Johann-Günther König
Das große Geschäft
Eine kleine Geschichte
der menschlichen Notdurft
In Erinnerung an Berit Grindberg Mai (1944 – 2014)
und Titus Wilhelm Mai (1941 – 2014).
Abbildungsnachweis:
S. 6 Bäuerlicher Sitzabtritt in Süddeutschland um 1625, Kupferstich von Matthäus Merian dem älteren
: Sitzabtritt 1635 aus Süddt. Dorflandschaft, Kupferstich von Matthäus Merian, mit freundlicher Genehmigung von Bodo Stratmann.
S. 69: Bildausschnitt aus der Faksimileausgabe der Ars memorativa des Filser Verlags, Augsburg 1925.
© 2015 zu Klampen Verlag • Röse 21 • 31832 Springe
www.zuklampen.de
Umschlaggestaltung: www.hildendesign.de
Umschlagabbildung: © HildenDesign
unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock.com
Satz: Melanie Beckmann
design-beckmann.de
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-86674-460-8
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.dnb.de› abrufbar.
Bäuerlicher Sitzabtritt in Süddeutschland um 1625,
Kupferstich von Matthäus Merian dem älteren
Cover
Titel Johann-Günther König Das große Geschäft Eine kleine Geschichte der menschlichen Notdurft
Impressum In Erinnerung an Berit Grindberg Mai (1944 – 2014) und Titus Wilhelm Mai (1941 – 2014). Abbildungsnachweis: S. 6 Bäuerlicher Sitzabtritt in Süddeutschland um 1625, Kupferstich von Matthäus Merian dem älteren : Sitzabtritt 1635 aus Süddt. Dorflandschaft, Kupferstich von Matthäus Merian, mit freundlicher Genehmigung von Bodo Stratmann. S. 69: Bildausschnitt aus der Faksimileausgabe der Ars memorativa des Filser Verlags, Augsburg 1925. © 2015 zu Klampen Verlag • Röse 21 • 31832 Springe www.zuklampen.de Umschlaggestaltung: www.hildendesign.de Umschlagabbildung: © HildenDesign unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock.com Satz: Melanie Beckmann design-beckmann.de 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016 ISBN 978-3-86674-460-8 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.dnb.de › abrufbar. Bäuerlicher Sitzabtritt in Süddeutschland um 1625, Kupferstich von Matthäus Merian dem älteren
Zu den Aborten
00 1 Tabu-Spülung
00 2 Tierisch menschlich
00 3 Vom Winde verweht
00 4 Kleine EnzyKLOpädie
00 5 Zivilisation im Seuchenherd
00 6 Gute Verrichtung?
00 7 Teutsch Unverblümtes vom französischen Hof
00 8 Stiller Ort ganz aufgeklärt
00 9 Wir beleidigen doch nicht Gott
WC 1 Die Erleichterung der Erleichterung
WC 2 Im Zeitalter des Welttoilettentags
Literatur
Nachweise
Danksagung
Fußnoten
Ich falle gleich mit der Tür ins Häusl: »Was natürlich ist, dessen hat man sich nicht zu schämen, sagte der Kerl und setzte einen Haufen auf den Markt.«I Um überleben zu können, muss Mensch essen und trinken. Was der Körper an Nahrung nicht verwerten kann, muss er allerdings auch wieder in die Umwelt abgeben, sonst wäre er nicht überlebensfähig, würde gleichsam platzen. Die Notdurft gehört wie die Ernährung zu den natürlichen Bedürfnissen, die ausschließlich aus unseren physischen Eigenschaften resultieren. Wie viele Säugetiere scheiden wir Menschen unsere Exkremente getrennt über das Harnorgan und den Darmausgang aus. Mittels der Miktion die flüssigen, mittels der Defäkation die festeren Bestandteile sowie ein gewisses Gasvolumen. Anders als beim Kerl im obigen Beispielsprichwort dient der Marktplatz allerdings üblicherweise nicht als Stätte der natürlichen Erleichterung; sitzt bei der konkreten Praktik wohl nicht nur mir die Scham im Nacken.
Für die Erleichterung muss das Gesellschaftstier Homo sapiens seit seinem ersten Weltendasein zwangsläufig täglich eine gewisse Zeit aufwenden. Immerhin verbringen Frauen heute durchschnittlich täglich achtzehn und Männer sechzehn Minuten auf dem Klo. Ab dem Kleinkindalter muss ein jeder Mensch eine eigenständige Verrichtungspraktik entwickeln, die unter den jeweils historisch und örtlich gegebenen Bedingungen von den Mitmenschen toleriert bzw. akzeptiert wird. Möglicher Ekel vor den eigenen Ausscheidungen und/oder denen von anderen resultiert auch aus Sozialisierungspraktiken. Und Gesellschaft entsteht nicht zuletzt dadurch, dass passable Lösungen für den Umgang mit den Körperausscheidungen gefunden werden.1
Einer der vielen in den mit WC, D, H oder 00 gekennzeichneten Räumlichkeiten hinterlassenen Sprüche verheißt: »Der wichtigste und schönste Ort auf Erden ist stets der Abort.« Allerdings gibt es auch an Wände gekritzelte Bekenntnisse, die das wieder in Frage stellen: »Gegen den Gestank hier ist meine Scheiße das reinste 4711 .« Das ziemlich digital anmutende Hinweisschild 00 kam übrigens im späten 19. Jahrhundert auf, als in größeren Hotels auf jeder Etage zusätzlich ein separates heimliches Gemach eingerichtet wurde. Die Klosetts erhielten die Doppelnullnummer, damit sie nicht mit den Gästezimmern verwechselt werden konnten.
Der menschliche Umgang mit der Notdurft hat eine Geschichte. Er spiegelt die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsschritte von Gesellschaften. Um sie nachvollziehen zu können, reicht es meines Erachtens nicht, nur die Entwicklung des Ortes der Notwendigkeit an sich, den locus necessitatis , sowie die damit verbundenen festen und mobilen Erzeugnisse wie etwa Latrinen, Nachttöpfe, Bettpfannen, Leibstühle und Klosetts oder auch die Sickergruben, Abtransport- und schließlich Abwassersysteme unter die Lupe zu nehmen. Wesentlich aufschlussreicher sind, jedenfalls im Prinzip, die schriftlich überlieferten Schilderungen und Augenzeugenberichte, die über menschliche Gewohnheiten und Rituale mehr oder weniger ehrlich Auskunft geben. Wie heißt es nicht in einem Reim: »Meine Herren und Damen / machen Sie nicht auf den Rahmen / machen Sie in die Mitte / das ist deutsche Sitte.« Mir geht es weder um eine bereits vielfältig – sogar »gelehrt« – dargelegte europäische Geschichte der Scheiße, noch um eine – bislang allerdings nur rudimentär ausgelotete – Geschichte der Pisse. Auch geht es mir nicht um eine bloße Neufassung bereits vorliegender Kulturgeschichten des Aborts oder auch WCs.IIKennzeichnend für viele dieser Publikationen – und ihrer vielfältigen Kurzfassungen im Internet – ist das Schlagen eines Bogens vom Altertum bis heute. Geschildert wird ein Ablauf, der mit einem vermeintlichen sanitären Fortschritt in der Antike anhebt, dann einen langwährenden Rückschritt und elenden Stillstand bis in das 19. Jahrhundert hinein schildert, um ab dem 20. Jahrhundert endlich wieder einen, diesmal hygienischen und sanitären, Fortschritt zu konstatieren. Die Menschen selbst geraten dabei freilich mehr oder weniger aus dem Blick.
In diesem Buch versuche ich zu erhellen, wie sich der menschliche Umgang mit der Notdurft im zentraleuropäischen (insbesondere deutschsprachigen) Raum seit der Ansiedelung von ersten Abkömmlingen der Gattung Homo sapiens bis in dieses frühe 21. Jahrhundert entfaltete. So etwas wie historische Wahrheit kann es für einen Großteil der von mir abgedeckten Zeitspanne allerdings nicht geben. Die Skizzierung der Alltagsgeschichte der Notdurftbefriedigung ist schon deshalb keine leichte Verrichtung, weil es für einen langen Zeitraum keine oder nur spärliche Spuren gibt. Von dem Problem nicht überlieferter Mündlichkeit bzw. nonverbaler Erfahrungen gar nicht zu reden, das eine erdrückende Mehrheit unserer Vorfahren quasi für immer stumm hält. Viele der von Mitgliedern der Höfe, Handelshäuser, Intelligenz, Kunst und der Kirche erhalten gebliebenen Zeugnisse sind zudem parteiisch und nicht selten satirisch überzogen (teils auch erstunken und erlogen). Im Zweifelsfall gilt insbesondere für die Praktiken der Defäkation und/oder Miktion die Erkenntnis: De normalibus non in actis. Das Selbstverständliche ist nicht überlieferungsfähig.
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