Koptische Mönche beim Gebet. Viele junge ägyptische Christen suchen ein Leben in der Einsamkeit der Wüste.
Pater Bejimi gab sich noch immer nicht geschlagen. Eine Woche vor seinem 20. Jubiläum fuhr er ins Kloster St. Anton, das nahe dem Roten Meer in der Wüste liegt. Dort wollte er in dem Gebirge leben, das hinter dem Konvent aufsteigt, ganz allein mit Gott und sich selber, der Welt entzogen bis zu seinem Tod. Er brauchte dazu die Genehmigung von Bischof Yostos, dem Oberhaupt von St. Anton – doch von diesem kam ein hartes Nein. Offensichtlich fürchtete der Bischof, dass diese Art von radikaler Isolation auch andere auf den Gedanken bringen und die Klostergemeinschaft dadurch schwächen würde.
„Dies war nun wirklich mein letzter Versuch“, sagt Pater Bejimi. „Ich werde mich endlich fügen.“ Er wird vertrauen auf das, was ihm der Abt von St. Pischoi und sein spiritueller Begleiter empfehlen. Sie gestehen ihm eine Art „gemäßigte“ Isolation im Kloster zu. Dabei lebt der Mönch zwar weiterhin in einer Zelle, jedoch vom Trakt der anderen getrennt. Keine Besuche mehr, keine Teilnahme an den gemeinsamen Gebeten und Messen. Um etwas von seinem Traum zu retten, wird er den Weg gehen, den man ihm weist. „Ich habe gelernt, auf Gott zu vertrauen“, sagt Pater Bejimi, „statt meine inneren Wünsche zu erfüllen.“
Wir steigen über Treppen hoch auf das Dach der Festung, in der sich die Mönche einst vor den Räubern verschanzt haben. Von hier aus haben wir einen weiten Blick hinaus aufs Land. Meine Augen gleiten an der Mauer entlang, die sich schnurgerade durch die graubraune Wüste zieht. Wie weit kann er dieser verteufelten Welt noch entrinnen, die immer wieder nach den Mönchen greift?
Die muslimischen Nachbarn, sagt er, hätten nur mit Widerwillen gesehen, wie das Kloster sich ausgebreitet habe. Es habe Neid hervorgerufen, dass St. Pischoi, wie auch die anderen Konvente, eine leistungsfähige Oasenwirtschaft aufgebaut hatte. „Sie haben an den Enden unserer Mauer vier Moscheen gebaut, je eine in jeder Himmelsrichtung, um dadurch jede weitere Expansion zu stoppen. Ja, die Minarette wirken wie Verteidigungstürme.“
Pater Bejimi hat schon ein paar Mal versucht, außerhalb der Mauer durch die Dörfer zu spazieren. Da hätten sie ihn zur Rede gestellt und gefragt, was er hier wolle. Und sie hätten ihm klargemacht, dass er in ihrem Ort nichts zu suchen habe. „Eines Tages werden sie kommen“, sagt er, so wie damals die Berber und Beduinen. „Sie warten nur auf ein Signal. Man spürt es, wenn man durch ihre Dörfer geht. Man kann es aus ihren Gesichtern lesen.“ Sind die Mönche auch in ihrem Denken eingemauert? Oder haben sie ein Gespür, das andere nicht haben? Es gibt ja auch die Lehre, dass Angriff die beste Verteidigung sei.
„Bereiten Sie sich etwa auf einen Überfall vor?“, frage ich.
„Nein, nein“, sagt er lächelnd. „Was sollen wir denn machen?“
„Sie warten also einfach auf den Tag X?“
„Wir wissen, dass es passieren wird“, antwortet er. „Der Boden dafür ist bereitet.“
Er sagt es so kurz und schlicht, als sei es die sicherste Sache der Welt.
KAPITEL 3· LASSA – LIBANON
„Wir haben vor euch keine Angst“
Wie der Streit um eine kleine Kapelle eskalierte
Was ist denn das?“, frage ich erstaunt. „Kanonen mitten in einer Berglandschaft? Auf wen soll hier geschossen werden?“ An einem Hang direkt neben der Straße, auf der wir fahren, zähle ich sage und schreibe acht Panzer, in Reih und Glied aufgestellt. „Bloß nicht fotografieren!“, rufen meine Begleiter, als hätten sie meine Gedanken erraten.
Wir fahren ein paar hundert Meter weiter und kommen zu einem Landhaus mit direktem Blick auf die Panzerrohre, das schon bessere Tage gesehen hat. Es ist eine alte Sommerresidenz, erfahre ich. „Sie wurde um 1850 für den hiesigen Bischof gebaut. Nach 1950 fanden hier Bildungsseminare statt. Seit 2005 aber steht das Gebäude leer.“ Irgendwie, so ahne ich, muss das mit den Panzern da drüben zu tun haben. In der Tat kommen jetzt Soldaten auf uns zu, eine 30-Mann-Truppe campiert in der alten Villa. „Bloß nicht fotografieren!“, rufen meine Begleiter. Zum Glück weiß der Kommandeur Bescheid, dass wir zu einer Ortsbesichtigung kommen. Er stellt uns zwei seiner Leute an die Seite, damit wir auch wirklich keinen falschen Schritt tun.
Ich streife mit meiner Eskorte durch hohes Gras und Gebüsch. „Was ist denn das?“, entfährt es mir schon wieder. „Wer hat dieses Ungetüm gebaut?“ Gut 100 Meter hinter der zweckentfremdeten Villa ragt ein 20 Meter hoher Stahlmast in die Höhe, vier Lautsprecher sind an ihm angebracht. Die Soldaten und meine Begleiter schauen sich bedeutungsvoll an. „Das Ding steht schon seit zehn Jahren hier“, bekomme ich zu hören. „Muslime aus der Gegend haben es gebaut. Bloß nicht fotografieren!“
Ich stapfe noch ein paar hundert Meter weiter, bis zu einem Punkt an der Nordseite dieses Hügels, von dem man eine grandiose Aussicht auf das Yanouh-Tal hat. Nun steht eine mächtige, weiße, aus Kunststoff gefertigte Marienstatue vor mir. Die Gottesmutter mit dem Jesuskind blickt auf christliche Dörfer, die ihr zu Füßen liegen, Yanouh unten am Fluss, Kartaba drüben am Hang. Wenigstens von dieser Schutzpatronin darf ich eine Aufnahme machen.
„Da habt ihr ja wirklich ein tolles Ambiente“, sage ich zu den Soldaten. „Eine Bischofsresidenz, eine Marienfigur, ein Minarett aus Stahl und die acht Panzer da drüben.“ Die Männer in Uniform nicken und prusten. Aber reden dürfen sie nicht mit mir. Plötzlich springt an dem hohen Turm ein automatisches Tonband an. Aus den vier Megafonen schnarrt die Stimme eines Imams das Mittagsgebet, und zwar so laut, dass ich mir unwillkürlich die Ohren zuhalte. Tag für Tag muss dieser Trupp der libanesischen Streitkräfte das über sich ergehen lassen, zum Glück nur drei- statt fünfmal, weil in dieser Gegend nicht Sunniten, sondern Schiiten wohnen.
Der Distrikt Jbeil, wie dieser Teil des Libanon-Gebirges heißt, war einst eine Hochburg maronitischer Christen. 14 Patriarchen haben nach dem 10. Jahrhundert hier ganzjährig residiert. Es war eine der wenigen Regionen, wo selbst in der Zeit des Bürgerkriegs, der das Land von 1975 bis 1990 verwüstete, keine Kämpfe ausbrachen. Aber der Libanon ist eben voll von Paradoxien. Genau von dem Moment an, da auf nationaler Ebene wieder so etwas wie Frieden herrschte, brach in dieser Gegend Streit zwischen Christen und Muslimen aus.
Die Maronitische Kirche ist eine von 18 Glaubensgemeinschaften, die im Libanon offiziell anerkannt sind. Sie entstand im 7. Jahrhundert als eine Abspaltung der Syrisch-Orthodoxen Kirche. Ihr Name geht auf einen Eremiten namens Maron zurück, der 410 starb. Sie hat weltweit rund sechs Millionen Mitglieder und erkennt den katholischen Papst in Rom als Oberhaupt an. Mit knapp einer Million Anhängern ist sie die größte christliche Kirche im Libanon. Ihr Patriarch, seit 2011 Béchara Pierre Kardinal Raï, hat seinen Sitz im Kloster Bkerke bei Jounieh. Die Maroniten sind in rivalisierende Familienclans gespalten, fühlen sich aber auch unter wachsendem Druck der Muslime. In religiös gemischten Gebieten kommt es oft zu Landstreitigkeiten.
Meine Begleiter sind Mounir Khoueiry, Jahrgang 1960, Bürgermeister des christlichen Dorfes Kahmes, und Takla Khoueiry, geboren 1981, seine Schwester. Mitte der 1990er-Jahre, sagen sie, seien die Muslime hier zahlenmäßig immer stärker geworden. Im Dorf Lassa haben sich die Verhältnisse auf besonders dramatische Weise umgekehrt: 4.500 Einwohner sind heute Schiiten, nur noch etwa 300 Christen. So wurde Lassa, das den Panzern am nächsten liegt, zur Keimzelle von Auseinandersetzungen, die nun schon seit 20 Jahren toben. Lassa ist, wenn man so will, ein libanesischer Mikrokosmos. In ihm spielen sich Konflikte ab, die dieses Land seit seiner Gründung lähmen – wenn nicht gar seine Existenz bedrohen.
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