»Wie könnte ich«, antwortete seine Mutter und fügte hinzu, dass sie ja viel zu schwer für sie sei, um sie auf den Arm nehmen zu wollen.
»Papperlapapp. Reden Sie nicht so einen Unsinn. Wo ist Ihr Sohn?
Vielleicht kann er mir ja erklären, wie das Ei auf meinem Kopf landen konnte.«
Moritz’ Mutter wurde nachdenklich. »Wollen Sie etwa damit sagen, dass er … ach, das glaube ich nicht.«
»Wer soll es denn sonst gewesen sein? Er ist das einzige Kind im Haus oder glauben Sie, dass jemand von den Älteren so etwas macht?«
Die Mutter von Moritz zog die Stirn in Falten. Sie erinnerte sich, wie schnell er wieder in seinem Zimmer verschwunden war.
»Ich werde ihn holen gehen. Warten Sie hier«, sagte sie schließlich und die Unterhaltung brach ab.
In Moritz kamen Ahnungen auf, die nichts Gutes bedeuteten. Er lief rückwärts in die Mitte seines Zimmers und trat dabei den Turm um.
Der zerfiel in viele Einzelteile und Moritz würdigte ihn nur eines kurzen Blickes.
Moritz’ Mutter klopfte gar nicht erst, sondern betrat das Zimmer ohne Umschweife, sah ihn auf dem Teppich stehen, wie er sie mit offenem Mund ansah, und sagte in einem ruhigen aber ernsthaften Tonfall: »Komm mal her!«
Zögernd ging Moritz auf sie zu und blickte in ein fragendes Gesicht, dessen vertraute Augen nach Antworten suchten.
»Was hast du in der Zeit gemacht«, begann seine Mutter und strich sich die langen, weichen Haare zurück, »in der du draußen warst?«
Sie machte eine kleine Pause, holte Luft und sagte weiter: »Frau Müller ist hier mit einem … na, am besten, du siehst dir das selber an.«
Obwohl Moritz keine Lust dazu hatte, musste er mit an die Tür.
Dann sah er Frau Müller im Treppenhaus stehen, in ihren viel zu weiten Sachen, die dunkel und ganz bestimmt längst aus der Mode waren. Mit einer Hand stützte sie sich auf einen hölzernen Gehstock und starrte Moritz durch eine Brille mit kleinen runden Gläsern finster an. Ihr Mund war zusammengepresst und ihre Wangenknochen bewegten sich.
»Das hast du doch fertig gebracht!«, sagte sie mit ihrer rauen Sandpapierstimme und machte Moritz mit einem Nicken klar, um was es ihr ging.
Das Eigelb hing auf ihrem Kopf wie eine runde Krone und das Eiweiß hatte sich in ihren Haaren verfangen.
Moritz zuckte nur mit den Schultern.
»Natürlich warst du das, tu nicht so, als wüsstest du von nichts«, blaffte Frau Müller ihn an.
Moritz’ Mutter sah ihn streng an und wandte sich dann an Frau Müller. Sie schlug ihr vor, den Verdacht einer Überprüfung zu unterziehen.
»Machen Sie das, machen Sie das«, fuhr Frau Müller sie an.
Daraufhin gingen Moritz und seine Mutter in die Küche. Dort lehnte er sich entspannt gegen die Wand und ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden. Der Überprüfung konnte er gelassen entgegensehen.
Als seine Mutter die Tür des Kühlschranks öffnete und von dem Licht im Inneren angestrahlt wurde, da strahlte auch Moritz über beide Ohren.
Doch der tiefe Augenaufschlag, den seine Mutter machte, riss ihm das Lächeln regelrecht aus dem Gesicht.
Mit einem Mal wurde er nervös. Was war los? Warum guckte sie so eigenartig?
Sie winkte Moritz zu sich. »Ich denke, du solltest mal einen Blick hier rein werfen, damit du mir glaubst.«
Moritz runzelte die Stirn und wäre lieber an der Wand stehen geblieben, aber er tat was sie sagte, und wie er hineinsah, bekam er große staunende Augen – es fehlte ein Ei . Aber wie konnte das denn möglich sein? Wie konnte das Ei aus dem Kühlschrank verschwinden? Ihm wurde heiß im Kopf und flau im Magen.
»Vielleicht kannst du mir ja erklären«, sagte seine Mutter leise, »wie es kommt, dass hier ein Ei fehlt, ohne Frau Müller da mit reinzuziehen.«
Moritz blickte noch immer in den Kühlschrank. Er hatte seine Mutter sehr wohl verstanden, aber was sollte er ihr sagen? Vielleicht die Wahrheit? Aber er schüttelte nur den Kopf.
»Also was ist nun, ich kann nicht ewig warten«, tönte Frau Müller im Treppenhaus ungeduldig dazwischen.
»Das besprechen wir nachher mein Großer«, sagte Moritz’ Mutter und verließ die Küche.
Und während sie wieder zur Tür lief, schloss Moritz den Kühlschrank. Das ging eindeutig nicht mit rechten Dingen zu.
»Kommst du bitte, Moritz?«
Moritz ließ sich Zeit, viel Zeit. Mit ernster Miene sah seine Mutter ihn an, als er lustlos angeschlendert kam. »Du entschuldigst dich bitte bei Frau Müller«, sagte sie mit verschränkten Armen.
»Aber, Mum, ich –«
»Nix da! Du wirst dich sofort bei ihr entschuldigen.«
»Och Mann!«
»Los jetzt! Keine Widerrede!«
Moritz verdrehte die Augen. So sehr sich auch alles in ihm sträubte, kam er nicht drum herum, sich bei dieser Frau zu entschuldigen. Er streckte ihr seine Hand entgegen und glaubte, dass es gleich vorbei sein würde. Allerdings, der erwartete Handschlag blieb aus. Das Ganze scheiterte einzig und allein an Frau Müller. Die sah ihn mit ihren dunkeln Augen an und rührte sich nicht. Stützte sich mit der einen Hand auf ihren Gehstock und die andere blieb irgendwo in ihren Sachen verborgen. Offenbar hatte sie keine Lust, sich mit einer einfachen Entschuldigung abspeisen zu lassen. Sie rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. Dabei rutschte das Eigelb hin und her, blieb aber weiterhin auf und in den mausgrauen, langen, nach hinten gebundenen Haaren kleben.
»Seit ich hier einziehen musste«, begann sie sich mit einmal zu beschweren, »ist im Haus schon einiges passiert. Erst landet ein Haufen Tomaten auf dem Autodach des Herrn Schimmelweiß, dann fliegt ein Schneeball durch das Fenster bei den Meiers und jetzt ein Ei auf meinem Kopf. Haben Sie wirklich ernsthaft geglaubt, dass ich mich mit einer kleinen Entschuldigung zufrieden geben würde?«
Moritz’ Mutter zuckte die Schultern. »Was wollen Sie dann?«
Frau Müller sah Moritz mit funkelnden Augen an. »Er kann mir helfen«, sagte sie schließlich.
Moritz blickte zu seiner Mutter auf. Bei was , schien sein Blick zu fragen.
»Und weiter?«, wollte sie von der Frau wissen.
Die dachte einen Moment lang nach, ehe sie sagte: »Ich habe hier in der Nähe einen Garten. Ich bräuchte etwas Hilfe bei der Pflege.
Wenn ihr Sohn«, sie sah jetzt wieder zu Moritz, »mir bei einigen Sachen zur Hand geht, werde ich über die Sache mit dem Ei hinwegsehen. Und auch über die anderen Dinge, die er sich geleistet hat.«
»Hä? Ich … «, wollte Moritz ansetzen, schluckte jedoch den Rest seines Satzes hinunter. Dass er das mit dem Schneeball und den Tomaten ganz bestimmt nicht war, hätte er ihr sagen können. Das aber verdrückte er sich – man verrät ja seine Freunde nicht.
Seine Mutter stand noch immer mit verschränkten Armen da und schien zu überlegen. »Wo ist denn dieser Garten?«, fragte sie Frau Müller und neigte den Kopf leicht zur Seite.
Erneut zögerte Frau Müller, als müsste sie sich erst einmal mit ihren Gedanken einig werden. »In der Nähe des Auenwaldes«, drückte sie schließlich kaum verständlich durch die Zähne. Offenbar war sie nur widerwillig bereit, das Rätsel zu entlüften.
»Bitte wo?«, wollte sie nochmals wissen und erwartete, dass sie das Puzzleteil aufdeckte. »Geht das nicht ein bisschen genauer?«
»Er wird den Weg ganz sicher finden. Dafür werde ich schon sorgen.« Jetzt bekam ihre Stimme einen ungewohnten weichen Klang.
Davon aber ließ sich Moritz’ Mutter nicht beeindrucken. Abschätzig schüttelte sie den Kopf. Das war ihr eindeutig zu wenig.
»Wenn ich nicht genau weiß, wo mein Sohn sich aufhält, werde ich ihn nirgendwo hinschicken!«
»Wie ich bereits sagte, er wird den Weg sicher finden. Und mehr als Unkraut ziehen und einige Heilkräuter anpflanzen wird nicht nötig sein.« Mit einem durchdringenden Blick sah Frau Müller die Mutter von Moritz an, auf das jeder weitere Einwand in ihr verstummen sollte.
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