„Zu AMORPHIS kam ich schlicht dadurch, dass Holopainen anrief und erzählte, dass er mit Snoopy eine Band gegründet hatte und Koippari singen würde“, so Laine. „Esa kannte ich vom Heavy-Kiosk her. Ich hatte damals ein kleines Zine, für das ich ein Interview mit VIOLENT SOLUTION wollte. Das Blatt erschien nur einmal und wurde per Kopiergerät vervielfältigt. Soweit ich mich erinnere, kam das Interview nie zustande, aber in dem Zusammenhang hatten wir Telefonnummern ausgetauscht. Anscheinend erinnerte sich Holopainen daran, dass ich Bass spielte. So fing das an.“
Laine hatte von Kindesbeinen an mit Musik zu tun gehabt. In der Schule hatte er bis zur sechsten Klasse Musik als Schwerpunkt gehabt. Als seine Großmutter ihm zu Weihnachten eine Geige schenkte, nahm er pflichtgemäß Stunden, obwohl ihn das Instrument nicht im Geringsten interessierte. Immerhin erhielt er dadurch eine gute theoretische Grundlage, auch wenn er regelmäßig schwänzte. Schließlich sah seine Mutter jedoch ein, dass es sich nicht lohnte, noch mehr Geld für Privatstunden zu verschwenden, und der Geigenkoffer wurde zum Staubfänger. Die Musik ließ Oppu jedoch nicht los, und er fand schon früh seine wahre Bestimmung. Seine Begeisterung für den Bass begann Anfang der Achtziger mit Pave Maijanen, einem auch als Produzent erfolgreichen Multi-Instrumentalisten, dessen kurzlebige Poprock-Combo MISTAKES mit Pidä huolta einen der größten finnischen Hits des Jahres 1981 landete. Über seine Altersgenossen kam Laine zu KISS, AC/DC und anderen populären Heavy- und Hardrockbands. Seine ersten Versuche am Bass waren auch von der E-Gitarre seines großen Bruders beeinflusst. Als ihm ein älterer Junge aus der Nachbarschaft einen Bass und ein paar Effekte borgte, war sein Schicksal besiegelt. Oppu hat den Moment der Offenbarung noch in lebhafter Erinnerung: „Das is’ mein Ding, alles klar!“
Die erste Fotosession von AMORPHIS im Proberaum in Kamppi, 1990.
© Teijo Tiainen
Musik gehörte bei den Laines zum Alltag. Der Bruder hörte KISS, die ältere Schwester die DOORS und die ROLLING STONES und die Mutter die melancholischen Schlagerklassiker von Olavi Virta, deren starke Melodien Oppu als prägend für sein eigenes Songwriting bezeichnet. Sein Vater schwor auf Jazz und arbeitete als Musikreporter für die linke Wochenzeitung Kansan Uutiset , weswegen die Familie jedes Jahr zum internationalen Jazzfestival nach Pori fuhr. Oppu hatte für dieses nicht viel übrig und fand endlose Jamsessions ausgesprochen langweilig, doch der väterliche Beruf öffnete ihm unerwartete Türen. Eines Tages fragte der Vater ihn, ob er im Kino den neuen Herbie-Film sehen oder stattdessen mit ihm zur Arbeit kommen wolle: Auf der Tagesordnung stand ein Interview mit Pave Maijanen. Oppu wählte letzteres. Seine Faszination für den Bass wuchs mit jedem Tag. Als die Familie 1986 aus dem Osten Helsinkis in den zentrumsnäheren Stadtteil Vallila umzog, fand er erstmals Anschluss an eine Band. Sie spielte METALLICA und IRON MAIDEN nach und hörte auf den Namen METAL DISEASE. Auch anderweitig entwickelte sich die Musik zu Laines wichtigstem Hobby. Wie die übrigen Mitglieder von AMORPHIS besuchte er als Teenager häufig Konzerte in Jugendclubs und im Lepakko. Die Gesichter von Snoopy, Koippari und Esa kannte er nicht nur aus dem Publikum, sondern auch von der Bühne her. Er sah sowohl VIOLENT SOLUTION als auch ABHORRENCE öfters live und mochte beide Bands.
„VIOLENT SOLUTION waren live überraschend gut. Ihr Material hatte Qualität, und sie konnten deutlich besser spielen als die übrigen Bands“, vergleicht er. „Sie waren nicht die originellste Band der Welt, machten aber trotzdem Eindruck. Ich kaufte alles, was sie rausbrachten. Die Single hab’ ich heute noch. Auf ABHORRENCE fuhr ich richtig ab. Das war eine der ersten Death-Metal-Bands, die ein vernünftiges Demo machten. Wir gingen zwar auch in die Richtung, aber wir waren nicht so gut, dass wir einfach so hätten ins Studio gehen können. ABHORRENCE und XYSMA waren die ersten in der Death-Metal-Szene, die musikalisch etwas Relevantes zuwege brachten. Die Gigs von denen konnten auch einiges. ABHORRENCE waren eine wichtige Band mit gutem following .“
METAL DISEASE live in der Schule von Myllypuro. Oppu Laine, Juri Kovaleff, Jani Salmi und Marko Hirvi.
Verständlicherweise war der Bassist mehr als angetan, als er in die Nachfolgeband von VIOLENT SOLUTION und ABHORRENCE eingeladen wurde. Für seine Musikerkarriere bedeutete dies einen großen Sprung vorwärts. In seinen bisherigen Gruppen hatten nicht alle Mitglieder seine Leidenschaft geteilt, hier dagegen waren sämtliche Beteiligten voll bei der Sache und der Gedanke an eine ernsthafte Karriere erschien nicht länger unrealistisch.
HOLOPAINEN BEHAUPTETE, DASS er das Wort AMORPHIS in einem Wörterbuch gefunden hätte und dass es so viel wie „gestaltlos“ bedeutete. Der Gitarrist hatte die Schreibweise jedoch falsch in Erinnerung. Die Wahrheit kam erst ans Licht, als die Gruppe in ihrem ersten englischsprachigen Interview nach der Bedeutung ihres Namens gefragt wurde und das Wort „amorphis“ in keinem Wörterbuch zu finden war. Korrekt wäre amorphous gewesen. Der Name blieb jedoch am Leben.
Etwa zur gleichen Zeit, als Laine bei AMORPHIS einstieg und somit die Originalbesetzung komplett war, lösten sich ABHORRENCE auf. Infolgedessen begann Koivusaari, der in den ersten drei Monaten nur für die Growls zuständig gewesen war, sich voll auf seine neue Band zu konzentrieren und dort auch Gitarre zu spielen. Er stellte den anderen jedoch eine Bedingung: er würde nur dann in der Band bleiben, wenn die drei bisherigen Songs neu geschrieben würden.
„Das Studio war schon gebucht, um die aufzunehmen, aber ich fand sie einfach nicht gut“, erinnert sich Koivusaari. „Keine Ahnung, für was für einen Death-Metal-Experten ich mich hielt, aber für mich klangen sie einfach nur wie eine härtere Version von VIOLENT SOLUTION. Die andern fanden das dann auch, und wir beschlossen, den Studiotermin abzusagen und nochmal von vorne anzufangen.“
AMORPHIS in ENTOMBED-Pose auf dem Friedhof Hietaniemi, 1991.
Der Beschluss hatte sowohl symbolische als auch künstlerische Wirkung. Die Thrash- und Speed-Elemente flogen auf den Müll, und man konzentrierte sich fortan auf reinen Death Metal. Es ergab sich wie von selbst, dass zwar beide Gitarristen Songs schrieben, aber Holopainen die Melodien spielte und Koivusaari den Rhythmus, da letzterer gleichzeitig growlen musste. Oppu kommentiert: „Ich war beeindruckt, als Koippari forderte, die alten Songs über Bord zu schmeißen. Die Entscheidung war richtig, denn die neuen Stücke wurden viel besser und waren auch mehr nach meinem Geschmack. In der Phase gab ich auch selber alle anderen Bandprojekte auf und konzentrierte mich nur noch auf AMORPHIS.“
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