Ein alltäglicher Fall und dennoch ein Meilenstein in der Geschichte der Rechtsprechung in Österreich: Erstmals entscheiden Geschworene über „schuldig“ und „nicht schuldig“, ein Anlass, der viel Prominenz in den Gerichtssaal gelockt hat: Justizminister Anton von Schmerling und Unterstaatssekretär von Stelzhammer sind anwesend; der Präsident des Schwurgerichtshofes, Oberlandesgerichtsrat Dr. Josef Edler von Würth, leitet die Verhandlung. In seiner „würdevollen Ansprache“ betont von Würth, dass die Geschworenen dazu berufen seien, eines „der einflussreichsten Rechte des Staatsbürgers auszuüben“, es sei dies eine Reform, „in der sich die größte Achtung und Anerkennung der freien Persönlichkeit des Einzelnen wie die Gleichheit Aller vor dem Gesetze“ ausspreche, die Geschworenen – es sind nur Männer – ermahnt er zu „Besonnenheit, Unparteilichkeit und Mäßigung“.
Im Verhör, das der Vorsitzende mit Cäcilia Hunger dann anstellt, zeigt sich die Angeklagte reumütig, als Motiv für ihre Tat nennt sie die „Sehnsucht nach ihrer Heimat, um ihren Vater wieder zu sehen“; ihr Verteidiger, ein gewisser Dr. Dierl, weist darauf hin, dass die „Absicht der Angeklagten bloß auf Diebstahl und nicht auf Brandlegung“ gerichtet gewesen sei, laut Meinung der Sachverständigen sei es auch zu keinem „hellen Brande“ gekommen. Das offene Geständnis der jugendlichen „Verbrecherin“ hat im Publikum tiefen Eindruck gemacht, das Gericht formuliert nun vier Fragen an die Geschworenen, die sie zu beurteilen haben. Nach 45-minütiger Beratung beantworten die Geschworenen alle Fragen mit „schuldig“, bei Punkt 1, der Brandlegung, erkennen sie, in Überschreitung ihrer Kompetenz, wie der Vorsitzende kritisch anmerkt, auf „schuldig mit mildernden Umständen“ – im Bemessen des Strafausmaßes zeigen die honorigen Herren des Gerichts wenig Fingerspitzengefühl: Cäcilia Hunger wird zu drei Jahren (!) schwerem Kerker, dem vom Staatsanwalt geforderten Minimum, verurteilt; die Sitzung schließt um vier Uhr nachmittags.

Annemarie Moser-Prölls letzter Weltcupsieg
Wieder einmal ist die Elite des Damenskirennsports im kleinen Schweizer Ort Arosa in Graubünden zu Gast. Wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in Lake Placid geht es für die Läuferinnen um letzte Standortbestimmungen – auch für die Königin des Weltcups im letzten Jahrzehnt, Annemarie Moser-Pröll. Zwölf Jahre sind seit ihrem denkwürdigen Debüt in der Weltcupabfahrt von Bad Gastein am 17. Januar 1968 vergangen, als das Mädchen vom Bergbauernhof auf vereister Piste nach Stürzen mit 30 Sekunden Rückstand auf ihre Teamkollegin Olga Pall 78. und Letzte geworden war; inzwischen stehen 61 Siege zu Buche und sechs Erfolge im Gesamtweltcup sowie vier Weltmeistertitel: Die Letzte von einst ist zur Größten geworden, daran hatte auch eine Unterbrechung ihrer Karriere vom März 1975 bis zum Dezember 1976 nichts ändern können.
Auf der Fahrt zum letzten großen Sieg: Annemarie Moser-Pröll gewinnt Gold in Lake Placid 1980.
Im ÖSV-Team ist „die Pröll“ die unumschränkte Nummer eins, es gibt niemanden, der ihr in diesem Weltcup- und Olympiawinter 1979/80 auch nur annähernd Konkurrenz machen könnte. Auch im Riesentorlauf, der an diesem 16. Januar am Programm steht, ist sie noch immer stärkste Österreicherin, auch wenn ihr letzter Sieg in dieser Disziplin nun schon fast zwei Jahre zurückliegt – herausgefahren am 17. März 1978 in Arosa. Das Rennen wird geprägt vom Zweikampf Hanni Wenzels mit der Schweizerin Marie-Therese Nadig, in dem die Liechtensteinerin, die in dieser Saison auch den Gesamtweltcup für sich entscheiden wird, mit 29 Hundertsteln Vorsprung die Oberhand behält. Dritte am Siegespodest ist die Französin Perrine Pelen. Annemarie Moser-Pröll reicht ein solider Lauf für den siebenten Platz und ihren 62. und letzten Weltcupsieg: Sie gewinnt mit 10.61 Punkten klar die Kombinationswertung vor Hanni Wenzel (34.84) und Teamkollegin Ingrid Eberle (50.39).
Am 25. Januar wird die Skikönigin aus Kleinarl im Slalom von St. Gervais hinter Perrine Pelen Zweite und steht ein letzets Mal bei einem Weltcuprennen am Siegespodest; dann geht es zu den Olympischen Spielen nach Lake Placid. Ein allerletzter „herrlicher Sieg“ (Serge Lang) wartet hier am 17. Februar 1980 auf der Piste am Whiteface Mountain noch auf sie: die Goldmedaille in der Abfahrt.

Skandal im Theater an der Wien
Im Theater an der Wien steht eine Benefizvorstellung für den „beliebten Komiker und Bühnendichter, Hrn. Nestroy“ (Theaterzeitung) auf dem Programm. Angekündigt ist eine neue „Localposse mit Gesang“, der monströse Titel des Stücks, zu dem Adolf Müller die Musik beisteuert: Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt, eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt, eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing.
Provozierte sein Publikum: Johann Nestroy. Lithographie von August Prinzhofer, 1846.
Das Haus ist an diesem Abend „übervoll“, so dass manche Zuschauer im Parterre über die Schranken des Orchesters steigen müssen, um zu ihren Sperrsitzen zu gelangen. Nestroy selbst, der Beneficiant , spielt die Hauptrolle, den selbstgefälligen Herrn von Gundlhuber, einen Rentier; sein kongenialer Partner Wenzel Scholz (1787 – 1857) gibt den Hausmeister Cajetan Balsam. Das Stück basiert auf dem „komischen Gemälde in fünf Rahmen“ Wohnungen zu vermiethen! des Berliner Autors Louis Angely, was Nestroy in der Ankündigung jedoch verschweigt.
Die Stimmung im Publikum ist zu Beginn der Aufführung noch ausgezeichnet und der erste Akt entwickelt sich zunächst „in seinem Gange ungestört“, ja, man vernimmt sogar „Applaus und Vorrufe“, doch schon während des zweiten Akts setzt heftiges Zischen ein, schließlich werden die „Zeichen des Missfallens so laut und ununterbrochen, dass man von dem zweiten und dritten Akte nur Bruchstücke entnehmen konnte, und das Stück in eigentlicher Bedeutung gar nicht zu Ende gespielt ward. Somit ist denn auch kein Detail über den Inhalt zu erfassen gewesen.“ (Der Telegraph) Der Abend wird zu einem Fiasko, wie es Nestroy noch nicht erlebt hat; seine „ziemlich vorlaute Bemerkung“ am Schluss des Stückes, dass es „im Theater, wie in jedem Hause, Parteyen“ geben müsse, bringt die Kritiker erst recht gegen ihn auf. „Das Stück selbst hat keinen andern Fehler als den, dass es gegeben wurde“, ätzt Moritz Gottlieb Saphir im Humorist , die Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode spricht von einem „sinn- und witzlosen Machwerk“.
Die vernichtende Kritik bewirkt, dass das Stück nur mehr zweimal wiederholt wird und vom Spielplan verschwindet – die moderne Kritik sieht dagegen in dieser Posse Nestroys durchaus ein „Schlüsselstück des Nestroyschen Œuvres“ (W. E. Yates), sein scharfer satirischer Angriff auf das Wiener Spießbürgertum sei vom kleinbürgerlichen Publikum missverstanden worden.

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