„Was soll ich denn dann machen? Hilf mir doch bitte!“, flehte Julia ihre Schwester an.
„Das mach ich. Aber du musst auch ein bisschen Geduld haben. Michael hat sicher noch nicht begriffen, dass du nicht mehr die kleine Julia von früher bist. Jungs sind manchmal sehr schwerfällig beim Umdenken. Das kannst du dir ruhig merken.“
„Meinst du wirklich?“, fragte Julia ungläubig.
„Ganz sicher! Da kenne ich mich aus. Jetzt müssen wir also Michael erst mal beibringen, dass du eben nicht mehr die kleine Julia bist. Ich weiß noch nicht wie, aber das kriegen wir schon hin. Eva ist ja auch noch da.“
„Aber bitte so, dass Mutti und Vati nichts merken“, bettelte Julia.
„Na, das ist ja wohl selbstverständlich. Glaubst du, mir würde das gefallen, wenn unsere Eltern alles erfahren würden?“
Julia war beruhigt und gleichzeitig stolz auf ihre Schwester, die so viel Verständnis für sie hatte.
Laura überlegte eine Weile und sagte dann: „Wir fliegen doch nächste Woche nach Håp Land . Dort wird sich schon eine Möglichkeit finden. Wie gefällt dir eigentlich Arne?“
Julia zuckte mit den Schultern. „So ist er ja nicht verkehrt, aber mehr eben nicht.“
„Dann solltest du dich vielleicht mal mehr um ihn kümmern. Das muss Michael doch auffallen“, riet ihr Laura.
„Und wenn er dann böse mit mir ist? Oh, das ist keine gute Idee.“ „Jungs macht man am besten auf sich aufmerksam, wenn man sie eifersüchtig macht. Glaub mir, das könnte funktionieren. Und wenn nicht, dann sind immer noch Eva und ich da.“
„Und du meinst, ich soll so tun, als ob mir Arne gefällt?“
„Ja, aber nicht zu auffällig. Sonst durchschauen dich beide und das wäre dann nicht gut. In Håp Land bei der Jubiläumsfeier ist abends ganz bestimmt auch Disko. Ich werde mal mit Mutti sprechen, dass du mitdarfst. Die Einmal-im-Monat-Regel gilt doch nur für Sonnenberg.“
„Oh, Laura, wenn du das schaffst …“
„Das wird schon klappen. Hauptsache, du fällst bis dahin nicht unangenehm auf. So, jetzt geh’n wir aber wieder rüber zu den anderen.“
Sie verließen das Kellerbad und spielten mit den anderen Tischtennis.
3. Håp Land – Zehn Jahre Urlauberdorf
Am späten Nachmittag des 29. April flog Wolfram mit seiner Familie und den Gästen aus dem Schwarzwald nach Håp Land , denn an diesem Wochenende feierten sie im Dorf das zehnjährige Jubiläum des Touristenzentrums. Olaf hatte als Bürgermeister die Organisation in der Hand und machte diese Jubiläumsfeier zu einem großen Volksfest. Dazu reisten mehrere Schausteller an. Sie bauten ihre Fahrgeschäfte auf der Wiese zwischen dem Dorf und der Fernstraße auf. Auch das Hotel hatte Olaf in dieses Fest integriert.
Wie immer quartierten sich Koschs bei Andrea und Sven ein. Seit auch Annefried dort wohnte, war die Familie in dieser Zeit immer zusammen. Michael und Manuela schliefen wie immer bei der Familie ihres Vaters. Julia bedauerte das etwas, da sie sich dadurch nicht so oft sehen konnten. Wogegen sich Michaels Vati diesmal riesig freute, dass ihn seine Kinder auch mal außer der Reihe besuchten.
Nach dem Abendbrot trafen sich alle Kinder der Familien Aglund, Kosch, Jansen und Schulze. Das war bei ihnen schon zur Tradition geworden. Nur Gerda ging inzwischen ihre eigenen Wege, seit sie einen Freund hatte. Die anderen hielten immer noch zusammen, egal ob sie in Sonnenberg waren oder in Håp Land . Sie unternahmen auch weiterhin fast alles gemeinsam, wenn sie zusammen waren.
Manuela und Wolfram Junior gehörten nicht zu dieser Runde. Sie waren einfach zu jung. So spielten sie oft zusammen, weil Manuela kein fließendes Norwegisch sprach und Junior auch kaum Freunde im Dorf hatte.
Doch diesmal gingen sie mit den Großen mit, um die Karussells und Schaustellerbuden auf der Festwiese zu besuchen. Alle hatten schon geöffnet. Sie testeten erst mal alle Karussells und blieben am Schluss bei denen, die ihnen am meisten gefielen. Am liebsten fuhren sie mit den Berg-und-Tal-Bahnen. Im Autoskooter testeten die Jungs ihre Fahrkünste und zeigten den Mädchen, wie gut sie doch waren. Hier hätten sie Stunden verbringen können. Alle hatten von ihren Eltern Geld bekommen. Doch das war auch schnell verbraucht, wenn sie nicht aufpassten.
„Eva, willst du nicht auch mal mit dem Autoskooter fahren? Da kannst du schon etwas für den Führerschein trainieren“, sagte Knut, der seinen Führerschein schon hatte.
Doch Eva winkte ab: „Ihr Jungs werdet das nie lernen, dass das für uns Mädchen nicht so wichtig ist. Wir sind nun mal keine Jungs.“
„Ich dachte nur …“, fügte Knut kleinlaut hinzu. „Ach wo! Ich fahre viel lieber mit dir mit.“
„Mit mir? Na, dann komm.“
Sie stiegen zusammen in einen Skooter und Knut zeigte ihr sein Können. Eva lächelte. Nur wenn es eng wurde, hielt sie die Luft an. Im Grunde genommen fuhr Knut auch nicht besser als Arne oder Michael, stellte Eva fest. Nur Junior hatte seinen Skooter nicht richtig im Griff. Aber das lag sicher daran, dass er erst neun Jahre alt war. Manuela, die immer neben ihm saß, war trotzdem stolz auf ihn.
Gegen 22.00 Uhr schlossen die Karussells und die Großen brachten die Kleinen nach Hause. Am meisten protestierte Julia, dass sie nun zu Hause bleiben sollte, obwohl sie doch schon vierzehn war. Aber ihre Eltern sahen das eben anders und so durfte sie erst einmal nicht weiter mit den Großen rumziehen. Kai war zwar schon fünfzehn, aber er blieb freiwillig zu Hause – hatten ihm seine Eltern doch mehrfach gesagt, dass er jetzt besonders vorbildlich sein müsse, seit sein Vater Bürgermeister sei.
Die Großen von Koschs und Schulzens wollten den Abend aber noch nicht beenden. Knut fragte: „Woll’n wir mal rüber ins Hotel gucken? Da ist heute wohl auch Tanz.“
Laura horchte auf. „Tanz? Wieso sagst du das erst jetzt? Was stehen wir dann noch hier rum?“
Und die sechsköpfige Gruppe setzte sich in Richtung Hotel in Bewegung. Auf dem Weg zum Hotel begann Laura vorsichtig ein Gespräch mit Michael und ließ sich etwas zurückfallen. „Hast du gesehen, dass Julia auch mitwollte? Leider darf sie noch nicht. Da machen unsere Eltern keine Ausnahme. Dabei ist sie nun wirklich kein Kind mehr.“
„Na ja. Aber sie ist doch erst vierzehn.“
Da verteidigte Laura ihre Schwester: „Stimmt! Aber du musst ihr mal zuhören. Dann merkst du ganz schnell, dass sie eben kein Kind mehr ist. Außerdem bist du ja auch nur drei Jahre älter und willst trotzdem für voll genommen werden.“
„Du doch auch“, erwiderte Michael lachend.
„Ja, und Julia auch. Unsere Altersgruppe nennt man sinnigerweise Jugendliche! Ein blöder Begriff, aber zu denen zählt Julia auch schon. Ich verstehe nicht, warum meine Eltern trotzdem solche Unterschiede machen.“
Michael wurde nachdenklich. „Eigentlich hast du recht. Julia ist wirklich schon eine Jugendliche. Und wenn ich das recht bedenke, sieht sie auch nicht mehr wie ein Kind aus. Da hast du völlig recht. Und ich habe sie vorhin noch wie ein Kind behandelt. Hoffentlich ist sie jetzt nicht sauer auf mich.“
„Das glaube ich nicht. Und wenn du sie ab morgen wie eine von uns behandelst, wird sie das andere sicher schnell vergessen.“
„Als ich vierzehn war, hat es mich immer maßlos geärgert, wenn mich jemand wie ein Kind behandelte. Und jetzt bin ich auch nicht besser. Ich glaube, ich muss morgen mal mit Julia reden. Sie soll wissen, dass ich sie nicht mehr als die Kleine sehe“, entschied Michael.
„Das tu mal“, bekräftige Laura ihn. Im Stillen dache sie, dass das Gespräch doch ganz gut gelaufen war. Mehr konnte sie für Julia im Moment nicht tun. Aber sie musste ihr auf jeden Fall noch Bescheid sagen, bevor Michael mir ihr sprach, damit sie seinen Wandel nicht in den falschen Hals bekam.
Читать дальше