„Höchstens Feuerzeuge“, sagte ich.
„Auch die gab‘s noch nicht“, meinte Herr Klinke.
„Aber wie hat dann der Prophet Elia die Sache mit dem brennenden Altar hingekriegt?“
„Gott hat seinen Blitz in den Altar geschleudert, und dann hat alles gebrannt.“
„Hat dann Gott auch letzte Woche das Haus in der Mozartstraße angezündet?“, fragte Paul.
„So kann man das nicht sagen.“
„Aber mein Vater hat gesagt, das ist höhere Gewalt, also ist es Gott gewesen.“
Es klingelte, und ich glaube, dass Herr Klinke irgendwie froh war, dass er die Stunde beenden konnte.
Wir hatten dann noch Gemeinschaftskunde und Erdkunde und die letzte Stunde war Sport.
Unsere Lehrerin ließ uns vor dem Hochsprung drei Runden um den Sportplatz drehen, und ich passte auf, dass ich mal neben Leili lief und ihr „Hallo, Leili!“ zurufen konnte. Sie blickte kurz hoch und lächelte mich an. Ich wusste aber nicht, ob es so ein höfliches Lächeln war oder eines nur für mich.
Als wir nach Hause gingen, hupte es plötzlich auf der Straße, und ich sah den VW Passat von Opa an der Straße stehen.
Ich ging zu ihm hin und fragte: „Wartest du auf mich?“
„Natürlich, mein Junge“, sagte er und lächelte.
Das kam mir komisch vor. Warum wollte er mich abholen? Und warum lächelte er? Irgendwie sah sein Lächeln merkwürdig aus. Und das war etwas, worin ich mich auskannte. Ich hatte nämlich für mich eine Lächeltabelle angefangen. Ursprünglich hatte ich sie aufgeschrieben, um Leilis Lächeln besser zu verstehen und hatte im Lauf der Zeit zehn verschiedene Lächeltypen herausgefunden:
Lächeln 1: |
ein harmloses Lächeln über irgendwas Nettes. |
Lächeln 2: |
ein gemachtes Lächeln, weil es von Erwachsenen erwartet wird, zum Beispiel, wenn Familienbilder gemacht werden oder weil es einfach höflich ist. |
Lächeln 3: |
teuflisches Lächeln, wenn du siehst, dass dein ärgster Feind eine richtig miese Pechsträhne hat. |
Lächeln 4: |
verliebtes Lächeln. Ein Mädchen lächelt dich an, weil es dich cool findet. |
Lächeln 5: |
Mutterlächeln, weil sie ein Baby im Arm hält. |
Lächeln 6: |
rätselhaftes Lächeln. Das Lächeln könnte alles bedeuten, du kommst nicht dahinter, warum der andere lächelt. |
Lächeln 7: |
Zerstreutes Lächeln, das eigentlich kein Lächeln ist, sondern nur gemacht wird, weil einem nichts Besseres einfällt. |
Lächeln 8: |
Spöttisches Auflachen (ein merkwürdiges Wort. Gibt es eigentlich auch ein Zulachen?). Wobei ich nicht weiß, ob Nummer acht noch ein Lächeln ist. |
Lächeln 9: |
Strahlendes Lächeln, echt oder manchmal auch unecht. |
Lächeln 10: |
Unnachahmliches, spezielles Lächeln von Leili |
Ich war mir ziemlich sicher, dass Opa Elias das Lächeln Nummer sechs aufgesetzt hatte, immerhin besser als Nummer drei. Jedenfalls fragte ich Opa, nachdem sein Lächeln Nummer sechs vorbei war: „Hast du Anna auch schon abgeholt?“
„Nein, die ist selbst gekommen, und da kam ich auf die Idee, dich abzuholen. Steig ein, Enkel!“
Ich stieg ein und nahm mir vor, aufzupassen.
Er fuhr an, und wir schwiegen. Bei einer roten Ampel kratzte sich Opa am Kinn und sagte beiläufig: „Ach, da fällt mir ein … Wer ist eigentlich diese Frau, die neben euch wohnt? Ich hab sie heute Morgen zufällig gesehen.“
„Rechts oder links von uns?“
„Wenn man vor eurer Haustür steht, rechts.“
„Ach so, das ist Frau Mergenthaler.“
„Und die … also die lebt mit ihrem Mann ganz allein in dem großen Haus?“
„Nee, die ist ganz allein. Ihr Mann ist vor einem Jahr gestorben, glaub ich. Ab und zu kommt ihre Tochter vorbei. Mama meinte, sie ist letzte Woche fünfundsiebzig geworden.
„Aha. Fünfundsiebzig“, murmelte Opa, „sieht aber aus wie sechzig.“
„Sechzig ist aber auch schon ziemlich alt“, sagte ich.
„Nicht für mich.“
Na ja, wenn man so alt wie Opa ist, dachte ich, dann kommen einem sechzigjährige Frauen wahrscheinlich wie junges Gemüse vor. Ich wartete darauf, dass noch irgendetwas kommen würde, aber es kam nichts. Opa war nur höflich und wollte sich nach einer alten Frau erkundigen.
Als wir zu Hause ankamen, war meine Mutter ganz gut gelaunt, weil Opa mich von der Schule abgeholt hatte. Sie dachte wohl, dass es lauter Freundlichkeit gewesen war, aber ich konnte das Lächeln Nummer sechs nicht ganz vergessen, das plötzlich verschwunden war, als ich zu ihm ins Auto gestiegen war, so als ob er es ins Handschuhfach gelegt hätte.
Zufällig sah ich nachmittags, als ich meine Hausaufgaben machte, wie Opa, der etwas in der Hand hielt, zu dem Nachbarhaus hinüberging und bei Frau Mergenthaler klingelte. Er hatte seine ausgebeulte Strickjacke ausgezogen und ein Jackett an. Ich sah, wie unsere Nachbarin aufmachte und wie Opa ihr eine Schachtel überreichte, die wie ein Geschenk aussah.
Komisch, dachte ich, Frau Mergenthaler hatte doch letzte Woche schon Geburtstag gehabt. Ganz schön nett von Opa, ihr zu gratulieren. Vielleicht war Opa doch gar nicht so schlimm, wie wir alle dachten.
Als wir gegen sechs Abendbrot aßen, wir waren tatsächlich alle einmal anwesend, was nicht jeden Tag vorkam, fehlte Opa. Zehn Minuten später klingelte er und setzte sich gut gelaunt an den Tisch.
Meine Mutter blickte ihn kritisch an, weil er dieses Jackett trug, und mir fiel auf, dass er irgendwie nach Zitronen roch.
„Warst du auf einer Veranstaltung?“, fragte sie.
„Auf einer Veranstaltung?“, sagte er stirnrunzelnd. „Wie kommst du denn darauf?“
„Na ja, dein Outfit. Du hast dich so … zurechtgemacht …“
„Auch in meinem Alter sollte man auf sein Äußeres achten.“
„Opa war bei Frau Mergenthaler“, platzte Anna heraus. Sie hatte ihn wohl auch gesehen. Ich hatte mich zurückgehalten, weil ich mir nicht sicher war, ob es Opa recht war, dass wir von seinem Besuch wussten.
„Bei Frau Mergenthaler?“, wunderte sich meine Mutter.
„Meine Güte, du tust geradeso, als ob es ein Weltwunder ist, wenn man mal die neuen Nachbarn begrüßt. Es ist doch einfach höflich, sich da mal vorzustellen. Ich bin schließlich nicht asozial!“
„Es geschehen noch Zeichen und Wunder“, sagte sie.
„Im Übrigen hat sich Charl… Frau Mergenthaler ganz gut gehalten mit ihren fünfundsiebzig Jahren. Sieht aus wie sechzig.“
„Du bist ja gut informiert.“
„Na ja, sie hat erzählt, dass sie Geburtstag hatte, und da fragt man mal nach.“
Meine Mutter verstummte und war mit dem Essen beschäftigt. Als wir fertig gegessen hatten und in unsere Zimmer verschwanden, blieb ich noch kurz hinter der Küchentür stehen und hörte, wie meine Mutter sagte: „Du hast doch nicht etwa die Absicht, Frau Mergenthaler den Hof zu machen?“
„Was soll das heißen? Willst du mir verbieten, dass ich Frauen kennenlerne? Übrigens hat sie eine tadellose Figur!“
„Ich möchte nicht, dass Charlotte sich falsche Hoffnungen macht. Du weißt ja vermutlich, dass ihr Mann vor einem Jahr gestorben ist, und da ist man natürlich empfänglich für nette Worte und so weiter …“
Ich hörte, wie Opa auf den Tisch haute. „Das wird ja immer besser!“, polterte er.
Meine Mutter: „Nicht so laut, Papa!“
Opa: „Meine eigene Tochter will mir den Umgang mit tollen Frauen verbieten. Unglaublich! Was wäre denn dabei, wenn ich mich mit Charlotte befreunde?“
„Ach, ihr nennt euch auch schon beim Vornamen! Das ging ja schnell!“
„In meinem Alter macht man nicht viele Umwege, um zum Ziel zu kommen.“
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