Michael und Julia suchten sich eine freie Bank und setzten sich. Dann fing Michael an: „Du, Julia, irgendwie fand ich das gestern Abend nicht in Ordnung, dass du nicht mit uns kommen durftest. Deine Eltern behandeln dich anscheinend immer noch, als wärst du ein kleines Kind.“ Michael tat sich schwer mit diesem Gespräch. Vor allem, weil Julia ihn jetzt so merkwürdig ansah. Deshalb sprach er gleich weiter: „Ja, ich weiß. Ich habe dich manchmal auch noch so behandelt. Deine Schwestern haben mir deshalb schon den Kopf gewaschen und sie haben ja auch recht. Das war einfach nur aus Gewohnheit. Ich habe mich heute Früh mit Eva unterhalten und da fiel mir auf, dass ich es damals, als ich vierzehn war, überhaupt nicht abkonnte, wenn mich einer noch wie ein Kind behandelte. Und nun habe ich es selbst gemacht. Tut mir leid.“
„Ist schon gut“, erwiderte Julia.
„Ja, weißt du, es hätte nicht passieren dürfen. Und … na ja. Dabei siehst du mindestens wie fünfzehn aus. Ich könnte mich ohrfeigen.“ „Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?“
Michael wurde verlegen. „Wieso? Du siehst wirklich toll aus. Und … du hast bestimmt schon viele Verehrer.“
„Ja? Dann weißt du mehr als ich.“
„Heißt das, du hast keine? Das kann ich mir aber nicht vorstellen. So wie du aussiehst, müssen die Jungs doch bei dir Schlange stehen.“
Julia sah Michael durchdringend an. Sie verstand nicht, wohin er mit diesem Gespräch wollte. Deshalb antwortete sie: „In unserer Klasse gibt es schon welche, die mit mir gehen wollen. Aber die sind wirklich noch kindisch. Erst jetzt verstehe ich so richtig, warum die Erwachsenen immer gesagt haben, dass wir Mädchen den Jungs zwei, drei Jahre voraus sind. Mit unseren Jungs kann man einfach nichts anfangen. Die müssen erst einmal aus den Kinderschuhen herauswachsen.“
„Und hast du da keinen älteren Freund gefunden?“, fragte Michael, der froh war, das er endlich bei dieser Frage angekommen war.
„Was heißt Freund? Klar kenn ich einen, der mir gefällt. Aber der sieht mich gar nicht.“
„Na, das muss aber ein Trottel sein. Dich kann man doch nicht übersehen!“
Julia seufzte: „Er schon.“
„Dann ist er vielleicht nicht der Richtige“, sagte Michael geknickt. Julia hatte also schon einen Freund. Da war er zu langsam gewesen. Eigentlich schade, dachte Michael. Jetzt könnte sie mir schon gefallen. Aber zu spät. Und Eva hatte gesagt, dass Julia ihn gern hatte. Offensichtlich wusste sie auch nicht alles über ihre kleine Schwester. Zu Julia sagte er: „Vielleicht ist es besser, wenn wir wieder zu den anderen gehen. Nicht, dass sie denken, wir hätten was miteinander.“
Julia zuckte mit den Schultern und sah ihn enttäuscht an. Dann nickte sie und sie gingen zurück in die große Halle. Die anderen spielten schon im Becken Hasche. Michael sprang mit einem Kopfsprung zu ihnen und Julia setzte sich zu Eva.
„Na, war wohl nicht sehr erfolgreich, euer Gespräch.“
Julia zuckte mit den Schultern.
„Hat er dich immer noch wie ein Kind behandelt?“
„Nein, im Gegenteil. Er meint, ich sähe wie fünfzehn aus und müsse viele Verehrer haben.“
„Na, das ist doch gut“, meinte Eva verständnisvoll. „Ist es nicht. Irgendwie kam es mir so vor, als ob er glaubt, ich hätte schon jemand anderen und da wolle er nicht stören.“ „Hat er das gesagt?“
„Nein. Aber als wir bei den Verehrern waren, hat er das Gespräch beendet und wir sind zurück in die große Halle gegangen“, erklärte Julia traurig. Eva lächelte und sagte: „Dann ist doch alles noch im Lot. Er ist nur etwas eifersüchtig und glaubt, dass er keine Chance bei dir hat. Das geht bei Jungs schnell.“
„Meinst du? Vielleicht soll ich ihm sagen, dass ich außer ihm keinen anderen habe.“
„Bloß nicht. Jungs woll’n immer um ein Mädchen kämpfen. Ich weiß auch nicht warum, aber sie sind so. Wenn es aber nichts zu kämpfen gibt, dann sind sie unzufrieden.“
„Und was kann ich dann machen?“, fragte Julia.
„Behandle ihn einfach, als wäre er dein Bruder und genauso alt wie du.“ „Aber er ist doch viel älter!“
„Drei Jahre, was ist das schon? Wenn ich dich so höre, hat er sich benommen wie ein Dreizehnjähriger.“
„Das stimmt. Ich habe versucht ihm zu sagen, dass ich ihn mag, und er denkt, da gibt es einen anderen. Er hat überhaupt nichts verstanden.“
Eva nahm ihre kleine Schwester in den Arm. „So sind die Jungs. Sie verstehen nichts, fühlen nichts und sind auch sonst schwer von Begriff, wenn es um Liebe geht.“
„Eva, das klingt ja so, als hättest du auch Sorgen wegen eines Jungen.“ „Eigentlich nicht“, antwortete sie.
„Ich dachte nur. Du klangst so traurig. Mir kannst du’s doch ruhig sagen. Ich verrate bestimmt nichts; nicht einmal Laura, wenn du es nicht willst.“ „Laura weiß es doch schon.“
„Dann kannst du es mir doch auch sagen, oder ist es was Schlimmes?“ Eva schüttelte den Kopf. „Ich habe vor zwei Wochen, als wir zusammen zur Disko waren, jemanden kennengelernt. Aber dann sind wir beide nach Hause gegangen. Vorige Woche hat mir Laura ausgerichtet, dass er mich gesucht hat. Und heute sucht er mich bestimmt wieder und ich bin hier. Das ist mein Problem.“
„Ach dann gehen wir eben nächsten Sonnabend wieder alle gemeinsam zur Disko und dann werden wir ihn schon finden“, erwiderte Julia optimistisch.
Eva nickte nur. Woher sollte Julia auch wissen, dass es eben nicht so einfach ist, wenn man etwas älter ist als sie.
„Bist du mir böse, wenn ich jetzt zu den anderen gehe? Ich will auch Hasche mitspielen“, sagte Julia zu ihrer großen Schwester.
„Nein, nein, geh nur. Ich würde ja auch mitkommen, wenn ich könnte.“
Nun sprang Julia ins Becken und spielte mit den anderen mit. Erst am frühen Abend verließen sie gemeinsam das Erlebnisbad im Hotel und gingen nach Hause, um sich später wieder zu treffen.
Abends war die Disko diesmal auf der Freilichtbühne. Die Freunde trafen sich wieder. Hier stellten Knut und Arne den anderen ihre Freundinnen vor. Julia war etwas traurig. Nun konnte sie Michael nicht mehr mit Arne etwas eifersüchtig machen. So blieb sie bei Eva, die sich auch etwas zurückhielt. Laura hingegen fand man wie immer fast ständig auf der Tanzfläche.
Eva fragte ihre kleine Schwester: „Immer noch traurig wegen Michael?“
Julia nickte.
„Ja, Julia, das sind die Probleme, wenn man älter wird. Manchmal denke ich gern an meine Kindheit zurück. Wie einfach war doch das Leben damals.“
Obwohl Julia ihre große Schwester nicht so richtig verstand, nickte sie trotzdem.
Ab und zu tanzte Michael mit Julia, wenn sie ihn darum bat. Aber sonst war alles wie vorher, nur dass er sie altersgerechter behandelte. Irgendwie hatte Eva schon recht. Als sie noch Kinder waren, hatten sie solche Probleme nicht.
Sonntagmittag flogen Koschs wieder nach Hause, denn es waren keine Schulferien und Michael musste mit seiner Schwester auch wieder zurück nach Lahrsheim zu seiner Mutter. So ging das Jubiläumsfest im Dorf ohne sie weiter.
Am Nachmittag kam völlig unerwartet nun doch noch ein Fernsehteam des norwegischen Fernsehens, um das Fest in Håp Land zu dokumentieren. Die Reporterin sprach lange mit Bürgermeister Olaf Jansen und berichtete dann vor der Kamera über die Festlichkeiten.
„Wir melden uns aus Håp Land, einem kleinen Dorf zwanzig Kilometer nördlich von Bergen in der Provinz Horda-Land. Dieses Dorf war noch vor zehn Jahren den wenigsten bekannt. Heute hat es sich zu einem Touristenzentrum gemausert. Damals hat hier eine deutsche Firma viel Geld investiert, um dieses Dorf aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken. Allen Skeptikern zum Trotz ist deren Konzept aufgegangen. Da, wo vor zehn Jahren ein kleines Dorf mit 273 Einwohnern und ein kleines, unbekanntes Hotel standen, befindet sich heute eine attraktive touristische Insel. Sie ist gleichzeitig ein führendes Modell für die Bearbeitung der jüngeren Geschichte.
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