Susan Asher
Das geheimnisvolle Schloss
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Inhaltsverzeichnis
Titel Susan Asher Das geheimnisvolle Schloss Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Impressum neobooks
Schreiend erwachte Marleen aus unruhigem Schlaf und setzte sich im Bett auf. Schweißgebadet und mit heftigem Herzklopfen blinzelte sie in die Dunkelheit und brauchte einen Moment, ehe sie erkannte, dass sie nur geträumt hatte und in ihrem Zimmer in Sicherheit war.
Regelmäßig wurde sie von diesen Albträumen heimgesucht, nachdem sie mit den Eltern und ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester in das alte Schloss gezogen war, und jeden Abend fürchtete sie sich davor schlafen zu gehen. Warum waren sie überhaupt nach Schottland gezogen? Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern, aber der Traum lastete so schwer auf ihr, dass sie sich nicht konzentrieren konnte. Benommen legte sie sich zurück in die Kissen und wagte nicht, die Augen zu schließen, weil sie Angst hatte, dass der Traum sie erneut überfiel. Krampfhaft versuchte sie, wach zu bleiben, obwohl ihr immer wieder die Lider zufielen, bis der Schlaf sie unbemerkt eingeholt hatte.
Übernächtigt erschien sie am nächsten Morgen im Esszimmer und setzte sich zu ihren Eltern und ihrer 14jährigen Schwester Lilli an den Frühstückstisch.
„Guten Morgen“, sagte ihr Vater aufgeräumt. „Hast du gut geschlafen?“
„Sehe ich vielleicht so aus“, hätte Marleen fast geantwortet, hielt sich aber zurück, weil sie nicht unhöflich sein wollte und ließ es bei einem „danke gut“ bewenden.
Nachdenklich rührte sie in ihrem Becher Kakao und achtete nicht auf das lebhafte Gespräch zwischen ihren Eltern, weil sie in Gedanken mit ihrem Traum beschäftigt war. Zu gern hätte sie sich jemandem anvertraut, aber mit wem sollte sie reden? Ihre Schwester würde sie nur auslachen, und ihre Eltern hatten keine Zeit, um sich mit ihr und ihrem Problem zu beschäftigen. Ihr blieb keine andere Wahl, als selbst zu versuchen, etwas über das Schloss und seine ehemaligen Bewohner herauszufinden.
Bisher war ihr Leben und das ihrer Schwester Lilli ohne Schwierigkeiten verlaufen, weil beide Eltern als Anwälte arbeiteten und genug Geld verdienten, um sich und ihren Töchtern ein angenehmes Leben zu garantieren. Gestern Nacht war Marleen zu aufgeregt gewesen, aber nun fiel ihr wieder ein, dass ihr Vater das Schloss von seinem Großvater geerbt hatte, der vor einem halben Jahr verstorben war.
„Es wird euch dort gefallen“, hatte ihr Vater erfreut gesagt, als er erfahren hatte, dass er im Testament als Erbe eingesetzt worden war und hatte die notwendigen Formalitäten rasch vorangetrieben. Wenig später hatte er den Umzug organisiert und sie waren mit Sack und Pack von Frankreich nach Schottland gezogen, um zukünftig im Schloss ihres Großvaters zu wohnen. Inzwischen war Marleen soweit, dass sie am liebsten ihre Sachen gepackt hätte, um nach Frankreich zurückzukehren, aber sie war noch auf ihre Eltern angewiesen und konnte das leider nicht entscheiden. Ihr blieb nur die Möglichkeit, sich hier einzuleben und herauszufinden, warum sie im Schloss so schlecht schlief.
Gleich nach dem Frühstück lief sie in die riesige alte Bibliothek, um dort nach Unterlagen und Hinweisen zu suchen, die ihr helfen konnten, das Rätsel des blassen Mädchens zu lösen, dass ständig in ihren Albträumen auftauchte und sie um Hilfe anflehte. Ohne sich von der Vielzahl der Bücher abschrecken zu lassen, die in hohen Regalen an den Wänden aufgereiht waren, kletterte Marleen geschickt die Stufen der Leiter hinauf, um ihre Suche in der obersten Reihe der Bücherregale zu beginnen. Obwohl sie befürchten musste, für den Rest ihres Lebens mit der Suche beschäftigt zu sein, arbeitete sie sich Buch für Buch voran, bis es Zeit war, zum Mittagessen zu erscheinen. Rasch leerte sie ihren Teller und trank ein Glas Mineralwasser, ehe sie erneut in der vollgestopften Bibliothek verschwand, auf die Leiter stieg und das nächste Buch herauszog.
„Suchst du was Bestimmtes?“ fragte Lilli.
„Nein“, log Marleen, die ihre Schwester auf keinen Fall über ihre Träume informieren wollte. „Ich will nur mal sehen, was hier für Bücher stehen.“
„Sind doch nur alte Schinken, die niemanden interessieren“, behauptete Lilli und nahm gelangweilt ein Buch aus dem Regal, um es sogleich an seinen Platz zurückzustellen.
„Mich interessieren sie aber“, antwortete Marleen und rückte weiter, um das nächste Regal in Angriff zu nehmen.
„Komm lieber mit zum See“, schlug Lilli vor. „Da ist es schöner, als in diesem muffigen Raum.“
„Na gut“, gab ihre ältere Schwester nach, weil ihre Augen brannten und sie ohnehin kaum noch etwas aufnehmen konnte.
„Klasse“, rief Lilli aus, drehte sich erfreut im Kreis und hielt sich an einem Regal fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Ups!“ Knirschend gab das Regal nach, drehte sich unerwartet und gab einen Gang frei, der tief ins Innere des Schlosses zu führen schien.
„Wie hast du das gemacht?" fragte Marleen aufgeregt, nachdem sie sich vom ersten Schrecken erholt hatte und vorsichtig einen Blick in den finsteren Gang hinter dem Regal wagte.
„Ich weiß nicht“, erwiderte Lilli ratlos und beobachtete nervös, dass ihre Schwester bereits einen Schritt in den Gang machte. „Geh da lieber nicht hinein!“
„Schon gut“, beruhigte sie Marleen, obwohl sie vor Neugier platzte und genau wusste, dass sie den Gang inspizieren würde, sobald sie erkannt hatte, wie der Mechanismus funktionierte. „Überleg bitte noch mal, was du gemacht hast“, forderte sie ihre Schwester auf.
„Eigentlich habe ich mich nur gedreht und am Regal abgestützt“, erklärte Lilli und hoffte, dass Marleen damit zufrieden war und sie nun endlich an den See gehen konnten.
„Na, toll“, murrte Marleen. „Ein bisschen genauer kannst du es wohl nicht sagen?“
„Nein, kann ich nicht“, bockte Lilli, der langsam klar wurde, dass sie sich den See aus dem Kopf schlagen konnte. Offenbar war der geheime Gang wesentlich interessanter für Marleen, denn sie begann bereits aufmerksam die Buchreihen im Regal in näheren Augenschein zu nehmen, bis sie Lilli heranwinkte und sie bat, sich vor das Regal zu stellen und die Arme auszustrecken.
„Wozu soll das gut sein?“ fragte Lilli ärgerlich, während sie gehorsam die Arme in Richtung Bücher hielt.
„Wenn du dich abgestützt hast, muss der Mechanismus irgendwo in deiner Armhöhe ausgelöst worden sein“, erklärte Marleen und merkte sich die Reihen, die Lilli problemlos erreichen konnte. Erwartungsvoll bewegte sie einen umfangreichen Wälzer und seufzte enttäuscht, weil sich das Regal keinen Millimeter rührte. Nachdem sie alle dicken Werke mit festem Einband erfolglos ausprobiert hatte, versuchte sie es ebenso erfolglos mit Büchern mittleren Umfangs.
„Das kann ja ewig dauern“, beschwerte sich Lilli, zog gelangweilt das dünnste Buch nach vorne und stellte überrascht fest, dass sie es nicht ganz herausziehen konnte und sich das Regal mit einem Ruck wieder in Bewegung setzte.
„Lass bitte nicht los“, beschwor Marleen sie flüsternd, als ob sie befürchtete, ihre Schwester sonst zu erschrecken und diese sodann die Hand zurückzog. Rasch stellte sie sich neben ihre Schwester, um sich genau einzuprägen, welcher Titel auf dem Einband stand und in welcher Reihe sich das Buch befand. „Jetzt schiebe das Buch zurück“, bat sie und beobachtete fasziniert, dass sich die Geheimtür knirschend schloss und einen Moment später nicht mehr zu erkennen war, dass sich das Regal jemals bewegt hatte. „Ist das irre“, freute sie sich und machte kehrt, um die Bibliothek eilig zu verlassen.
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