1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Nie mehr hatten sie über diese Angelegenheit gesprochen, das Leben am Grafenhof war seinen Weg gegangen. Doch bis heute sah er manchmal die Menschen grinsen, wenn sie in seine Richtung sahen. Dann wusste er, dass sie über seine Schmach witzelten.
Dies bestärkte Wulfhardt jedes Mal in seinem Entschluss: Nie mehr würde er um eine Braut werben, nie mehr würde er zum Gespött werden. Und: Er würde sich rächen. Bald schon würde er seine Macht im Sualaveldgau gesichert haben, dann würde er sich um Graf Ernst kümmern. Und um Hildegard.
Wulfhardt riss den Blick von der Nonne los und wendete sich nach links, wo die Mönche standen. Goumerad verneigte sich so tief, dass Wulfhardt die Hinterseite seiner Segelohren sah. Er sprach einige salbungsvolle Worte, aus denen Wulfhardt eine Hochnäsigkeit heraushörte, die ihn an seinen lieben Bruder, diesen Musterschüler, erinnerte. Trotzdem nickte er ihm freundlich zu, schließlich sollte Goumerad nach Walburgas Ableben das Kloster in seinem Sinn leiten. Heute Abend würde Wulfhardt eine Messe zelebrieren, die Verhandlung über Walburgas Sakrileg hatte er für morgen angesetzt.
Wulfhardt führte durch die Messe mit den Formeln, die er vor Jahren auswendig gelernt hatte. Währenddessen überlegte er, auf welche Art Walburga ihr Leben beenden sollte. Er entschied sich für das Verbrennen, um ihr einen Vorgeschmack zu geben auf das Höllenfeuer, das sie erwartete.
Nach der Messe schritt, nachdem das einfache Volk die Kirche verlassen hatte, Wulfhardt Seite an Seite mit Goumerad zum Portal. Sie traten hinaus in die Nacht vor dem Portal, da erhob sich hinter ihnen Walburgas Stimme. Sie klang viel zu befehlsgewohnt für eine Frau, auf die das Feuer wartete: „Prior Goumerad, Ihr habt die Kerze vergessen, die unser Dormitorium erleuchten soll.“
Goumerad wandte sich zu ihr um, sah sie jedoch nicht an, sondern hob das Kinn. „Wo Sünder schlafen, soll das Licht Gottes nicht brennen!“
Das Volk vor der Kirche grummelte, jemand rief: „Unsere Äbtissin ist keine Sünderin!“
Walburga erwiderte: „Jesus hat mit Sündern gespeist!“
Ein Mönch trat vor. Sein Doppelkinn bedeckten Bartstoppeln, sie endeten knapp über dem Ausschnitt der Kutte. „Verehrter Prior“, sagte er zu Goumerad. „Ich könnte zum Frieden aller das Licht zu den Nonnen tragen.“
„Schweig!“, schnappte Goumerad.
Walburga seufzte schicksalsergeben. „So will ich vor dem Altar wachen und beten. Möge der Herr uns sein Licht senden.“ Sie ging zurück in die Kirche. Die Nonnen folgten ihr, suchten ihre Nähe, warfen sich verzweifelte Blicke zu, während Walburga in ihrer Mitte betete. Die Menschen Heidenheims drängten an Wulfhardt vorbei zurück in die Kirche, um ihrer Äbtissin beizustehen.
„Das war dumm von dir!“, zischte Wulfhardt Goumerad an. Zur Antwort drehte der Prior beleidigt den Kopf zur Seite.
Wulfhardt schritt an das Feuer, schnitt sich ein Stück Rindfleisch ab und ließ sich Wein einschenken. Nur seine Waffenknechte und die Mönche begleiteten ihn. Wulfhardt hob feierlich den Becher und trank auf seine Familie. Die Waffenknechte prosteten ihm zu, Hroutland stiegen ob des Gedenkens an Wulfhardts Bruder Tränen in die Augen. Auch die Mönche ließen sich einschenken. Schweigend nippten sie an ihren Bechern, ein Gespräch wollte nicht entstehen.
Da rief ein Waffenknecht: „Ein Licht! Ein magisches Licht!“
Wulfhardt fuhr herum. Tatsächlich: Lichtschein flackerte durch die Tür des Nonnenklosters. Der Ruf des Waffenknechts lockte einige Bauern aus der Kirche. Sie sahen das Licht und fielen auf die Knie. Immer mehr Menschen strömten aus der Kirche, liefen bis an den Holzzaun heran, der die Nonnenklausur begrenzte. „Der Glanz Gottes!“, riefen sie. „Der Herr hat sie erhört! Walburga bat ihn um Licht, der Herr hat’s geschickt!“ Sie warfen sich vor dem Lichtschein in den Staub, auch einige von Wulfhardts Waffenknechten wurden vom Zauber ergriffen.
Wulfhardt war wie gelähmt. Erst der Donnerschlag auf der Lichtung. Jetzt das Licht im Nonnenkloster. Wieder schickten die Götter ein Zeichen, wieder begünstigten sie die Nonnen.
Oder war es der Christengott, der diese Zeichen schickte?
Zum ersten Mal ahnte Wulfhardt, dass der Gott der Christen tatsächlich existieren könnte. War Jesus tatsächlich sein Sohn? Bisher hatte Wulfhardt ihn verachtet, weil er in einem Stall geboren und wie ein Verräter ans Kreuz geschlagen worden war.
Wulfhardt bekreuzigte sich und küsste das silberne Kreuz auf der Brust.
Die Nonnen kamen nun heran, Walburga an der Spitze. Nur die Nonne mit dem Kopftuch entdeckte Wulfhardt nicht. Walburga kniete sich vor die erleuchtete Tür. Als sie die Stimme erhob, schwiegen alle und falteten die Hände. „Du, o Herr, hast Dich gewürdigt, mich Unwürdige mit dem Troste Deines Lichtes heimzusuchen und die Seelen Deiner Dienerinnen, die mir in Anhänglichkeit folgen, aufzurichten. Du hast die undurchdringliche Finsternis mit ihrem düsteren Schrecken durch die Strahlen Deines Erbarmens aufgelöst. Und das darf man nicht meinen Verdiensten, vielmehr dem selbstlosen Großmut deiner Liebe und den Bitten meines Bruders Wynnebald, deines frommen Dieners, zuschreiben. Dir, o Herr, sage ich Dank, dem ich als demütige Magd von Jugend an diene. Amen.“
Das Licht leuchtete bis zur Laudes am nächsten Morgen. Die Nachricht vom Lichtwunder zu Heidenheim sprang von Mund zu Mund und von Dorf zu Dorf, Menschen strömten herbei: Gesunde, die etwas von Gottes Gnade, die auf Walburga herabgeschienen war, auf sich lenken wollten, ebenso wie Kranke, die um Heilung ihrer Gebrechen baten. Walburga geleitete die Kranken in das Krankenlager neben dem Nonnenkloster, betete für sie und verabreichte ihnen Trünke aus den Kräutern des Gartens.
Wulfhardt verkündete am Tag nach dem Wunder, der Herr habe mit diesem Zeichen den Vorwürfen des Priors Goumerad gegen Walburga widersprochen, weshalb die Anklage gegen Walburga entkräftet sei. Auch ihn schien das Licht ergriffen zu haben. Oder heuchelte er, weil die Verehrung Walburgas durch seine Waffenknechte ihm keine Wahl ließ?
Michal wusste: Der Teufel ist ein Meister der Verstellung.
Dennoch fühlte sich Michal wie von schwerer Last befreit. Nur Walburgas Tadel, sie sei des Schleiers unwürdig, drückte sie noch nieder. Alles tat sie, um den Unterweisungen Walburgas zu entsprechen: Kein unnötiges Wort verließ ihren Mund, gänzlich widmete sie sich dem Gebet, der Arbeit in der Schreibstube und dem Unterricht. Jede Regung von Walburgas Gesichtsmuskeln registrierte sie. Hier und da schlich sich ein Lächeln über die Lippen, auch in ihre Richtung. Doch über den Schleier verlor sie kein Wort.
Grübelnd verbrachte Michal die meiste Zeit in der Schreibstube. Dort fiel ihr beim Ordnen der Manuskripte die unbeschreiblichste Geschichte in die Hände, die ihr je unter die Augen gekommen war: die pietas silvestri. Auch Wynnebald hatte die Geschichte einst so fasziniert, dass er sie den langen Weg von Rom bis nach Heidenheim mitgeführt hatte. Konstantin, ein Kaiser des alten Römerreiches, ward vom Aussatz befallen, doch anstatt die Hilfe der heidnischen Priester anzunehmen, ließ er Papst Silvester holen. Jener heilte ihn durch die Taufe. Sodann wollte Konstantin den Papst überhäufen mit Titeln, Würden und Ansprüchen. Silvester jedoch lehnte ab, denn die Kirche sei nicht interessiert an irdischen Gütern und irdischer Macht, sondern allein auf die kommende Gottesherrschaft ausgerichtet. Michal erkannte die Parabel auf ihr Leben: Sie hatte sich aus der Welt in das Kloster zurückgezogen, allen irdischen Prunk verschmähend, um nach Gottes Gesetzen zu leben. Und hatte nicht auch Jesus bei der dritten Versuchung durch den Teufel alle Reiche der Welt ausgeschlagen?
„Welch heilige Männer in Rom gewirkt haben!“, seufzte Michal und dachte dabei an Papst Silvester. Petrus und Paulus hatten dort den Märtyrertod erlitten, Willibald und Wynnebald waren dorthin gepilgert. Alle heiligen Männer zog es nach Rom! In ihr keimte der Wunsch auf, ebenfalls in die Heilige Stadt zu pilgern, doch schnell schalt sie sich eine Torin: Als gebrechliche Frau konnte sie sich nicht durch den Einsatz großer Kräfte hervortun. War es nicht dieses anmaßende Verhalten, dessentwegen ihr der heilige Schleier vorenthalten blieb?
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