»Und was schlägst Du vor, soll ich anders machen?«
»Das fragst Du mich? Keine Hanna, einen Königstiger mit Arthrose und vergucke ich mich in die schöne Alika? Nee.«
»Du stehst auf Blondinen.«
»Jetzt bring mich nicht raus. Ich will sauer sein.«
Jakob verließ das Zimmer und kam angezogen zurück. Ein tiefrotes Wildseidenhemd über einer Jeans, die gerade eng genug war, um seine langen, wohlgeformten Beine anzudeuten. Das dunkle Haar fiel chaotisch um seinen Schädel.
»Mannomann, wie Du aussiehst.« Oskar schüttelte den Kopf.
Jakob stand vor ihm. »Ich kann nicht an dem Fall mitarbeiten.
Ich darf sie nicht wiedersehen.«
»Da gibt es nur ein kleines Problem. Wir haben das Leben von Alikas Vater durchleuchtet, so weit es öffentlich ist. Er ist eine Friedenstaube, die am großen Rad dreht. Politik, Mafia, Russen, alles da. Lauter Diplomaten und unberührbare Kriminelle. Der ist ʼne richtig große Nummer. Und ihn hat der Erdboden verschluckt. Er ist einfach verpufft. Um weiterzukommen, brauchen wir mehr Informationen von Alika. Und sie will Dich, sonst niemanden.«
Jakob schwieg.
»Sie will, daß Du in ihr Atelier kommst. Eigentlich ist sie nämlich Malerin, wußtest Du das? Die Bilder im Restaurant sind von ihr.«
»Diese riesigen, sinnlichen, erotischen Bilder sind von ihr?«
»Exakt.«
Jakob stöhnte.
»Und dieser Fall wird Dich zurück an meine Seite bringen. Nie wieder Kellerloch. Und Du wirst da hingehen und die Finger von Alika lassen, so wahr ich Oskar Blum heiße. Sie hat eine Narbe auf der Stirn, die ihr Gesicht teilt. Sie ist überhaupt nicht so schön, wie alle sagen. Eigentlich sieht sie aus wie der Glöckner von Notre Dame.«
Jakob stöhnte wieder.
»Meinetwegen nimm vorher eine Baldrian oder zieh einen Schlüpper von Hanna an, mit Vorhängeschloß, aber Du gehst hin in das Atelier vom Glöckner.«
»Verlang das nicht von mir.«
»Du kannst gar nicht ausweichen, das weißt Du. Ich kann ausweichen, vor bösen Geistern, Tretminen, notfalls mein ganzes Leben. Aber Hagedorn, mein Jakob, die Geisterlatte, der Frauenversteher, nee, Du faßt in den Honigtopf, mit beiden Armen, bis an den Grund. Und wenn Du dann festklebst, bist Du in Deinem Element.«
Im Stationsflur versuchte seit drei Tagen eine Neonröhre flackernd zu sterben. Unter ihr saß ein magerer alter Mann in grauen Pantoffeln. Er trug einen Frotteebademantel, die nackten Beine steckten in Wollstrümpfen. In der Rechten hielt er einen Laufzettel, den ihm eine Schwester vor zwei Stunden auf seiner Station gegeben hatte. Er hatte den Fahrstuhl gefunden, nach einigen Umwegen auch die richtige Station. Ihre Zahl stand über der Tür, die zusätzlich im gleichen Blau gestrichen war wie sein Laufzettel. Das fand er hilfreich für einen so alten wie klapprigen Mann, auch wenn für seinen Grauen Star das Blau und das Grün ununterscheidbar waren.
Mit der Linken umklammerte er seinen Galgen, den er, wenn wieder ein Mensch im weißen Kittel an ihm vorbeihastete, an sich zog. Hin und wieder kratzte er vorsichtig an der Schmetterlingskanüle auf seinem Handrücken, der gerötet und etwas geschwollen war, und sah hoch zu der Nährlösung, die weit über seinem dünnen Haar baumelte.
Eine Tür schräg gegenüber wurde vom Hinterteil einer Putzfrau aufgeschoben. Rückwärts ging sie durch die Tür, zog ihren Wischeimer hinterher und drückte den Feudel im Wischwasser aus. Unendlich langsam wischte sie den Gang. Aber sie war gründlich, den Ecken widmete sie sich mit besonderer Hingabe. Der alte Mann gähnte, die Neonröhre flackerte. Da öffnete sich zischend die Flurtür. Ein Arzt lief über den Flur, den Blick am Boden. Der alte Mann hob seinen Laufzettel, der Arzt rannte fast die Putzfrau um, wich fluchend aus und stürzte weiter.
»Verzeihung«, krähte der alte Mann, aber der Arzt war schon durch die nächste Tür, der entstehende Luftzug bewegte die dünnen Haare des Alten. Er schob die Füße zusammen, sah auf seine von Adern durchzogenen nackten Beine, die Wollstrümpfe, die grauen Pantoffeln, zog den Bademantel über die Knie und ächzte. Die Putzfrau kam rückwärts näher.
»Verzeihung«, sagte er. Die Putzfrau sah ihn an. Eine Asiatin mit Kopftuch. Gab es bei denen auch Moslems? Sie war hübsch und jung, vielleicht würde sie ihm helfen. Er hielt ihr seinen Laufzettel hin und griente freundlich.
Die Flurtür öffnete sich wieder, zwei lachende Ärztinnen durchmaßen den Flur. Der alte Mann zog sich am Galgen hoch. Er stand und hielt ihnen den Laufzettel entgegen.
»Und dann fragt der Typ, was ich beruflich mache«, sagte die eine Ärztin.
»Und weg war er«, sagte die andere.
»Nee, ein zäher Unternehmensberater und außerdem hab ich gesagt, ich bin Krankenschwester.«
»Hervorragend. Mit weißer Haube.« Beide kicherten.
Sie waren jetzt auf der Höhe des Alten mit dem Galgen angelangt und machten einen Bogen. »Verzeihung«, sagte der.
»Geht schon«, sagte die eine Ärztin.
»Nach einer halben Stunde hatte ich seine Handynummer«, sagte die andere.
Die Tür am Ende des Flurs schloß sich hinter ihnen. Der Alte stand neben seinem Galgen. Es war still. Die Putzfrau nahm ihren Wischeimer und setzte ihn einige Meter weiter wieder ab. Das Wasser schwappte über. Sie spülte ihren Feudel aus, ihr ganzer Oberkörper bewegte sich dabei ruckartig. Der Alte setzte sich. Eine Schwester kam aus einem Zimmer.
»Verzeihung«, sagte der Alte, schon etwas lauter.
Die Schwester hob den Kopf. »Es kommt gleich jemand.«
»Ach so«, sagte der Alte.
»Schon gut«, sagte die Schwester und verschwand.
Die Putzfrau wischte. Auch die Ecken. Auf und ab, auf und ab.
Die Schwester kam zurück, einen Kaffeebecher jonglierend. Nahm im Gehen einen Schluck und verzog das Gesicht. Wischte den Rand des Bechers mit ihrem Kittel ab, ging zurück in das Zimmer und schloß die Tür.
Die Flurtür öffnete sich, die zwei Ärztinnen kamen zurück.
»Bin ich Schneiderin, oder was?«, fragte die linke und zog eine Augenbraue hoch. »Eins-Nuller-Abitur, sieben Jahre studiert, und dann darf ich zunähen.«
»Plan B mit dem Unternehmensberater.« Sie gackerten.
»Er fährt ein Cabrio.«
»Das kann geleast sein.«
»Du nun wieder.«
Der Alte stand im Weg mit seinem Galgen.
»Was?«, fragte die eine Ärztin unwirsch.
»Ich soll mich hier melden«, sagte der Alte. Seine Linke leuchtete rot am Galgen. Der Ärmel des Bademantels war zurückgerutscht. Eine rote Spur zog sich den Unterarm entlang.
»Aber ja wohl kaum bei mir«, sagte die Ärztin. »Fragen Sie eine Schwester.«
»Ach so«, sagte der Alte und zog den Galgen zu sich.
Die Ärztin schob ihn zur Seite. »Also bei mir war es damals ein Lamborghini.«
»Aber geleast?«
»Ich bin ihm beim Fahren an die Hose …«
»Nein.«
»Und er fährt rechts ran.«
Die Flurtür öffnete sich zischend.
Da fiel der Putzfrau der Wischeimer um. Mit einem lauten Klatschen ergoß sich das dunkelgraue Wischwasser über die Füße der Ärztinnen. Quiekend sprangen sie zur Seite. Ihre weißen Krankenhausschuhe, ihre weißen Krankenhaussocken, ihre weiße Krankenhaushosen und ihre weißen Krankenhauskittel waren voller dunkelgrauer, schmieriger Wasserflecken.
»Das gibt es doch nicht«, rief die eine.
»Blöde Putze«, die andere.
»Das bezahlst Du.«
Die Putzfrau lief mit kleinen Trippelschritten auf die eine Ärztin zu, einen großen Wischlappen in der Hand, fremdsprachlich wimmernd. Vor der Ärztin ging sie auf die Knie und wischte hektisch Schuhe, Socken und Hose ab. Sie zog winselnd an deren Kittel, stand unter Verbeugungen auf und versuchte, der Ärztin die Jacke auszuziehen.
»Was zum Teufel macht die denn?«, rief die. »Nimm Deine dreckigen Finger weg.«
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