Aber auch in dieser Situation kam es wieder ganz anders, als es die Regie vorsah. Die Gräfin Henrietta Godolphin, die 1733 verstarb, hatte Bedham in seiner Not geraten, den Araber nicht zu erschießen, sondern ihn und seinen Pfleger irgendwo zu verstecken und darüber Stillschweigen zu bewahren. Und wo das sein könnte, das wusste der Oberstallmeister bereits, bei seinem vom Grafen gefeuerten Vorgänger Everett Harley auf Wicken Fen im Moor …
Eine kleine Intrige startete auch den nächsten Akt. Godolphins Schwiegermutter, Sarah Churchill, Dutches of Marlborough, hatte beste Beziehungen zum Königshaus und sorgte dafür, dass ihr Schwiegersohn eine Einladung des pferdebesessenen Königs zu einer Yachtparty auf der Themse erhielt. Und natürlich war die alte Dame, die bis 1744 lebte, hinsichtlich „des Arabers“ dabei auch ein wenig indiskret, denn sie schien über Godolphins Stall nicht schlecht unterrichtet zu sein.
Und auf dieser Bootsfahrt musste Godolphin daher auch Farbe bekennen, denn König Georg der II. (aus dem deutschen Haus Hannover) trieb ihn, in Gegenwart von zwei anderen bekannten Züchtern, die keine Freunde Godolphins waren, in die Enge. „Sie haben doch einen Araber? Und wen melden Sie denn nun zu den Rennen? Diesen, oder läuft auch sein Sohn bei den Zweijährigen?“
Auf der Heimfahrt war Godolphin, dessen Pferde bei den letzten Frühjahrs- und Herbstrennen zu Newmarket versagt hatten, außer sich vor Wut. Man hatte ihn auf diesen Zweijährigen festgelegt, und er hatte auch noch zugesagt! Und wahrscheinlich lebt auch der verdammte Araber noch, der seine beste Stute, Roxana, missbrauchte, und damit seine züchterischen Pläne zerstört hatte …
Godolphins fuhr direkt zu seinem Oberstallmeister, der sich nicht nur jene Frage von seinem aufgebrachten Dienstherrn anhören musste, sondern ein „Erdbeben“ erlebte, als dieser erfuhr, wo sich El Sham, dessen Katze Moumou und Agba befanden. Charles Bedham blieb ganz ruhig, bat den Grafen in sein Wohnzimmer und öffnete eine Flasche Sherry. Und dabei erfuhr Godolphin, dass El Sham, der am Königshof inzwischen den Namen Godolphin Arabian bekommen hatte, weil niemand den richtigen kannte, in bester Verfassung sei. Auch die Frage des Grafen, „ob es denn überhaupt möglich sei, den dürren zweijährigen Gaul in Newmarket bei den Herbstrennen laufen zu lassen“, beantwortete der Oberstallmeisters äußerst gelassen: „Aber selbstverständlich, er ist in bester Form!“ Nur als Charles Betham den Vorschlag für den Reiter mit dem fünfzehnjährigen Stallburschen Jimmy Fenton formulierte, brauste Godolphin wieder auf: „Gut, es geht jetzt nach Ihnen, aber Sie ruinieren meinen Stall!“ Bedham blieb sanft und fügte lediglich an: „Der Junge hat ihn täglich geritten und kennt ihn genau. Und nach dem Sieg von Lath bin ich gern bereit, den Stall zu verlassen, wenn Sie das so wünschen“.
Lath gewann wie er wollte, der König kassierte eine hohe Wette, und der Graf holte alle aus dem Moor zurück. El Sham, der jetzt Godolphin Arabian genannt wurde, Agba, die Katze Moumou, und auch den alten Everett Harley, denn der hatte an dem damaligen Beinbruch einer Stute keinerlei Schuld gehabt. Godolphin Arabian bezog die Marmorboxe von Hotglobin und wurde 1734 Vater von Cade, der ebenfalls aus der Roxana stammte. Und dieser Cade zeugte an Matchem (1748) einen der drei Hengste, die zu Eckpfeilern der neuen Rasse wurden. Und bei Eclipse, der zu diesem Triumphirat zählt, erscheint der Hengst aus dem Sultanat Marokko als mütterlicher Großvater.
El Sham (Godolphin Arabian) mit seiner Katze Moumou (Repro nach einem Gemälde des englischen Pferdemalers Seymoor)
Von allen eingeführten Arabern und „östlichen Hengsten“ haben bis zum heutigen Tag lediglich drei Linien überlebt. Bekannt sind sie als die Eclipse, Matchem und Herod Hengstlinien, deren Ursprungs-Väter The Darley Arabian, The Godolphin Arabian und The Byerly Turk waren. Eclipse und Herod vertraten ihre männlichen Liniengründer bereits als Urur-Enkel, Matchem als Enkel.
The Darley Arabian, der ein wunderschönes Pferd gewesen sein soll, gilt auch in der Vollblutzucht als der gewaltigste Zuchthengst aller Zeiten. Er war ohnegleichen. Mit The Byerly Turk, der ihm vorausging, und The Godolphin Arabian, der ihm 25 Jahre später folgte, teilte sich dieses Trio Jahrzehnte lang den unermesslichen Einfluss, den es auf die gesamte Entwicklung der Vollblutzucht ausgeübt hat. Byerley Turks Sohn Jigg und Godolphin Arabians Sohn Cade setzten die Linien ihrer Väter fort, doch nahm ihr Einfluss im Laufe der Zeit ab, während Darley Arabian zum absoluten Triumphator wurde. Es war aber nicht sein ungeschlagener Sohn Highflyer, das beste Rennpferd seiner Zeit, der die Meile in einer Minute gelaufen sein soll, der dafür sorgte, sondern dessen rechter Bruder Bartletts Childers, der ebenfalls von Leonard Childers aus der Betty Leeds (Old Careless) gezogen war. Die Quelle, die bei seinem Vater entsprang wurde durch diesen Sohn, der nie eine Rennbahn betrat, zum mächtigsten aller Vollblutströme fortgeführt. Dieser gewaltige Vererber wird kaum erwähnt, und von ihm, so berichtet das Buch „Die Vollblutzucht der Welt“, ist nicht einmal seine Farbe bekannt. Über seinen Sohn Squirt, ein Fuchs, gab er die Gene an den braunen Enkel Marske weiter, der Vater des Giganten Eclipse wurde. Und dieser in 19 Rennen ungeschlagene Fuchs, dessen Mutter eine Enkelin von Godolphin Arabian war, häufte weiteren Rum für seinen Urur-Großvater an. An dessen Sohn Bartletts Childers erinnerte auch Englands Derbysieger von 1966, der 1976 nach Australien exportierte Charlottown (Charlottesville), dessen Vater und Mutter in ihren Linien zu ihm führen. Natürlich vertritt auch der „Jahrhundert-Hengst“ Northern Dancer (1961; Nearctic) die Hengstlinie von Darley Arabian. Und es war auch Northern Dancers Sohn Sadler’s Wells der Highflyers 13 Hengst-Championate mit 14 übertraf, ehe er sich 2012 mit 30 Jahren zu Coolmore in den Pferdehimmel verabschiedete.
Darley Arabian besitzt in anglo-irischen Pedigrees die Vorherrschaft und – in Gestalt von Derbysieger Whalebone (1807) und dessen Nachkommen – beherrscht er auch die namhaften nordamerikanischen Hengstlinien. Heute ist er in den Pedigrees aller Vollblüter der Welt am stärksten vertreten, und sein Blut zeigt unverminderte Lebenskraft. Er ist auch verantwortlich für die Hengstlinien von Blandford, Phalaris, Teddy, The Boss, Son-in-Low, Gainsboroug oder St. Simon.
Der Einfluss von Eclipse, ein Urur-Enkel von Darley Arabian, zeigt sich auch in den Hengslinien klassischer Sieger Amerikas sehr deutlich. Zwischen 1937 bis Ende 1981 war Eclipse, bis auf einen einzigen, der Vorfahre. Geboren wurde er im April 1764 während einer totalen Sonnenfinsternis, und seine 18 Starts gestaltete er zu Siegen. Aus jener Zeit wurde zwar der Spruch überliefert „Eclipse first, the rest nowher“, doch das traf nicht nur auf seine überlegenen Erfolge auf der Rennbahn zu, sondern auch auf seinen überwältigenden Zuchterfolg. Heute, in den Vollblütern unserer Zeit, gehen mehr als 90% auf diesen Hengst zurück, und der aktivste Einfluss erfolgte über Phalaris durch seine Söhne Pharos und Sickle. Und von diesen relativ jungen Familienmitglieder Eclipses bekamen die Amerikaner bis 1981 34 klassische Sieger. Pharos‘ Sohn Nearco sorgte für Nasrullah, Royal Charger, Mossborough und Nearctic, und jeder von ihnen wurde für einen klassischen Sieger verantwortlich. Und Nasrullah zeugte Bold Ruler, der in den 1970er Jahren hocherfolgreich war, an Secretariat einen Triple Crown-Sieger zeugte, und von einem weiteren, Seattle Slew, der Urgroßvater wurde. In den späten 1960er und 1970er Jahren kamen aus dieser unmittelbaren Umgebung acht klassische Sieger. Fünf der sieben klassischen Sieger, die zu Royal Charger zurückführten, wurden zwischen 1965 und 1972 geboren, während der Belmont-Sieger von 1980, Temperence Hill, schon ein Urur-Enkel war. Nearcos Sohn Nearctic schenkte der Welt einen Northern Dancer, doch dessen Produkte waren in Europa wesentlich besser aufgehoben als in den USA. Dennoch hatte er 1982 an Timely Writer und Hostage zwei Dreijährige in Amerika auf der Bahn, die zu Favoritenkreis des Derbys zählten. Ersterer gewann zwar vier Grade One-Rennen, aber kein Klassik, und im Jockey Club Gold Cup im Oktober brach er ein Bein. Ein ähnliches Schicksal traf auch Hostage, der als Mitfavorit eine Woche vor dem Derby in der Arbeit ein Bein brach, jedoch für die Zucht gerettet werden konnte. 1989 nach Brasilien exportiert zeugte er dort auch die erhofften klassischen Sieger.
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