Wie weitsichtig Weber – im »Kapitel Pfui« – den gesellschaftlichen Begleitumständen der Flatulenz zu Leibe rückt, zeigen seine Überlegungen zum Brummen der Winde: »Es gibt ganze, halbe und Vierteloctaven, wie bei der Leier Amphions, förmliche Ronladen, Läufe und Octaven, und die Feuerwerkerkunst mag auch daher ihre Kunstausdrücke genommen haben. Es läßt sich unstreitig eine Art Musik dabei denken, deren Vervollkommnung vielleicht den Musikern künftiger Zeiten vorbehalten ist. Die Verschiedenheit des Tons hängt von eines Jeden Organ, oder besser Caliber ab, so gut als die gröbere oder feinere Stimme der beiden Geschlechter von einem größeren und kleineren, weitern oder engern Luftröhrenknopf. […] Ein geschickter Musiker hat bereits beobachtet, daß sich zweiundsechzig verschiedene Töne herausbringen lassen.«53
Die von Karl Julius Weber erwähnten 62 Furztöne soll übrigens der Humanist, Arzt und Universalgelehrte Jerome Cardan (1501 – 1576) festgestellt haben – genauer: vier Grundtöne nebst 58 Variationen. Weber starb am 20. Juli 1832 in Kupferzell, wo er auch begraben liegt. Gut zwanzig Jahre später trat im Ratssaal von Pozega (im heutigen Kroatien) ein Mann öffentlich auf, der in der Kunst des musischen Furzens eine außerordentliche Fertigkeit erlangt und sogar die chrowotische Hymne aus seinem Allerwertesten ertönen lassen konnte. Der bis heute wohl unübertroffene Meister dieses Metiers hieß mit bürgerlichem Namen Joseph Pujol (1857 – 1945). Die Karriere des in Marseille aufgewachsenen Künstlers, der sich Le Pétomane nannte, begann in den 1880er Jahren, nachdem er intensiv trainiert hatte, mit den ihm leicht fallenden Blähungen Kerzen auszublasen und schließlich durch Modulation des Schließmuskels die Tonhöhe zu verändern. Als er sich auf die rektale Vertonung von Violinstücken, Gewittern und Kanonenschläge spezialisierte, rieten ihm Freunde 1887 zu öffentlichen Auftritten. Sie wurden ein voller Erfolg in vielen Städten Europas.
Internationalem Ruhm gewann der schnauzbärtige Le Pétomane, nachdem er 1892 vom legendären Pariser Moulin-Rouge engagiert worden war. Fortan gab der mit Frack und weißen Handschuhen ausstaffierte Künstler einen schier unglaublichen Anschauungsunterricht im Tabubruch des Furzens. Wenn Pujol sich feierlich verneigte, um dann französische Kinderlieder, die Marseillaise, den Radetzkymarsch, imitierte Tierstimmen und donnernde Kanonenschüsse aus seinem Hinterteil ertönen zu lassen, tobte das Publikum vor Begeisterung. Le Pétomane konnte das nur recht sein – seine Gagen waren schließlich deutlich höher als die der zu seiner Zeit berühmten Schauspieler.
Im September 1914 gab Le Pétomane seine Abschiedsaufführung. Als er 1945 im Alter von 88 Jahren starb, bot die medizinische Fakultät des Collège de Sorbonne den Hinterbliebenen 25 000 Francs, um die Leiche obduzieren zu können. Die Familie lehnte ab.54 Die Rektalphysiologie des einst weltberühmten Flatus-Künstlers blieb der Wissenschaft verschlossen. In der Folgezeit geriet die Kunst der Pétomanie ziemlich aus dem Fokus; in Deutschland meldete sie sich vernehmlich im August 1987 zurück, als in Hamburg der vom Aktionskünstler André Heller initiierte Vergnügungspark Luna Luna seine avantgardistischen Pforten öffnete. Dort lockte der »Palast der Winde«, in dessen Zuschauerraum bei den Vorstellungen der Radetzky-Marsch ertönte. Eine Zeitzeugin schildert, was bei ihrem Besuch im Palast geboten wurde:
»In der von Manfred Deix gestalteten Jahrmarktsbude betraten zwei Männer im Frack die Bühne und kündigten ihre Nummer an. Als sie sich umdrehten um hinter den Paravent zu gehen, sahen wir, dass der gesamte Bereich ihrer Gesäße vom Stoff ausgespart geblieben war. Erst jetzt begriffen wir, was ›Palast der Winde‹ bedeutete. Die beiden Männer pressten ihre Popos durch die Löcher und pupsten Beethovens 9., was man durch die Bewegungen ihrer Schließmuskel deutlich sehen konnte. Es war geruchsfrei und hat uns sehr amüsiert, andere Gäste aber waren sichtlich echauffiert und gingen vorzeitig.«55
Die Ansichten über das Furzen sind seit der Antike so vielfältig wie geteilt.56 Ich schätze das Bekenntnis von Karl Julius Weber: »Der Wind reinigt die Luft und den Dunstkreis, und so reinigen auch die Afterwinde den Körper, und wenn sie auch nicht laut genug ihre Verrichtung der Nase predigen, so hat mich schon oft ihre leise Musik in schlaflosen Nächten ergötzt.«57
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