A. J. Winkler
Das große Bumsfallera
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Inhaltsverzeichnis
Titel A. J. Winkler Das große Bumsfallera Dieses ebook wurde erstellt bei
Das große Bumsfallera Das große Bumsfallera
1. September
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11. September
Impressum neobooks
Das große Bumsfallera
“ Man müsste in die Vergangenheit reisen können!” seufzte Christian Fink, der gerade zu Bett gehen wollte, als sich jemand an seinem Türschloss zu schaffen machte. Er erschrak, denn weder erwartete er Besuch, noch würde sich jemand aus seinem Freundes- oder Bekanntenkreis ausgerechnet um Mitternacht zu solch einem Scherz hinreißen lassen; nicht seine Freundin, die nämlich einen Schlüssel besaß und überdies auf einem Selbstfindungstrip in Indien unterwegs war, und schon gar keiner seiner Berufskollegen und Freunde, die für makabre Späße zu seriös und vielleicht auch ein bisschen zu alt waren: es musste sich also aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Einbrecher handeln, und irgend jemand hatte wieder die Haustür offen gelassen; ein Ärgernis, über das es in diesem behäbigen Altbau schon einige Male zum Streit gekommen war –musste doch eine offene mitternächtliche Haustür in dieser guten Wilmersdorfer Gegend geradezu eine Einladung für alle möglichen finsteren Gesellen sein. Und nun hatte sich einer dieser finsteren Gesellen die zwei Stockwerke hoch geschlichen und bearbeitete Christians Türschloss. Fast hatte dieser es erwartet, dass es irgendwann einmal so weit kommen würde.
Er stand auf und überlegte, ob er irgendeine Waffe besäße, um sich gegen den Eindringling zu verteidigen. Die Not lenkte seinen Blick auf einen dolchähnlichen Brieföffner, den er von seinem Designerglastisch aufhob und fest in seine rechte Hand krallte. Er bewegte sich schleichend zur Tür, fest entschlossen, sein Hab und Gut zu verteidigen, und er ärgerte sich darüber, auf solch unsanfte Art und Weise aus seinen Science-Fiction-Träumen gerissen zu werden; noch zwei Minuten zuvor hatte er auf der Couch halb gelegen, halb gesessen, ein Buch zur Hand, von dem seine Gedanken jedoch mit der Zeit mehr und mehr abgeschweift waren in die unschuldigen Welten der reinen Phantasie; und sein Hirn hatte die unbekannten Landschaften der Vergangenheit durchstreift, die zu besuchen nicht nur Christian, sondern auch dem Rest der Menschheit auf Ewigkeit verwehrt bleiben würde. Was er sehr bedauerte. Denn er wäre gerne einmal, und sei es nur für einen Tag, ins alte Rom gereist, oder vielleicht in die Renaissance, oder ins London des Fin-de-siècle , nur als Beispiele für die vielfältigen Interessen des noch jungen Architekten. Doch er war jäh herausgerissen worden aus der Träumerei, und dieser Verbrecher vor der Tür holte ihn abrupt und ungnädig in die Realität zurück. Allerdings muss man sagen, dass der Einbrecher, wenn es denn einer war, sich ziemlich dumm anstellte und von seinem Handwerk wenig zu verstehen schien. Er brachte die Tür nämlich nicht auf und schien von seinem Tun abzulassen. Christian hielt den Atem an, als von der anderen Seite der Tür plötzlich kein Geräusch mehr wahrzunehmen war.
Natürlich wäre es auch denkbar, folgerte Christian bei sich, dass er mich gehört hat und nun ins Stocken geraten ist... ...doch da ging es wieder los, ein Geräusch, ähnlich jenem, das beim Suchen nach dem richtigen Schlüssel an einem viel zu großen Schlüsselbund entsteht. Christian stand in Lauerstellung hinter der Tür und fasste plötzlich den Entschluss, sich diese Gestalt mal näher anzusehen; die Glücklosigkeit des mutmaßlichen Verbrechers ließ sein Selbstbewusstsein in die Höhe schnellen und erweckte in ihm das Verlangen, den Dieb kennenzulernen... Er drehte blitzschnell den von innen steckenden Schlüssel herum und riss die Tür auf –und größer hätte sein Erstaunen nicht sein können, selbst wenn seine tote Großmutter dort gestanden hätte: im trüben Licht erblickte er einen ebenso überraschten, stattlichen Herrn, der so gar nichts von einem Verbrecher an sich zu haben schien, eher schon wie ein Verrückter oder gar ein passionierter Karnevalist aussah: ein markiger Quadratschädel saß auf einem feisten, massigen Körper, der in einem wohlgenährten Spitzbauch zulief; in der einen Hand hielt er tatsächlich einen Schlüsselbund, in der anderen einen Spazierstock und einen rundlichen Hut; über den angewinkelten Arm hatte er einen Mantel geschlagen; mehr war in der schummerigen Beleuchtung auch nicht auszumachen.
“Wer sind Sie?” fragten beide gleichzeitig.
“Was wollen Sie in meiner Wohnung?” ergänzte Christian.
“Es wäre freundlich von Ihnen, das Messer wegzulegen, und mich in meine Wohnung zu lassen,” sagte der andere mit fester, sonorer Stimme.
“Ich hab mich wohl verhört,” hakte Christian nach, ein bisschen verdattert über die Dreistigkeit des anderen.
“Nein, nein, Ihre Ohren sind in Ordnung. Ich schätze mal, Sie wohnen jetzt hier –da liege ich wohl richtig, nicht wahr?” konstatierte der andere, und ohne eine Antwort auf die ohnehin überflüssige Frage abzuwarten, redete er direkt weiter: “ Nun ja, ich hätte wohl kaum erwarten dürfen, dass in dieser Zeit ausgerechnet diese schöne Wohnung nicht vermietet ist. Oder gehört sie Ihnen gar?”
Christian stutzte und zog die Augenbrauen zusammen, was er immer tat, wenn er nur noch Bahnhof verstand. Er wusste nicht genau, wie er nun reagieren sollte, und schwankte unschlüssig zwischen einem lauten Rauswurf und der Kapitulation vor dem Verwunderlichen.
Der andere lächelte durch das Dunkel und schien solche Auftritte zu lieben. Er senkte Christians bewaffneten Arm und schob sich an ihm vorbei in dessen Wohnung. Christian war also einmal mehr die Entscheidung abgenommen worden; und als er dies schließlich vollkommen verdutzt bemerkte, stand der andere Mensch schon mitten in seinem Wohnzimmer. Er war nun besser zu betrachten. Seine schütteren grauen Haare lagen in vollkommener Anarchie auf diesem festen, großen Kopf; das etwas fahle, von einem Kneifer verunzierte Gesicht lief in einen hellgrauen Spitzbart aus, der so wirkte, als habe er schon bessere Zeiten gesehen.
Er trug eine völlig altmodische dunkle Weste, die sich notgedrungen über seine durchaus stattliche Figur spannte, darunter ein kaum zu bemerkendes Hemd, eine seltsame Art Pumphosen –wie sonst könnte man diesem Kleidungsstück gerecht werden –und tiefschwarze, allerdings nicht mehr glänzende Lackschuhe. Die Erscheinung war majestätisch, und er wirkte selbstsicher wie jemand, der gerade eine Großtat vollbracht hat. Seiner Kleidung war anzumerken, dass er entweder ein totaler Exzentriker war oder den Verstand verloren haben musste.
“Also Moment mal,” meinte jetzt der überrumpelte Christian, “wer sind Sie und was soll das hier?”
“Ich nehme an, Sie sind davon ausgegangen, ich sei ein Einbrecher? Das sehe ich natürlich an Ihrem seltsamen Messer. Nun, ich kann Sie beruhigen, ich bin kein Krimineller und habe höchsten Respekt vor dem Eigentum anderer Leute; ich denke also überhaupt nicht daran, Ihre Wohnung auszuräumen, als welche Sie dieses Schmuckstück hier bezeichnen werden... im übrigen wüsste ich ja gar nicht, wieso um alles in der Welt ich in mein eigenes Heim einbrechen sollte, um was es sich hier schließlich auch handelt, nebbich. Beziehungsweise handelte. Nun, ich sehe Ihnen die Überraschung an, daher gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Professor Julius Gerhard Friedrich Wittmann; ich lehre Physik an der Humboldt-Universität zu Berlin, und ich würde gerne von Ihnen wissen, welches Datum wir haben.”
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