Paul Klees Lehr- und Wanderjahre bis zum Entstehen, zum Ursprung seiner Meisterschaft.
zum 75 Todesjahr (* 18. Dezember 1879, † 29. Juni 1940)
Paul Klee begann vor ungefähr 110 Jahren, als gut 20-jähriger, seinen Lebenslauf in Notizhefte aufzuschreiben. Kindheit und Jugend beschrieb er auszugsweise aus der Erinnerung. In die vier Notizhefte, Klee nannte sie Tagebücher, schrieb er regelmässig bis vor Weihnachten 1918, kurz vor Beendigung des ersten Weltkrieges. Er verfasste die einzelnen Episoden in Abschnitten, nummerisch von 1-1134. Erst das sehr gründliche Lesen und Überdenken der schriftlichen Aufzeichnungen, erkennt den bekennenden Charakter und den Grund, warum sein Wunsch, sich zu offenbaren entstand. Der Grund liegt in seinen Erlebnissen, einem Vorfall, der Klees Persönlichkeit widersprach und sein seelisches Gleichgewicht in arge Bedrängung brachte. Die Einsicht vom richtigen Weg abgekommen zu sein, bewog ihn dazu, methodisch in geheimnisvoller Weise alles seinem Tagebuch anzuvertrauen. Die Geschehnisse der Jahre 1899-1906 und deren Lehren daraus wurden zur Basis seines künftigen Lebens und seines künstlerischen Schaffens. Das Buch bringt Schrift und Bild aufklärend zusammen, zu einem einzigartigen Gesamtwerk, einer alles umfassenden Autobiographie.
Der Leser darf gespannt sein und sich freuen.
(Titel)bild (Abb.Originalgrösse) Paul Klee, „ein Auge welch es sieht das andre welch es fühlt“ 1914 .100. 11,7 x 8 cm, Otto und Etta Stengel, München. Von der Heydt-Museum, Wuppertal
URG ProLitteris, CH-Zürich
© 2015 UPM Basel, Jeannine und Andreas Max Allemann-Fitzi, Co-Autorin, Autor und Herausgeber.
ISBN 978-3-7375-6646-9
Für Jeannine
Zitat: P. Klee in „Schöpferische Konfession“ 1920 VII 1
„Kunst verhält sich zur Schöpfung gleichnisartig. Sie ist jeweils ein Beispiel, ähnlich wie das Irdische ein kosmisches Beispiel ist. Die Freimachung der Elemente, ihre Gruppierung zu zusammengesetzten Unterabteilungen, die Zergliederung und der Wiederaufbau zum Ganzen auf mehreren Seiten zugleich, bildnerische Polyphonie, die Herstellung der Ruhe durch Bewegungsausgleich, all dies sind hohe Formfragen, ausschlaggebend für die formale Weisheit, aber noch nicht Kunst.
Im obersten Kreis steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis und das Licht des Intellekts erlischt kläglich“
Das Buch wird die „hohen Formfragen“ am Beispiel des (Titel)bildes erkennen und ins „Licht des Intellekts“ stellen.
1 Zitat: P. Klee in „Schöpferische Konfession“ 1920 VII 1 „Kunst verhält sich zur Schöpfung gleichnisartig. Sie ist jeweils ein Beispiel, ähnlich wie das Irdische ein kosmisches Beispiel ist. Die Freimachung der Elemente, ihre Gruppierung zu zusammengesetzten Unterabteilungen, die Zergliederung und der Wiederaufbau zum Ganzen auf mehreren Seiten zugleich, bildnerische Polyphonie, die Herstellung der Ruhe durch Bewegungsausgleich, all dies sind hohe Formfragen, ausschlaggebend für die formale Weisheit, aber noch nicht Kunst. Im obersten Kreis steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis und das Licht des Intellekts erlischt kläglich“ Das Buch wird die „hohen Formfragen“ am Beispiel des (Titel)bildes erkennen und ins „Licht des Intellekts“ stellen. 1 „Schöpferische Konfession“, Beitrag Paul Klee; Berlin, Erich Reiss Verlag, herausgegeben von Kasimir Edschmid.
„Schöpferische Konfession“, Beitrag Paul Klee; Berlin, Erich Reiss Verlag, herausgegeben von Kasimir Edschmid.
Alles Geschriebene aus Paul Klees Nachlass, seien es Tagebücher, Briefe, Notizbücher, Bilderüberschriften oder -unterschriften sind, wie es Klee selbst formulierte „Hinweise.“
Sie können nicht zusammenhangslos, einzeln oder gar nur auszugsweise genutzt werden, um allfällige, eventuell gar vorgefasste Thesen oder Schlussfolgerungen zu stützen. Man riskierte so, sich vom Weg des Strebens nach Objektivation wegzubewegen.
Sämtliche Inhalte bei Paul Klee, ob Farben, Formen, Punkte und Striche, Zahlen, einzelne Buchstaben, Schriften auf Bilder, Gedichte, musikalische und literarische Quellen sind Verweise oder Hinweise, haben immer sinngebende Bedeutung und sind nie Zufälligkeiten. So erklärt sich sein ständig strebendes Überarbeiten, Umformen und Weiterentwickeln des Gesamtwerkes.
Paul Klee schrieb und malte situativ, heraus aus der seelischen Verfassung, schaute zurück und nach vorn, erinnerte an frühere Notate oder verwies gleichzeitig auf musikalische und literarische Werke, die er als stimmungsmässig im Zusammenhang stehend, beurteilte. Er wechselte im Ablauf die Thematik, um einige Eintragungen weiter, oder nach Zeitsprüngen, wieder auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen.
Ich habe nach mehrmals wiederholtem Lesen und ständig vertieftem Verstehen, immer neue Erkenntnisse erhalten, die letztlich zur Objektivation beitrugen und sich der Wahrheit Schritt um Schritt näherten. Vor allem die Tagebucheinträge würde ich gerne als Selbstgespräch, oder als vertrauliches Zwiegespräch mit sich selbst, bezeichnen.
Er hatte daran stetig gearbeitet, gefeilt, geformt, geändert und angepasst, oder weggelassen. Des Weiteren ist darauf zu achten, wie präzise die Formulierungen Klees sind.
Nennen wir ein Beispiel über die hohe Präzision seiner Ausdrucksweise:
Paul Klee malte als eines seiner Spätwerke 1939, kurz vor seinem Tod, eine mädchenhaft anmutende Figur neben einem blauen Busch stehend. Wir werden dieses Bild eingehend besprechen. Mit überdimensionierter, deutlicher Schrift schrieb er darauf.
„Stelz ich ein Bleib talein“
Andernorts las ich diese schriftliche Bildeinfügung: („Stelzichein bleibt allein“) Völlig unwertend möchte ich aufzeigen wie „Bleib talein“ oder „bleibt allein“ den eigentlichen Sinn verändern kann.
„Bleib talein“ ist die Aufforderung, am Taleingang zu bleiben.
„bleibt allein“ ist als Verlassensein in der Einsamkeit zu verstehen.
Wir sehen, wie kleinste Abweichungen von den Quellen die interpretatorischen Schlussfolgerungen beeinflussen können. Biographien, Teilbiographien und eine Vielzahl von Bildbesprechungen mussten und müssen diese Exaktheit bedingungslos anstreben.
Paul Klee notierte 1920 in „Schöpferische Konfession“:
[…] „Im obersten Kreis steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis und das Licht des Intellekts erlischt kläglich.“ […]
Einige Zeilen weiter:
[…] „Die Kunst spielt mit den letzten Dingen ein unwissend Spiel und erreicht sie doch.“
Mit „dem obersten Kreis“ erklärte er seine Überzeugung über die zentralen Elemente der graphischen Formen, Punkt und Strich. Der Anfang ist ein Punkt, das Ende ebenfalls. Verbindet man Anfangs- und Endpunkt, erreichen wir einen Strich. Die räumliche Verbindung des Anfangspunktes mit dem Endpunkt kann in keiner anderen Weise als mit einem Kreis erreicht werden. Ein Kreis drückt immer eine Ganzheit aus, etwas Abgeschlossenes. Daraus lässt sich erkennen, das Gesamtwerk, sein gesamter Nachlass, ist als ein alles umfassender Kreis zu anerkennen und in diesem Kreis ist das Geheimnis eingebettet.
Meine Quelle ist die erste „Übersetzung“ der Tagebücher, von der Handschrift in die Maschinenschrift durch Felix Klee, Paul Klees Sohn.
Es war mir in all den Jahren meiner Recherchen ein primäres Anliegen, nur Quellen, vor oder zur Zeit Klees zu berücksichtigen. Damit bleiben meine Schlussfolgerungen authentisch und zeitzeugend ohne Beeinflussungen durch neuzeitliche Interpretationen.
Das Gesamtwerk von Paul Klee in seiner eigenen, einzigartigen Methodik
In diesem Buch, anhand Text- und Bildanalysen, wird zuerst die Epoche der erstaunlicherweise völlig unerforschten Jahre von 1899 - 1906 im Leben von Paul Klee, mittels des schriftlichen Nachlasses untersucht. Seine bisher unverstandenen Aufzeichnungen werden analysiert, erklärt und beispielhaft dargestellt.
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