Nach dieser langen Zeit der Besichtigungen mache ich in der Alfama eine Kaffeepause, kann mich für 2,50 € sehr preiswert mit Kaffee und Kuchen stärken. Ich raste und genieße den Ausblick auf die einheimischen Bewohner der Stadt, auf die Touristen, die meist an ihren Kameras zu erkennen sind. Meine Lebenskräfte erholen sich zusehends, ich lasse mir Zeit und genieße auch die wenigen Sonnenstrahlen, die mich heute an einem warmen Tag bei bewölktem Himmel auf einmal verwöhnen. Es ist mir klar, dass ich an diesem einen Tag in einer riesigen Großstadt nur einen Eindruck von allem Sehenswerten bekommen kann, aber niemals alles, was sehenswert wäre, besichtigen kann. Zudem war ich bereits auf einer meiner anderen Reisen in Lissabon, so dass ich einiges bereits kenne. 3Zwar bedaure ich, dass ich auch dieses Mal wieder nicht den Belem Turm sehen kann, der jedes nach Lissabon einfahrende Schiff willkommen heißt. Jedoch ist mir klar, dass ich mit meinen Kräften haushalten muss, denn ich bin nicht auf Sightseeingtour, sondern auf Pilgerreise. Demnach sitze ich also und genieße und versuche, auf meiner Reise anzukommen, mich auf meine morgen beginnende Pilgerreise einzustellen.
Nach der Pause entscheide ich mich, am Tejo entlangzulaufen, um zum Museum für Azulejos, den für Portugal so typischen Keramikfliesen, in der Rua de Madre de Deus Nr.5 zu gelangen. Die Azulejos kommen ursprünglich aus dem persischen Raum, erreichten aber im Mittelalter durch die Maurenherrschaft die iberische Halbinsel. Azulejos sind Keramikfliesen, traditionell meist vierzehn mal vierzehn Zentimeter groß, die bunt bemalt und mit einer Glasur versehen werden, so dass sie wetterfest sind und vielfach an öffentlichen Gebäuden wie Monumenten, Kirchen und Hausfassaden angebracht werden. Besonders auf Innenwänden werden die Azulejos häufig zu künstlerischen Wandbildern mit Blumen-, Vogel- oder anderen Naturmotiven zusammengefügt. Hier finden sich besonders orientalische Besonderheiten aus der Zeit der Maurenherrschaft wieder.
Ich laufe gut eine Stunde, bis ich das Museum mit mehrmaligem Nachfragen finde. Die warme Sonne scheint mir auf den Rücken und ich genieße dieses Lauftraining, nachdem ich in den letzten Tagen meiner Anreise so viel sitzen musste. Zudem sollte ich für den Beginn meiner Pilgerwanderung im Training bleiben. Schließlich erreiche ich das Museum, zahle meine 5,00 € Eintritt und kann dann auf zwei Etagen im Außenrundgang traditionelle Muster und Bildmotive in vielen Farben und Kombinationen bewundern. Vielfach wirken diese Bildmotive aus Kacheln auf mich wie gemalte Wandbilder und ich bin über die Vielfalt der floralen Motive, der Tier- und Naturmotive in vielen Farben und auch in blau-weiß erstaunt.
Nach zwei Stunden habe ich alles gesehen und brauche erneut eine Rast, die ich in einem Café im Museum bekomme. Hier sitze ich, herrlich von Pflanzen umgrünt, und stärke mich mit Brot, Butter und Oliven für einen freundschaftlichen Preis. Neben mir sitzend, treffe ich auf die ersten Pilger, einem Paar aus der Schweiz, das bereits seit zwei Tagen in Lissabon weilt. Ina und Tom sind jünger als ich, mir sehr sympathisch und ich genieße es, ein Gespräch mit ihnen zu führen. Beide erzählen, dass sie in zwei Tagen auf dem Caminho Portugues starten wollen. Wir lachen viel zusammen und ich freue mich über die ungezwungene, lustige Art, in der meine neuen Pilgerbekannten über ihren Reisestart sprechen. Demnach vergeht die Zeit wie im Fluge und wir entscheiden uns, zusammen den Bus zurück in die Altstadt zu nehmen und den Abend heute gemeinsam in einem der Fadolokale zu verbringen. Wir laufen durch die vollen Straßen und suchen nach einem Lokal, in dem man einen bezahlbaren Abend verbringen kann.
Schließlich finden wir etwas abseits gelegen ein gemütliches Lokal, in dem wir noch draußen sitzen können. Ein Gitarrenspieler stimmt uns, während wir unser Essen bestellen, auf diese für Lissabon typische Musik ein. Ich genieße die Atmosphäre des lauen Abends, die Musik, die Gespräche mit meinen neuen Bekannten. Schließlich, als wir unser Fischgericht gerade serviert bekommen, kommen die eigentlichen Sänger, ein portugiesisches Paar, dazu und übernehmen die weitere Gestaltung des Abends. Ich höre wie gebannt zu, vergesse bisweilen Zeit und Raum. In Portugal sagt man, dass Fado die Sucht nach der Sehnsucht sei. Das kann ich gut verstehen, denn bei diesen sehr gefühlvollen Klängen schwingt auch meine Seele mit.
Bei zunehmender Dunkelheit wird es kühl, aber wir können uns wegen der ergreifenden Musik nicht entscheiden, zu unserer Unterkunft zu gehen. Demnach ist es fast 23 Uhr, als wir uns trennen, beseelt von der Musik, in der Hoffnung, dass wir uns eventuell auf dem Camino irgendwann irgendwo treffen werden. Keiner weiß es zurzeit so genau.
Zu dieser Zeit sind die Straßen noch immer voller Menschen, überall erklingt verschiedenartige Musik aus den Restaurants, als ich zu meinem Quartier laufe, welches ich nach gut zwanzig Minuten erreiche. Ich bin aufgeregt, aufgedreht, voll von den Eindrücken des heutigen Tages. Und doch, ich schlafe voller Vorfreude sehr schnell ein, denn die zu Fuß zurück gelegten Strecken und der vino tinto vom Alentejo haben mich sehr müde gemacht.
Und morgen früh beginnt das Abenteuer, ich starte – einen Tag später als geplant – auf dem Caminho Portugues.
4. Tag: 27.5.2012, Lissabon – Alverca de Rabatejo (20 km und mehr)
Um sieben Uhr laufe ich los, finde schräg gegenüber von meinem Quartier die U-Bahnstation Terreiro do Paco , um von dort aus mit der azul metro bis zur Station Oriente zu fahren. Auf dieser Strecke muss ich dreimal umsteigen, finde mich aber sehr schnell zurecht, da es in Lissabon vier verschiedene U-Bahnlinien in den Farben rot, blau, grün und gelb gibt, so dass man in den aushängenden Plänen die Namen der Orte gut lesen kann und durch die farbige Kennzeichnung der Bahnen die Richtung gut verfolgen kann. Meine Fahrkarte für fünf Euro habe ich mir gestern schon geholt. Diese gilt als Tageskarte für 24 Stunden, so dass ich sie heute Morgen noch benutzen kann.
Heute scheint die Sonne und der Himmel ist strahlend blau, als ich an meinem Zielort Oriente aussteige. Dieses erste Teilstück meiner Strecke auf dem Caminho wollte ich mit der U-Bahn fahren, um so nicht durch die Innenstadt Lissabons laufen zu müssen. Demnach gehe ich als allererstes am centre commercial Vasco da Gama vorbei, welches jedoch heute am Sonntag leider geschlossen ist. Also gibt es für mich zu dieser Zeit kein Frühstück!
Ich wende mich nach links und laufe am Ufer des Tejo entlang. Die Sonnenstrahlen glitzern im Wasser des Tejo, es ist angenehm warm und ich fühle mich glücklich, zufrieden und entspannt. Was für ein wundervoller Tag, um auf Pilgerreise zu gehen! Am Ufer des Flusses ist wenig Betrieb, einige sportliche Portugiesen gehen ihren Ambitionen nach und joggen am Ufer des Flusses oder führen ihre Hunde aus. Für alles Andere, Freizeitaktivitäten mit der Familie, ist es offensichtlich noch viel zu früh. So führt mich mein Weg für lange Zeit an der Promenade entlang.
Nach kurzer Zeit sehe ich sie, die Brücke Ponte de Vasco da Gama. Diese Brücke wurde nach dem portugiesischen Seefahrer Vasco da Gama benannt und soll an die 500jährige Entdeckung des Seeweges nach Indien 1498 erinnern. Mit gut siebzehn Kilometern ist sie eine der längsten Brücken der Welt, auf jeden Fall die längste in Europa, und wurde zur Expo 1998 fertig gestellt. Das ist auf jeden Fall ein sehenswertes Monument. Hier nun in Höhe der Brücke finde ich die erste Auszeichnung meines Weges, des Caminho Portugues: Der gelbe Pfeil steht für den Caminho Portugues und der blaue Pfeil zeichnet den Weg nach Fatima aus. Beide Wege verlaufen jedoch bis Fatima auf gleichem Gebiet. Ich bin sehr glücklich und zufrieden, dass ich mit Hilfe meines Reiseführers den Einstieg in den Camino gefunden habe und mich nun beim weiteren Gehen nach den Pfeilen als Wegmarkierung richten kann.
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