»Erinnern Sie sich an ihre damaligen Projekte?«
»Oh ja, sie hat sich für eine Samenbank in der DDR interessiert.« Er lachte. »Jetzt gucken Sie nicht so gekringelt, ich rede von Pflanzensamen. Die DDR hat in ihrer Abschottung einiges probiert. Zusammen mit den Bruderstaaten. Bau auf, bau auf, Sie wissen schon. Die Arbeiterklasse will was zum Futtern haben.«
»Hat sie nach Mauerfall dort Kontakte geknüpft?«
»Sie kannten Tilla nicht. Sie war sehr schnell und sehr überzeugend. Sie ist einfach hingefahren in die DDR, gleich nachdem sie von der Samenbank gehört hatte. Sachsen-Anhalt. Das Institut gibt es noch. Vielleicht hat die Stasi sie abgegriffen.«
»Warum das denn?«
»Na ja, die DDR war noch zu, als sie zum ersten Mal hin ist. Und natürlich ist sie nicht mit leeren Händen zum Westberliner Klassenfeind zurückgekehrt. Sie wissen ja, sie hatte einen Hang zu fremdem Samen.«
»Sie hat die DDR beklaut?«
»Diebstahl von Staatseigentum, wenn auch zu wissenschaftlichen, also hehren Zwecken. Aber fragen Sie mich nicht, was genau sie da geklaut hat. Ich interessiere mich nicht so für Botanik. Außerdem schrieb ich gerade meine Doktorarbeit.«
»Wohl nicht bei Tilla?«
Er schüttelte den Kopf. »Mein Fach ist die Gentechnik. Das war zwar damals ein sehr übersichtliches Feld, erforderte aber hohe Konzentration. Vom Mauerfall habe ich nicht viel mitbekommen.«
»Können Sie mir die neue Adresse der Samenbank geben?«
»Das ist die alte. Nur mit einem Haufen Westgeld aufgebrezelt. Sollte mich nicht wundern, Sie finden dort noch ein paar der alten Leute. Ist eine Gegend, in der sich nicht viel ändert. Nördliches Harzvorland. War ein ziemlicher Skandal damals in der DDR. Da rollten wohl auch Köpfe, weil einige der Gräfin zu treuherzig alle Türen geöffnet haben.«
»Waren vielleicht froh, daß sich jemand aus dem Westen für ihre Forschung interessiert.«
»Und Tilla war wirklich sehr gewinnend. Erst recht, wenn sie etwas wollte.«
»Und was hat sie erforscht mit den geklauten Samen?«
»Gar nichts, dafür hatte sie ihre Doktoranden. Alles Ökos. Ein Projekt zur Rückzüchtung alter Pflanzenarten. Ach ja, und da gab es eine Verbindung nach Niedersachsen. Tilla war öfter dort in der zweiten Hälfte der Achtziger. Auf einem Bauernhof. Bio, glaube ich, irgendwas mit Sternen oder Sonne kam im Namen vor. Das waren echte Seelenverwandte. Mehlige Äpfel, winzige Pflaumen, mehltauanfälliges Getreide, so was. Schrecklich.«
»Sie sind wirklich kein Botaniker.«
»Da lobe ich mir meine Gensequenzen. Sauber, kalkulierbar und kein Ungeziefer weit und breit.«
»Die Adresse in Niedersachsen …«
»Finde ich auch noch. Aber ob es die noch gibt, weiß ich nicht. Die in Sachsen-Anhalt sind mit der Zeit gegangen, aber die Ökos? Obwohl ich wegen Tillas Verschwinden eher auf die Stasi tippe. Sie ist vorsichtshalber nach dem Skandal nicht mehr über die Transitstrecke nach Westdeutschland gefahren, sondern nach Hannover geflogen. Aber man hört ja oft, die hätten die Leute entführt. Oder nach Mauerfall wollte sich irgendwer von denen rächen, die ihretwegen in Sachsen-Anhalt ihren Job verloren haben an der Samenfront. Wer weiß, das Harzvorland ist eine sehr spezielle Gegend.«
Jakob patschte mit nassen Füßen von der Dusche direkt zur Wohnungstür, drückte auf den Haustürsummer und öffnete sie. Bis sein Besuch oben war, hatte er genug Zeit, das Duschwasser abzurubbeln. Nicht genug Zeit sich anzuziehen.
»Du hast ja immer noch so einen Adoniskörper.« Oskar drückte Jakob an seine Brust, es quatschte auf seinem Hemd. »Verdammt, Du bist ja naß.« Oskar hielt seinen Freund eine Armlänge entfernt fest. »Aber der Keller hat Dir bisher noch nicht sichtbar geschadet.«
Jakob grinste schief.
»Und halt das Handtuch um Deine Hüften schön fest.«
Jakob lachte. »Komm endlich rein, Du Schwätzer. Was macht die überirdische Kripoarbeit?«
Oskar streifte die Schuhe ab und ging ins Wohnzimmer. »Dreht sich im Kreis, weil der beste Kripokommissar Berlins seine Tage in Gesellschaft von Schimmelsporen und Kellerasselpipi verbringt.«
Jakob hustete.
»Angeber.« Oskar ließ sich auf die Couch fallen.
»Willste Wein?«
Oskar winkte ab. »Hab noch keinen Feierabend. Focke hat uns eine russische Razzia eingebrockt. Lächerlich, irgendein Schmieröl wird es ihnen längst gesteckt haben. Keine Ahnung, wen er damit beeindrucken will.«
»Die Medien?«
»Das müßte dann ohne Bildchen sein. Sein Auge ist noch grün-violett. Kommt im Fernsehen nicht so gut.«
»Also biste nur auf einen Sprung da?«
»Du sollst noch mal an den Georgierfall ran. Guck nicht so kraus, kriegst nur die Rosine.« Oskar zwinkerte. »Wir haben ein Problem mit der rassigen Tochter. Sie springt uns ständig an, es ginge ihrem Vater schlecht, wir müßten ihn finden.« Oskar verdrehte die Augen.
»Wart ihr denn schon bei dem Russen, dem Vater ihres Sohnes?«
»Der ist ʼne ganz heiße Nummer in der Berliner Unterwelt. Hat eine riesige Akte bei uns, wir ackern uns gerade durch. Tanja und ich wollen gut vorbereitet zu ihm. Bei dem Schwiegersohn ist es nicht sicher, ob es Guram Geladse überhaupt noch geht. Glaube nicht, daß Jurij Iwanow Geduld für eine Geiselnahme hat.«
»Dann ist Alikas Angst um ihren Vater berechtigt.«
»Gut, daß Du so viel Verständnis für sie hast. Der Grund, warum ich hier auf Deiner Couch sitze, ist nämlich«, er senkte den Kopf und sah Jakob schräg von unten an, »sie will mit Dir reden. Nur mit Dir. Du würdest sie verstehen, Du hättest eine Verbindung zu ihr und deshalb würdest Du ihren Vater finden. Wie machst Du das, Alter?« Oskar schüttelte den Kopf. »Hast so gut wie nichts gesagt in ihrer georgischen Boulettenbude, saßt da wie ein Beutel Falschgeld. Als könntest Du es nicht erwarten, endlich wieder wegzukommen. Und was sagt die schöne Alika? Ihr habt eine Verbindung.«
»Das müßt Ihr ohne mich machen.«
»Wieso?«
»Ich habe keine Zeit.«
»Spinnst Du? Deine Kellerasseln können warten.«
»Falsch. Meine drei Tage diese Woche sind um. Ich habe jetzt vier Tage frei. Und die nutze ich, um Hannas Mutter zu suchen.«
»Das kann auch warten. Alika hat …«
»Das wartet sicher nicht.«
»Was soll das Alter? Dieser Fall ist Deine Chance aus dem Keller. Mach bloß keine Zicken.«
Jakob stand auf, nahm die Gießkanne und goß seine Pflanzen. »Ich habe Hanna versprochen, ihre Mutter zu suchen. Das ist sehr wichtig für Hanna. Und Hanna ist wichtig für mich.«
»Die ist seit über zwanzig Jahren futsch, da wird es auf einen Tag mehr nicht ankommen.«
Jakob goß schweigend die Pflanzen. Oskar sah ihm dabei zu. »Was rennst Du so durch die Wohnung? Hast Du neuerdings ein Problem mit der Prostata?«
»Die Blumen sind durstig.«
Jakob holte frisches Wasser. Als er zurückkam, stand Oskar in der Tür. Er nahm ihm die Kanne ab und führte ihn zur Couch. »Was ist los?«
Jakob sah aus dem Fenster.
»Komm zurück, Geisterseher. Ich rede mit Dir.« Oskar tätschelte ihm den nackten Oberschenkel. »Sieh mich an, mein Freund.« Jakobs Kopf drehte sich in Zeitlupe. »So istʼs fein. Und jetzt erzählst Du direkt in Oskars Visage, wo das Problem ist.«
»Ich will nicht und ich kann nicht.«
»Du bist verknallt.« Oskar sprang auf. »Du bist in Alika verknallt. Ich fasse es nicht.« Oskar schlug mit der Faust an die Wand. Jakob zuckte zusammen. »Hast Du keine anderen Probleme?«
Jakob schwieg.
»Verdammte Scheiße.« Jetzt lief Oskar durch das Zimmer, immer von einer Bücherwand zur nächsten. »Nicht, daß es mich was angeht, aber war Hanna nicht eben noch die Liebe Deines Lebens?«
»Das ist sie auch.«
»Ach ja, aber dann hattest Du noch Spitzen frei für Alika? Kannst Du Deinen Königstiger nicht mal erziehen? Als sie in Amerika war, hätte ich das ja noch verstanden, aber jetzt?« Er warf sich in den Sessel, die Fäuste lagen geballt auf den Armlehnen. »Wenn man nicht immer auf Dich aufpaßt, rennst Du wirklich direkt in die Scheiße.«
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