweimal Grand Prix de Deauville und 27 Siege bei 43 Starts), war ein passables Rennpferd (Eclipse Stakes), deckte nur kurz in Graditz, danach im Landgestüt Preußisch-Stargard und Trakehnen. Auch er hinterließ einige gute Pferde, von denen der 1900 geborene Leander (Leipziger Stiftungs-Preis, Großer Sachsen-Preis, Großer Preis von Hamburg), oder die gute Hürdlerin Kirschblüte genannt sein sollen.
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