»Es gefällt mir«, sagte sie, »kann ich es zitieren?«
»Alles, was ich sagen will, Mc Tavish«, sagte er muffig, »ist, dass das Touristengewerbe zu lausig ist, um darin zu arbeiten.«
»Es hat seine Vorteile. Wir bekommen Preisnachlässe.«
Die Kellnerin brachte das Frühstück.
»Stell gibt Ihnen Rabatt?«, fragte Smokey erstaunt.
»Ich weiß nicht.«
»Wenn sie es tut, dann bestimmt nicht aus geschäftlichen Gründen. Das hat sie für alle Zeiten nicht mehr nötig. Aber vielleicht macht sie es, weil sie Sie mag. Sie ist ein großartiges Weib.« Er sah sie an. »Ist das in Ordnung? Weib zu sagen?«
»Sicher. Es tut mir leid, Smokey. Ich wollte nicht pingelig sein.«
Er tat es mit einem Achselzucken ab. »Manches kann man gut ab, anderes überhaupt nicht. Es würde niemandem besonders gut bekommen, mich Macker zu nennen.«
Es war spät geworden. Sollten sie doch noch kommen, müsste es jeden Moment so weit sein. Die Kletterer hatten sich lärmend entfernt – bereit, die Natur zu terrorisieren, keine Frage. Die Kellnerinnen räumten diskret die Tische ab. Die wenigen Frühstücksgäste, die noch da waren, ließen sich Zeit. Stoner kaute gedankenverloren an ihren Pfannkuchen mit Sirup und beobachtete die Tür. Das Prickeln in ihrem Rückgrat war fast verschwunden.
»Nach wem halten Sie Ausschau?«, fragte Smokey.
»Nach der Enkeltochter einer Freundin meiner Tante«, sagte Stoner und errötete grundlos. »Ich habe sie noch nie gesehen.«
»Wie heißt sie?«
»Gwen Owens. Sie ist auf ihrer Hochzeitsreise.«
Er sah sie spöttisch an. »Alleine?«
»Mit ihrem Mann. Bryan Oxnard. Sind sie Ihnen bei irgendeiner Gelegenheit über den Weg gelaufen?«
»Bestimmt nicht, wenn sie Hochzeitsreisende sind. Frischvermählte neigen dazu, lange zu schlafen. Wo kommen Sie her?«
»Boston.«
»Boston!« Seine Augen hellten sich auf. »Du kommst aus Boston, Mc Tavish? Ist es wahr, dass sie dort am St. Patricks-Tag grünes Bier servieren?«
»An bestimmten Orten schon. Waren Sie … warst du nie in Boston?«
Er schüttelte den Kopf. Ein wenig traurig, wie ein begossener Pudel. »Ich war noch nie östlich von Omaha.«
»Wo bist du geboren?«
»Nevada.«
»Ich wusste gar nicht, dass es Iren in Nevada gibt.«
»Gab«, sagte Smokey, »bis ich wegging.«
Stoner lachte. »Nevada. Wieder ein Klischee den Bach runter. Schade eigentlich. Aber es sind ja noch ein paar übrig.«
»Tja«, sagte Smokey und dippte schwermütig ein auf seine Gabel gespießtes Stückchen Schweinekotelett in den Pfannkuchen-Sirup. »Ich fürchte, ich bin keins davon.«
»Oh, Smokey«, sagte Stoner, »hab ich dich verletzt?«
»Ach was. Ich hab von einer Schottin nichts anderes erwartet.«
»Da wir gerade bei den Klischees sind«, sagte Stoner, »hier draußen gibt es irgendwie unendlich viele Feuerstellen und Kamine.«
»Die wenigsten Leute bleiben den Winter über hier, aber auch im Oktober ist es schon ziemlich frostig. Die Feuerstellen geben genug Wärme, um ihn zu überstehen.«
»Musst du das ganze Jahr bleiben?«
»Sicher«, sagte er.
»Wie macht ihr das mit der Verpflegung?«
»Wir gucken nicht hin und verhungern. Wir haben hier einen Kandidaten, der kocht so grausam, dass wir vermuten, er hat es während seiner Forstausbildung gelernt.«
Fast schon außerhalb ihres Blickwinkels bemerkte Stoner ein Pärchen, das den Speiseraum betrat. Ihr Magen schlug Rad. »Smokey, das sind sie!«
Gwens Foto hatte es ihr bereits angetan. Die Originalausgabe – die göttlich Leibhaftige, Technicolor-3D-Stereobreitwand-Frau verschlug ihr die Sprache. Durchschnittlich groß. (Stoner wurde im selben Augenblick klar, dass sie sehr große Frauen weniger anziehend fand.) Eher schlank, dabei aber kräftig und wohlgeformt. (Und magere Frauen.) Ihr Haar war rehhellbraun (die schon immer und ewig von ihr absolut bevorzugte Lieblingshaarfarbe). Ihre Gesichtszüge ausgeprägt und trotzdem sanft. (Bloß keine kantigen Nasen- oder hochgestellten Backenknochen, nicht für Geld und gute Worte.) Aus dieser Entfernung konnte sie ihre Augen nicht sehen. (Große Augen fressen dich bei lebendigem Leib auf. Stoner wusste wirklich nicht, was sie jemals daran gefunden hatte.) Und sie trug ein weiches, zartblau kariertes Westernhemd, Khakihosen und sandfarbene Cowboystiefel (also alles, was jemand mit gutem Geschmack immer tragen würde).
»Ich denke, es wäre ganz gut, du würdest gelegentlich mal wieder Atem holen, Kerlchen«, sagte Smokey.
Ernüchtert atmete sie alle angehaltene Luft auf einmal aus und schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. »Oh, ein schönes Paar«, murmelte sie.
»Sie ist nicht schlecht, wirklich nett«, bemerkte Smokey.
Sie beobachtete sie, wie sie den Raum durchquerten und sich an einen Tisch setzten. Bryan überragte seine Frau mit einer herablassenden Aura. Nein, er sah nicht schlecht aus, vorausgesetzt, man mochte große, schlanke, breitschultrige Männer mit wehenden schwarzen Haaren und stechendem Blick.
»Er sieht aus, als wäre er aus einem Deodorant-Werbespot abgehauen«, sagte Smokey.
»Vielleicht ist er’s. Nein, er ist ja Bankier.«
Smokey machte ein abfälliges Geräusch.
»Magst du keine Bankleute?«
»Sie sind in Ordnung«, sagte Smokey, »für Leute, die glauben, dass Gott an der Börse spekuliert.«
Stoner lachte. »Hast du üble Erfahrungen mit Bankleuten gemacht?«
»Hast du gute mit ihnen gemacht?«
»Na ja«, sagte Stoner, »Bryan ist kein echter Bankier. Ich meine, er arbeitet in einer Bank, aber ich glaube, er ist kein Bankier.«
»Was ist er dann?«
Stoner fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ich weiß nicht so genau.«
Gwen sah in die Speisekarte. Bryan schien sie zu beraten. Er redete auf sie ein. Mein Gott, wir sind doch hier nicht im Ritz . Er trug ein Polohemd unter einem Seidenjackett, nagelneue Jeans und ein unsägliches Halstuch. Vermutlich stapfte er abends in einer großen Strickjacke mit Lederbesatz an den Ärmeln herum. Nachdem er bestellt hatte (Mrs. Burton hatte anscheinend vergessen zu erwähnen, dass Gwen in Wirklichkeit stumm war und deshalb nicht in der Lage, ihre Bestellung selbst zu formulieren), griff er über den Tisch und streichelte Gwens Arm mit seinem Zeigefinger. Als er ihre Hand hob, um sie mit seinen Lippen zu berühren, stieß Stoner ihren Stuhl zurück. »Entschuldige«, murmelte sie und sprang auf.
»Irgendwas falsch?«
»Ich hasse Sex überm Orangensaft.« Als sie den Tisch der beiden erreicht hatte, hatte sie sich wieder im Griff. »Hallo«, sagte sie souverän.
Gwen sah auf und Stoner fühlte, wie sich der Boden unter ihren Füßen auftat. Mein Gott, Mahagoniaugen. Sie stemmte ihre Hände fest in die Taschen. »Sind Sie …«, ihr Mund war trocken, »sind Sie zufällig Gwen Owens?«
Bryan hatte sich halb von seinem Stuhl erhoben. »Oxnard«, sagte er brüskiert. »Gwen Oxnard.«
»Oh, natürlich. Und Sie müssen Byron sein.«
»Bryan. Und Sie?«
»Oh, öh, mein Name’s Mc Tavish. Sto – Stoner Mc Tavish. Kennen Sie mich nicht?«
Gwen lächelte. »Nein, ich glaube nicht.« Ihre Stimme war samtweich. Stoner hätte schreien können.
»Meine Großmutter und Ihre Tante … ich meine, Ihre Großmutter und meine Tante sind befreundet. Sie war bei uns zum Essen neulich Abend – Ihre Großmutter. Ich sagte, ich werde mal nach Ihnen Ausschau halten.«
»Schön, es freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Gwen und streckte ihre Hand aus. Stoner nahm sie. »Wollen Sie sich zu uns setzen?«
»Nein, wirklich, ich …« Sie starrte Gwen an.
»Unsinn«, sagte Bryan. Stoner zuckte zusammen. Sie hatte ihn vollkommen vergessen. »Wenigstens auf einen Kaffee.«
Stoner sackte ungehörig auf den Stuhl, den er ihr hingeschoben hatte.
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